Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (6): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1895

DOI Kapitel:
No. 26 - No. 32 (3. April - 27. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42838#0117
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Irr? Deutschtum,

— Inserate
finden in dem wöchentlich 2mal erscheinenden „Badischen VolkKboten"
die weiteste Verbreitung und kostet die viergespaltene Gnrmondzeile
oder deren Nanni nur 10 Pfg., bei mehrmaliger Aufnahme wird
bedeutender Rabatt gewährt.

HH?orr rnrb Al'tcr?.

- -- NesteHnngen -
auf den „Badischen Volksboteu" können jederzeit bei allen kaiserl.
Postaustalten, den Landbriefträgern, sowie unseren Agenturen gemacht
«erden. — Preis vierteljährlich durch die Post bezogen 1 M. 25 Pf.,
bei unseren Agenturen I Mk., bei der Expedition abgeholt 80 Pf.

H?gcm de? deutsch-sozrcrt'en Htefo?m -Wcl?tei in Werden und des
Wcrdrfchen Wcruernbundes.

M 30.

Heidelberg, den 20. April L89Z.

6. Jahrg.

Die Gewerbefreiheit.
m.
Bei der Gewerbefreiheit wird der Schwächere nicht
nur der Selbsterhaltung des Stärkeren, sondern ohne
Noth dem Vortheil und der Gewinnsucht des letzteren
geopfert und preisgegeben. Das heißt: Der Gewerbe-
freiheit liegt nicht nur die Selbsterhaltung, sondern auch
die Selbstsucht zn Grunde. Diese ist allerdings ein dem
Menschen innewohnender Trieb, dem aber keine regelnde
ordnende, wohl aber eine verschlingende Kraft eigen ist.
Wie das Feuer durch ihm entgegenstehende brenn-
bare Schranken sich nur mehr noch nährt und vergrö-
ßert und sich ausdehnt, so wächst auch die Selbstsucht
im verzehrenden und sich dadurch nährenden Kampfe
mit der ihr als Schranke entgegentretenden Selbstsucht
Anderer. Wie aber das Wasser als Gegenelement dem
Feuer Schranken setzt, so muß der Selbstsucht zu Gun-
sten der Gesellschaft die Selbstentsagung entgegengesetzt
werden. Allo statt Selbst Sucht Selbst-Zucht. Dazu
bietet das beste Mittel die Korporation, in welcher
wiederum die wahre Bruder- und Nächstenliebe das
Mittel bietet, die Eigenliebe zu mäßigen und zu be-
schränken.
Der Widerspruch dessen, was die Staatsweisheit
im gewerblichen, im industriellen Leben heute zuläßt,
mit dem, was die Religion verlangt, ist allzu grell ge-
worden, als daß es nicht auffallen müßte. Die heuti-
gen staats- oder national-ökonomischen Systeme stehen
den Lehren des Christenthums manchmal schnurstracks
entgegen. Besonders ist das der Fall bei dem herrschen-
den, durch die zügellose Gewerbefreiheit sich immer mehr
entfaltenden Gewerbe- und Jndustriesystem. Dieses pre-
digt die Selbstsucht durch Wort und Beispiel, das
Christenthum dagegen die Selbstverleugnung, die Liebe
u. s. w. Wie spricht mancher heute? „Mich und meine
Familie zu ernähren, ist die erste, ist Selbsterhaltungs-
pflicht. Ich kann diese Pflicht aber nicht erfüllen, wenn
ich ehrlich handle, deshalb, um die Konkurrenz meines
Großhändlers bestehen zu können, muß ich die Pflau-
men und Korinten anfeuchten, damit das Gewicht sich
vermehrt, ich muß die Butter mit Mehl und Wasser,
oder mit Margarine durchkneten, muß den gemahlenen
Pfeffer mit Buchweizenmehl, unter den Zimmet gesto-
ßene Mandelschalcn oder ähnliches mischen, muß die
Kartoffel in einer nachher antrockenden Lehmbrühe her-
umdrehen und diesen Lehm mit als Gewicht der Kar-
toffel in den Kauf geben usw., ja, ich muß". Und so
thnt es immer wieder der Nachbar dem Nachbarn
nach. —
Eine Gesellschaftsordnung, welche direkt und prin-
zipiell und uneingeschränkt auf dem Egoismus sich auf-
baut, muß die Leidenschaften entfesseln, muß den Be-
griff der Ehre und der Pflicht untergraben. Eine Ge-
setzgebung, die direkt und prinzipiell das Recht des
Stärkeren, den Schwächeren im Kampf ums Dasein zu
erdrücken, proklamirt, muß das Rechtsgefühl bedenklich
erschüttern! Die Entfesselung der wirtschaftlichen Kräfte
und Leidenschaften muß auch die Anarchie der Geister
fördern; und wenn der rücksichtslose Schacherer und Be-
trüger, der gewissenlose Spekulant regelmäßig den Sieg
davonträgt, dann ists doch wahrhaftig nicht zu verwun-
dern, wenn die idealem Elemente unsres Volkes unter-
gehen lind die Krämerseelen die Herrschaft führen.
Wer die Geister, die Leidenschaften wieder zügeln,
zur Ordnung und Sitte zurückführen will, der denke
an die Ordnung und Befestigung der wirthschaftlich-
sozialen Verhältnisse. Die Reorganisation der Gesell-
schaft wird uns auch wieder den Boden für die Re-
organisation der Sitte und der Sittlichkeit ebnen. Durch
gesunde Reformen muß das Gute unterstützt und dem
Bösen der Boden entzogen werden!

