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DER BAUMEISTER » 1908, MÄRZ
Arch. J. Schmeissner, Nürnberg.
Landhaus Dr. Soldan in Fürth.
zutage an gewissen typischen Zweckbauten der
modernen Bautechnik: an Maschinenwerkstätten,
Eisenbahnhallen, Gasanstalten, überall, wo die
Arbeit, namentlich die Maschinenarbeit des Zeit-
alters ihren starken Rhythmus ertönen lässt und
auch die Massen und Masse ihrer Umgebung wie
zwangsweise rhythmisiert. Ganz erschrecklich aber
stehen daneben die baulichen Zeugen der Erholung
von der Arbeit Wohnhaus und Mietskaserne, Kirche
und Wirtshaus, das letztere im weitesten Sinne
Lageplan mit Erdgeschoss.
der weltlichen Erholungsstätte genommen. Das
erweiterte Wohnhaus für die Gemeinschaft: die
Stadt, die doch auch eine Stätte des Ausruhens
in Schönheit und Kunst sein kann, geriet als
strengung geleistet, Positives namentlich dort, wo keine
historischen Vorbilder das Auge trübten, wo man nicht in
unglücklicher Liebe zur Kunst befangen war und durchaus
„etwas Schönes“ machen wollte. Am deutlichsten tritt das
Organismus ganz aus dem Gesichtskreis: diese Generation
hatte gar kein Talent und auch kein Bedürfnis, das Leben
in reiflich erwogenen, gross und schön gestalteten Formen
zu geniessen. Erhaltung des Lebens, Fortpflanzung und aber-
mals Erhaltung
durch eiserne Ar-
beit — kein Wun-
der, dass Leute
wie Camillo Sitte
tauben Ohren
predigte.
Was an künst-
lerischen Bedürf-
nissen im Volke
lebte, das befrie-
digte sich an
jenen Künsten,
die an keine Ma-
terie gebunden
sind: an Musik
und Poesie, end-
lich an der Kunst
der Schaubühne.
Diese Künste
standen und ste-
hen auch heute
noch im Brenn-
punkt der öffent-
lichen Aufmerk-
samkeit. Um die
Baukunst küm-
merte man sich
nur dann, wenn
sie irgend ein
Obergeschoss.
„Wunder der Technik“ darbot. An einer neuen
Brücke die Spannungsweite zu ermessen und zu be-
wundern, das gelang. Ihre Form oder Unform zu
beurteilen, misslang nicht nur nicht, es wurde meist
gar nicht erst versucht. Das ästhetische Gewissen
versagte.
* *
*
Wir fangen nun langsam an, die Baukunst mit
Landhaus Dr.-Soldan in Fürth. Treppenaufgang.
anderen Augen anzusehen, wir entdecken sie und
DER BAUMEISTER » 1908, MÄRZ
Arch. J. Schmeissner, Nürnberg.
Landhaus Dr. Soldan in Fürth.
zutage an gewissen typischen Zweckbauten der
modernen Bautechnik: an Maschinenwerkstätten,
Eisenbahnhallen, Gasanstalten, überall, wo die
Arbeit, namentlich die Maschinenarbeit des Zeit-
alters ihren starken Rhythmus ertönen lässt und
auch die Massen und Masse ihrer Umgebung wie
zwangsweise rhythmisiert. Ganz erschrecklich aber
stehen daneben die baulichen Zeugen der Erholung
von der Arbeit Wohnhaus und Mietskaserne, Kirche
und Wirtshaus, das letztere im weitesten Sinne
Lageplan mit Erdgeschoss.
der weltlichen Erholungsstätte genommen. Das
erweiterte Wohnhaus für die Gemeinschaft: die
Stadt, die doch auch eine Stätte des Ausruhens
in Schönheit und Kunst sein kann, geriet als
strengung geleistet, Positives namentlich dort, wo keine
historischen Vorbilder das Auge trübten, wo man nicht in
unglücklicher Liebe zur Kunst befangen war und durchaus
„etwas Schönes“ machen wollte. Am deutlichsten tritt das
Organismus ganz aus dem Gesichtskreis: diese Generation
hatte gar kein Talent und auch kein Bedürfnis, das Leben
in reiflich erwogenen, gross und schön gestalteten Formen
zu geniessen. Erhaltung des Lebens, Fortpflanzung und aber-
mals Erhaltung
durch eiserne Ar-
beit — kein Wun-
der, dass Leute
wie Camillo Sitte
tauben Ohren
predigte.
Was an künst-
lerischen Bedürf-
nissen im Volke
lebte, das befrie-
digte sich an
jenen Künsten,
die an keine Ma-
terie gebunden
sind: an Musik
und Poesie, end-
lich an der Kunst
der Schaubühne.
Diese Künste
standen und ste-
hen auch heute
noch im Brenn-
punkt der öffent-
lichen Aufmerk-
samkeit. Um die
Baukunst küm-
merte man sich
nur dann, wenn
sie irgend ein
Obergeschoss.
„Wunder der Technik“ darbot. An einer neuen
Brücke die Spannungsweite zu ermessen und zu be-
wundern, das gelang. Ihre Form oder Unform zu
beurteilen, misslang nicht nur nicht, es wurde meist
gar nicht erst versucht. Das ästhetische Gewissen
versagte.
* *
*
Wir fangen nun langsam an, die Baukunst mit
Landhaus Dr.-Soldan in Fürth. Treppenaufgang.
anderen Augen anzusehen, wir entdecken sie und