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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 21.1924/​1925

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Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.53139#0373

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DENKMALPFLEGE

5i

Denkmalpflege
ALTE SEIDENSTOFFE ALS
RELIQUIENHÜLLEN
TZJ s ist bekannt, daß sehr viele der ältesten Sei-
denwebstoffe, die uns erhalten sind, aus Re-
liquienschreinen stammen. Es sei nur erinnert an
den „Elefantenstoff“ aus dem Aachener Karls-
schrein, den „Reiterstoff“ aus dem St. Kunibertus-
schrein in Köln und den „Löwenstoff“, der mit drei-
zehn anderen Stoffresten den Siegburger Schreinen
entnommen wurde. Man würde sich aber täuschen,
wenn man annähme, solche wertvolle Stoffreste fän-
den sich nur in den großen Reliquienschreinen. Mö-
gen diese auch die größten und schönsten Stücke
enthalten, so werden doch kleinere auch sonst
überall in Verbindung mit Reliquien angetroffen.
Auf diese möchten wir gerne die Aufmerksamkeit
aller, die es angeht, lenken. Überall, wo Reli-
quien nicht unverhüllt in Schaugefäßen aufbe-
wahrt werden, findet sich Seide als' Hülle ver-
wendet, weil man nur den kostbarsten Webstoff
für diesen Zweck als angemessen ansah. In sehr
vielen Fällen sind die Reliquien in diese Seiden-
hüllen fest eingenäht. Wenn in solchen Fällen
die Seide ungemustert ist oder ersichtlich aus
einem der letzten Jahrhunderte stammt, so finden
sich darunter doch recht oft noch ältere und
manchmal überraschend alte gemusterte Seiden.
Die Ehrfurcht, mit der man die Reliquien be-
handelte, ließ es nicht zu, bei einer Instandset-
zung der Hüllen das Alte völlig beiseite zu wer-
fen und das Neue an seine Stelle zu setzen. Man
ließ deshalb oft die alte Seide ganz unberührt
und nähte das Ganze in eine neue moderne Seide
ein. Derselbe Vorgang kennte sich auch öfter
wiederholen, so daß mehrere Schichten verschie-
denen Alters übereinanderliegen. Daß man bei
einer Neufassung von Reliquien in der Gegen-
wart, die älteren Hüllen gewöhnlich nicht mehr
mit dem Respekt wie früher behandelt, bedarf wohl
kaum besonderer Hervorhebung. Sicher ist in
den letzten Jahrzehnten hierdurch vieles ver-
loren gegangen. Die durch Staub und Schmutz
entstellten Läppchen und Fetzen wurden hin-
sichtlich ihres Wertes nicht erkannt und achtlos
weggeworfen. Das darf in Zukunft nicht mehr
vorkommen und wir möchten zu diesem Zwecke
einen praktischen Vorschlag machen. Es sollte
in allen Diözesen eine Vorschrift erlassen werden,
durch die bestimmt wird, daß in allen Fällen, wo
Reliquien eine neue Umhüllung erhalten sollen,
die Öffnung und Untersuchung der alten Hüllen
durch eine sachverständige Stelle, am besten
die Leitung des Diözesanmuseums (oder in Bayern
durch einen der geistlichen Konservatoren des
Landesamtes) zu geschehen hat. Vor allem aber
sollte die Anordnung getroffen werden, daß die zahl-
reichen, geradezu verwahrlosten Reliquien, die sich
in Kirchen, Sakristeien und Pfarrhäusern oft fin-
den und deren Echtheit und Zugehörigkeit unbe-
kannt oder ganz zweifelhaft ist, samt und sonders
an das Diözesanmuseum eingeschickt werden. Mit
Schmutz und Spinngeweb bedeckt und halb vermo-
dert und verfallen befinden sie sich in einem unwür-
digen Zustande, der mitRecht als skandalös empfun-
den wird. Im Diözesanmuseum könnten dann die
Umhüllungen untersucht und die Reliquien selbst
einem würdigen Sammelgrab in geweihter Erde
übergeben werden. Es muß unbedingt davon ab-
geraten werden, daß etwa die Pfarrer selbst die