Die Verschleierung der Hypotheken-
schulden.
Der Hauptfluch der Landwirtschaft ist
die Verschuldung —
Tue Entschuldung ihre einzige Rettung.
Unsere deutschen Statistiken erstrecken sich auf alle
möglichen Dinge, um so auffälliger ist es, daß das Ge-
biet der Hypotheken-Verschuldnngen fo außerordentlich
wenig bearbeitet wurde, so daß man gezwungen wird
durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Konjunkturen
die gewaltigen Summen der deutschen Hypothekenver-
schuldung zu ermittel«.
In Preußen und Oesterreich werden nur die jähr-
lichen Zugänge und Löschungen veröffentlicht, nicht aber
die Summen der vorhandenen Hypotheken, diese wer-
den sorgfältig verheimlicht. Unter allen deutschen Staa-
ten hatte zuerst das Herzogtum Braunschweig eine voll-
ständige Hypothekenstatistik aufzuweisen und zwar für
die Jahre 1856—74. Seitdem wird daselbst die Sta-
tistik zwar fortgeführt, aber die Regierung beliebt die-
selben nicht zu veröffentlichen! Der einzige deutsche
Staat, welcher es gewagt hat, wider das Interesse der
internationalen Geldherrschaft — es ist für sie nicht
gut, wenn die Ausgebeuteten anfangen zu sehen und zu
begreifen, wie man künstlich die Sache umnebelte —
eine ausführlichere Statistik bekannt zn ^eben. Ende
1890 lasteten ans dem Grundbesitz in Sachsen 3018
Mill. Mk. Hypotheken! Der Fläche nach ist Sachsen
ungefähr des deutschen Reiches, mithin würde letz-
teres, bei verhältnißmäßiger gleicher Verschuldung 36
mal 3018 Mill. Mark gleich 108^2 Milliarden Mark
Hypotheken besitzen.
Im Braunschweigischen vermehrten sich die Hypo-
theken von 1856—74 um 1030/00 auf 181 Millionen.
Man darf annehmen, daß sich diesen Summen von 1870
bis 1894 mindestens verdoppelt hat, jetzt etwa 362 Mill,
beträgt. Braunschweig macht ungefähr de 146,5ten Teil
Deutschlands aus. Hiernach würde Deutschland belastet
seit mit 146,5 mal 362 Millionen Mk. gleich 53,033
Millionen Mark. —
Wenn nun auch Sachsen besonders stark hypothe-
kenbehaftet sein mag, so wird doch das Herzogthum
Braunschweig nur einer mittleren Verschuldung wahr-
scheinlich unterliegen und man dürfte das Richtige wohl
ziemlich treffen, wenn die deutschen Hypotheken rund zu
55 Milliarden Mark veranschlagt werden.
Dabei findet noch eine höchst bedenklich steigende
Zunahme der Hypothekenverschuldung statt.
In Preußen allein betrugen die Mehreintrag-
ungen :
1866—1887 für 567 Millionen Mark
1888—1889 „ 840
1890—1891 „ 865
1892—1893 „ 958
Für Deutschland werden jetzt die jährlichen Mehr-
eintragungen weit über eine Milliarde ausmachen. Da-
zu muß noch kurz bemerkt werden, daß auch die Do-
mänengüter, die Privatgüter der Fürsten und Majorate,
die alle ganz frei von Schulden sein müssen, noch mit-
gezählt sind. Wohin soll eine solche Verschuldungsseuche
führen?
Den preußischen statistischen Erhebungen nach be-
trug 1892—93 die hypothekarische Mehrverschuldnng
in den Städten 750 Mill. Mk., auf dem Lande 208
Mill. Mark. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß in
Preußen eine ganze Anzahl von Dörfern z. B. alle
diejenigen, welche Bergwerke besitzen, Badeorte find usw.
hypothekarisch zu den Städten gezählt werden. Weil
nun darüber, in welchem Maßstab dies geschehen, bis-
lang keine Mittheilungen veröffentlicht wurden, so ist
damit die ländliche Verschuldungszunahme verschleiert.
Behauptet kann deswegen werden, daß die Hypotheken-
zunahme der Landgemeinden stärker und die in den
Städten schwächer, wie die Statistik angiebt. Selbst in
bäuerlichen Kreisen ist dieses nicht hinreichend bekannt,
man würde sonst weniger Wert auf die ländliche Ver-
schuldungsstatistik legen. Erwiesenermaßen stammen die

