DIE WALLFAHRTSKIRCHE IN WIES
129
zu schmücken oder auf die Pfosten des
Thores ein paar Sphinxe oder Löwen zu
legen über kurtz oder lang liegen die
frisierten Götter und Helden ohne Kopf und
Hände in Neßeln und Unkraut, das ist die
Vergeltung für die barbarische Rohheit und
Verachtung mit welcher eben diese Zeit auf
die größten Meisterwercke christliger Be-
geisterung herab gesehn, und so manches
Kind einer frommen Muse schmählig hat
verkommen laßen, zuerst muß uns der Gegen-
stand des Kunstwercks heilig seyn, um es
schaffen, würdigen, verwahren und konser-
vieren zu können, aus einer allgemeinen
beßern Gesinnung geht eine beßere Kunst
hervor, auch eine plötzliche Abhülfe ist hir
nicht denkbar, den wie gesagt nicht mit
öffentligen Aufträgen ohne entschiedenen
kirchlichen Zweck ist uns gedient verschlafen
wir vor allen unsere lächerliche Begeisterung
für die Kunst als solcher, begeistern oder
begeistigen wir uns wieder für geistige und
geistlige Dinge für Gott und das sichtbare
Gottesreich auf Erden in seiner Kirche und
unter vielen andern Gaben die uns zuge-
worfen werden, wird auch eine frische wahre
Herzergreifende weil vom Herzen kommende
Kunst sich finden, wir werden dann weniger
von Kunst reden, aber mehr Kunst haben, und
diese Kunst wird keiner sogenannten Unter-
stützung keiner Kunstvereine bedürfen, man
muß wie ich einen Theil seines Lebens als Ma-
ler auf dem Lande in einem katholischen Berg-
winkel wo noch Reste alten kirchlichen Le-
bens sich erhalten, zugebracht haben um eine
Ahndung von dem zu haben was lebendige
Kunst ist, um das Läppische Schahle und
Krankhafte unseres Mäcenaten- und Kunst-
protucktionswesens, sammt dem Zubehöhr
kunstbegeisterter Großsprecherey in seiner
ganzen Wiederwärtigkeit zu fühlen, wenn der
arme Landmann seinem Munde das kärglige
Honorar für den Maler bey dem er sich ein
Cruzifix oder Marienbild oder Nahmenspra-
tron bestellte, abgespaart, und nun kömmt es
abzuholen wenn er dann davor steht, stumm,
die Hände faltend und ihm die Augen naß
werden, wenn er die bedungene Bezahlung
mit einem : Vergelts Gott auf den Tisch legt,
und ihm beym Weggehn die Freude aus den
Augen leuchtet, und er für den Maler zu
bethen verspricht, wenn er dann nach einer
Zeit wiederkömmt einen großen schweren
Sack voll Aepfel, die er vier bis fünf Stunden
weit über die Berge auf seinem alten ge-
krümmten Rücken getragen in der Stube
absetzt mit der Bitte sie — weil sie von
besonderer Gütte —• noch für eine kleine
Erkentlichkeit für das schöne Bild anzu-
nehmen, daß er ohnehin nicht habe zur Hälfte
bezahlen können da wird Einem warm ums
Herz, wärmer als bey allem Lobe in den Zei-
tungen und Kunstblättern, das ist nicht das
Einzige was ich in dieser Art erfahren habe.
(Schluß folgt.)
DIE WALLFAHRTSKIRCHE IN WIES
Von MICHAEL HARTIG
Illustrationen von Ferdinand Nockher-München
ie Prämonstratenser von
Steingaden, der Pater
Magnus Straub und der
Laienbruder Lucas
Schwaiger, ein geübter
Maler, hatten 1730 für die
Karfreitagsprozession
auf sehr primitive Weise
eine Figur des Fleilan-
des an der Geißelsäule
hergestellt. Sie suchten auf dem Kloster-
speicher verschiedene Reste alter Figuren,
fügten dieselben zusammen, überzogen den
Leib mit Leinwand, setzten auf den Kopf
natürliche Haare und einen natürlichen
Bart, faßten die ganze Arbeit in Öl, und
stellten diese so gewonnene Gestalt an eine
neu gefertigte Geißelsäule. Bis 1734 wurde
die Statue bei der erwähnten Prozession
wirklich mitgetragen; aber dann fand man
sie selbst für diesen Zweck zu unschön
und wies ihr in der Kleiderkammer des Klo-
sters ein stilles Plätzchen an. Nach zwei
Jahren erhielt sie der Gastwirt Jeremias
Rehle von Steingaden zum Geschenk, stellte
sie zunächst in seine Schlafkammer, aber
bald darauf auf seinen Dachboden. Am
14. Mai 1738 schenkte er sie an die Bäuerin
Maria Lory in Wies weiter. Diese hatte an
ihr eine besondere Freude und ihr Mann
baute für den gegeißelten Heiland neben
seinem Hause 1740 eine kleine Kapelle, in
der am 17. März 1744 zum ersten Male die
hl. Messe gelesen wurde. Es ist unglaub-
lich, wie dieses in Steingaden ganz ver-
kannte Bild auf der Wiese so schnell das
Ziel der Wallfahrer von weit und breit ge-
worden ist. Sehr bald mußte für dieselben
an die Kapelle ein hölzernes Langhaus an-
gebaut werden.