Untersuchung vornehmen, weil das Auftrennen
der oft sehr morschen Stoffe größte Behutsam-
keit und Vorsicht erfordert und weil ihre Reini-
gung nur unter fachmännischer Leitung statt-
finden kann.
Es darf hier der Anregung wegen vielleicht
darauf hingewiesen werden, daß das Pader-
borner Diözesanmuseum durch syste-
matische Beachtung und Untersuchung auch der
unscheinbarsten Reliquienhüllen sich bereits den
Grundstock einer kleinen Sammlung alter Sei-
denreste schaffen konnte, die eine recht wert-
volle Ergänzung zu den vorhandenen Paramenten
bietet. Besonders häufig fanden sich solche Reste
in den Bleikapseln oder Tongefäßen, die als Se-
pulchra in Altären gedient haben. So wurde
1923 im Sepulchrum des Altares der bekannten
Bartholomäikapelle in Paderborn ein schöner'
ostiranischer Stoffrest mit Entenmuster aus dem
10. Jahrhundert gefunden. In der Folgezeit wur-
den dann die bereits im Besitz des Museums
befindlichen eingenähten Reliquien untersucht,
wobei sich ergab, daß selbst in den so häufig
vorkommenden,-kleinen kissenartig genähten Re-
liquienpäckchen oft unter der äußeren Hülle sehr
schöne, noch ganz unbekannte Seidenstoffreste
erhalten sind. Im Jahre 1924 wurden auf An-
regung des Museumsleiters drei alte Reliquien-
schreine der Pfarrkirche zu Neuenheersee, Kr.
Warburg i. W., mit dem Erfolge untersucht, daß
17 alte Stoffreste zutage traten, die jetzt gerei-
nigt und unter Glas gelegt als Leihgabe im Mu-
seum aufbewahrt werden. Das älteste der in
Neuenheerse gefundenen Stücke zeigt einen
goldgelben Steinbock mit blauen Hörnern auf
rotem Grunde und gehört zu einem sassanidi-
schen Reiterstoff des 6. Jahrhunderts. Ferner
fanden sich dabei sechs ostiranische Seidenreste
aus dem 8. bis 10 Jahrhundert, mehrere byzan-
tinische Gewebe aus dem 7. bis 11. Jahrhundert,
ein besonders schönes Stück sizilianischer Her-
kunft — nächst verwandt dem sog. Hexenstoff
zu Vieh in Spanien — aus dem 12. und als jüng-
stes ein italienischer Stoff des 13. Jahrhunderts
aus Lucca. Ganz vor kurzem erhielt das Mu-
seum vom Pfarramte zu Stockum, Kr Arnsberg,
in dankenswerter Weise ein Paket verfallener und
halb vermoderter Reliquien, aus deren Hüllen
fünf alte wertvolle Seidenreste herausgelöst wer-
den konnten, von denen drei Fragmente eines
spätantiken, wahrscheinlich syrischen Reiter-
stoffes waren, der — etwa um 600 entstanden —
dem prächtigen, eingangs erwähnten Stoff aus
St. Kunibert in Köln sehr nahe verwandt ist,
während die beiden übrigen Reste in der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts in Lucca entstanden
sein dürften. Handelt es sich auch in allen Fällen
um kleinere Fragmente, die nur ganz selten das
Muster ganz wiedergeben, so sind sie doch bei der
Seltenheit solcher Reste an sich schon recht
wertvoll, besonders aber in ihrer Zusammenstel-
lung in einem der Forschung jederzeit zugäng-
lichen Museum.
Paderborn. A. Fuchs
Personalnachnchten
HANS BRANDSTETTER f
Tn den ersten Tagen des Jänners ist knapp vor sei-
1 nemyi. GeburtstagProfessor Hans Brandstetter in
Graz gestorben. Nach den Zeitungsartikeln wäh-
 
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