Hypotheken auf dem Lande wesentlich aus Erbteilungen
und Kaufrestgeldern und nicht ans Bodenverbesserungen,
sie wirken daher' vdlkswirthschaftlich ähnlich wie die
Staatsschulden.
Hören wir weiter, was uns ein zuverlässiger Ge-
währsmann, der bad. Finanzminister sagt. Er schreibt
in seinem „Lehr- und Handbuch der politischen Oeko-
nomie" auf Seite 42 folgendes: „Nicht sowohl die
augenblickliche Höhe der Hypothekenverschuldnng fordert
zu ernsten Betrachtungen aus, als die wahrnehmbare fort-
schreitende Zunahme der Verschuldung, der gegenüber
die Tilgung der Verbindlichkeiten nicht völlig gleichen
Schritt zu halten scheint. In Baden beträgt die Mehr-
belastung in den Jahren 1886—90 rund 90 Millio-
nen Mk., in Oesterreich 1866—89 eine solche von 660
Millionen Mark".
Es darf uns daher bei einer derartig sortschrei
tenden Verschuldung von Grund und Boden gar nicht
wundern, daß die Güter immer weniger verkäuflich
werden. So sind die Preise der Güter schon in dem
letzten Jahrzehnts von 1888—1890 im Verhältnis zu
den Preisen 1870—1880 hauptsächlich im Osten und
beim Großgrundbesitz bedeutend zurückgewichen. Es
giebt heute Güter, die absolut nicht mehr verkäuflich
sind. Aus freier Hand nicht, weil sie ihrer Neber
schuldung halber nicht zu dem bei den heutigen Produkten-
preisen angemessenen geringen Gutspreis verkauft
werden können. Im Zwangsvollstreckungsverfahren
auch nicht, weil die Besitzer der zuletzt eingetragenen
Hypotheken und der Wechsel des Gutseigentümers
den letzteren lieber gleichsam als Beamten auf dem
Gute halten, ihm auch noch Geld zum Betrieb der
Wirtschaft weiter leihen, als daß sie sich der Gefahr
aussetzen, beim Zwangsverkaus ihre ganze Hypotheken-
forderung einzubüßen. Es ist sozialpolitisch sehr be-
denklich, wenn der Grund und Boden zu einem Mo-
nopol für großkapitalistische Elemente wird, und zwar
größtenteils für solche, die nicht unseres Glaubens
und Stammes sind.
Die Verschuldungsseuche ist eine böse eiternde
Wunde am wiedererstaudenen deutschen Reich. Aller
Beruhigungsbalsam, welcher von den jüdischen Zei-
tungen'über diese Wunde gestrichen wird, verschleiert
wohl das Uebel, stört aber nicht dessen stetiges, ver-
derbensüendes Wachstum. Die Gesetzgebung darf
nicht vollständig im Banne des Kapitalismus derartig
weiter ausgebaut werden; denn der Kapitalismus ist
der Vater der sozialistischen Umsturzparteien. Eine
antigeldherrschaftliche Gesetzgebung muß man bei uns
herbeizuführen suchen: einen schuldenfreien Bauern-
stand, unverschuldete Gemeinden, unverschuldete Staaten
und ein schuldenfreies Reich; dann erst ruht das
wiedererstandene deutsche Reich auf granitener Grund-
lage, dann erst ist es den gemeinsamen Anstürmen
aller feindlichen Nachbarvölker mit Sicherheit dauernd
gewachsen.
H. Ost ^V. Oottlisd Llsidtrsu.

Tagesfragen.
* Omen Kreis von LOO Mark setzt der Ver-
lag der Druckerei Glöß, Dresden, ans und zwar in
Veranlassung der philosemitischen Rede des augenblick-
lichen Zentrumsführer Dr. Lieber. Dieser hat bekannt-
lich im Reichstage jedes gesetzliche Einschreiten gegen
die Juden mit dem Hinweis darauf abgelehnt, daß er
befürchte, daß nach einer Besiegung des Judenthums
eine Unterdrückung des Katholizismus geplant werde.
Herr Lieber möchte also gewissermaßen ein Spießge-
sellentnm zwischen Inden und Katholiken errichten. Der
Verlag der Druckerei Glöß, dem aus katholischen Krei-
sen häufig und dringend die Aufforderung wurde, auch
die antisem. Volkregungen der deutschen und österreichi-
schen Katholiken zum lebendigen Ausdruck zn bringen,
hält es nunmehr den vielfachen Anregungen aus katho-
lischen Leserkreisen gegenüber für eine Pflicht, öffent-
lich festzustellen, wie weit die Lieber'sche Ansicht über
den politischen Zusammenhang zwischen Katholiken und
 
Annotationen