Die christliche Kunst. XXL 6.
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zu schmücken oder auf die Pfosten des
Thores ein paar Sphinxe oder Löwen zu
legen über kurtz oder lang liegen die
frisierten Götter und Helden ohne Kopf und
Hände in Neßeln und Unkraut, das ist die
Vergeltung für die barbarische Rohheit und
Verachtung mit welcher eben diese Zeit auf
die größten Meisterwercke christliger Be-
geisterung herab gesehn, und so manches
Kind einer frommen Muse schmählig hat
verkommen laßen, zuerst muß uns der Gegen-
stand des Kunstwercks heilig seyn, um es
schaffen, würdigen, verwahren und konser-
vieren zu können, aus einer allgemeinen
beßern Gesinnung geht eine beßere Kunst
hervor, auch eine plötzliche Abhülfe ist hir
nicht denkbar, den wie gesagt nicht mit
öffentligen Aufträgen ohne entschiedenen
kirchlichen Zweck ist uns gedient verschlafen
wir vor allen unsere lächerliche Begeisterung
für die Kunst als solcher, begeistern oder
begeistigen wir uns wieder für geistige und
geistlige Dinge für Gott und das sichtbare
Gottesreich auf Erden in seiner Kirche und
unter vielen andern Gaben die uns zuge-
worfen werden, wird auch eine frische wahre
Herzergreifende weil vom Herzen kommende
Kunst sich finden, wir werden dann weniger
von Kunst reden, aber mehr Kunst haben, und
diese Kunst wird keiner sogenannten Unter-
stützung keiner Kunstvereine bedürfen, man
muß wie ich einen Theil seines Lebens als Ma-
ler auf dem Lande in einem katholischen Berg-
winkel wo noch Reste alten kirchlichen Le-
bens sich erhalten, zugebracht haben um eine
Ahndung von dem zu haben was lebendige
Kunst ist, um das Läppische Schahle und
Krankhafte unseres Mäcenaten- und Kunst-
protucktionswesens, sammt dem Zubehöhr
kunstbegeisterter Großsprecherey in seiner
ganzen Wiederwärtigkeit zu fühlen, wenn der
arme Landmann seinem Munde das kärglige
Honorar für den Maler bey dem er sich ein
Cruzifix oder Marienbild oder Nahmenspra-
tron bestellte, abgespaart, und nun kömmt es
abzuholen wenn er dann davor steht, stumm,
die Hände faltend und ihm die Augen naß
werden, wenn er die bedungene Bezahlung
mit einem : Vergelts Gott auf den Tisch legt,
und ihm beym Weggehn die Freude aus den
Augen leuchtet, und er für den Maler zu
bethen verspricht, wenn er dann nach einer
Zeit wiederkömmt einen großen schweren
Sack voll Aepfel, die er vier bis fünf Stunden
weit über die Berge auf seinem alten ge-
krümmten Rücken getragen in der Stube
absetzt mit der Bitte sie — weil sie von
besonderer Gütte —• noch für eine kleine
Erkentlichkeit für das schöne Bild anzu-
nehmen, daß er ohnehin nicht habe zur Hälfte
bezahlen können da wird Einem warm ums
Herz, wärmer als bey allem Lobe in den Zei-
tungen und Kunstblättern, das ist nicht das
Einzige was ich in dieser Art erfahren habe.
(Schluß folgt.)
DIE WALLFAHRTSKIRCHE IN WIES
Von MICHAEL HARTIG
Illustrationen von Ferdinand Nockher-München
ie Prämonstratenser von
Steingaden, der Pater
Magnus Straub und der
Laienbruder Lucas
Schwaiger, ein geübter
Maler, hatten 1730 für die
Karfreitagsprozession
auf sehr primitive Weise
eine Figur des Fleilan-
des an der Geißelsäule
hergestellt. Sie suchten auf dem Kloster-
speicher verschiedene Reste alter Figuren,
fügten dieselben zusammen, überzogen den
Leib mit Leinwand, setzten auf den Kopf
natürliche Haare und einen natürlichen
Bart, faßten die ganze Arbeit in Öl, und
stellten diese so gewonnene Gestalt an eine
neu gefertigte Geißelsäule. Bis 1734 wurde
die Statue bei der erwähnten Prozession
wirklich mitgetragen; aber dann fand man
sie selbst für diesen Zweck zu unschön
und wies ihr in der Kleiderkammer des Klo-
sters ein stilles Plätzchen an. Nach zwei
Jahren erhielt sie der Gastwirt Jeremias
Rehle von Steingaden zum Geschenk, stellte
sie zunächst in seine Schlafkammer, aber
bald darauf auf seinen Dachboden. Am
14. Mai 1738 schenkte er sie an die Bäuerin
Maria Lory in Wies weiter. Diese hatte an
ihr eine besondere Freude und ihr Mann
baute für den gegeißelten Heiland neben
seinem Hause 1740 eine kleine Kapelle, in
der am 17. März 1744 zum ersten Male die
hl. Messe gelesen wurde. Es ist unglaub-
lich, wie dieses in Steingaden ganz ver-
kannte Bild auf der Wiese so schnell das
Ziel der Wallfahrer von weit und breit ge-
worden ist. Sehr bald mußte für dieselben
an die Kapelle ein hölzernes Langhaus an-
gebaut werden.
Die christliche Kunst. XXL 6.