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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 21.1924/​1925

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Bauer, Curt: Das Antlitz Michelangelos
DOI Artikel:
Mailly, Anton: Die Jerusalem-Irrgärten
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https://doi.org/10.11588/diglit.53139#0316

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DIE JERUSALEMS-IRRGÄRTEN

Obgleich wir von Michelangelo kein Selbst-
porträt besitzen, und er sich überhaupt nur
sehr schwer dazu entschloß, anderen Malern
als Modell zu dienen, sind uns doch zwei
Bilder von ihm erhalten geblieben. Einmal
gab er sich aus Freundschaft zum Modell
hin, und wir besitzen dies Porträt des Jacopo
del Conte in der Porträtgalerie der Uffi-
zien zu Florenz, das andere Mal erlaubte er
dem Daniele da Volterra aus Dankbar-
keit gegen die Familie Strozzi, in deren Pa-
last er während einer Krankheit gepflegt
wurde, sein Bildnis zu malen. Ein Vergleich
nun zwischen dem Uffizienporträt mit der
wulstigen Stirn, dem vollen gekräuselten
Flaar und der eingequetschten Nase ergibt
das unbestreitbare Resultat, daß es sich in
dem Kopfe, den die Haut des hl. Bartho-
lomäus im Jüngsten Gericht aufweist, um
ein symbolisches Selbstporträt des großen
Meisters handelt.
Als der italienische Arzt zu dieser Über-
zeugung gelangt war, wollte es ihm zu-

nächst nicht in den Sinn, daß er selbst der
erste Entdecker dieser so bedeutsamen Dar-
stellung sein könne. In jahrelangem Stu-
dium durchforschte er die ganze Michel-
angelo-Literatur, um zu sehen, ob bereits
jemand vor ihm diese Entdeckung gemacht
hätte. Aber wunderbarerweise war das Bild-
nis vierhundert Jahre hindurch aller Beobach-
tung entgangen. Nur ein paar ganz intimen
Freunden mochte der Meister dies sein Ge-
heimnis zu Lebzeiten anvertraut haben.
War es Frevel, es nun vor der Welt zu
enthüllen? Sollte er selbst damit in die
Öffentlichkeit treten oder die Sache zünf-
tigen Händen überlassen? Nach langen Zwei-
feln an der eigenen Würdigkeit erst ent-
schloß sich jetzt der italienische Anatom
seine sensationelle Entdeckung in einer
Studie: »II volto di Michelangelo« weiten
Kreisen bekanntzumachen und damit ein
Geheimnis, das der große einsame Künst-
ler schweigsam in sein Grab mitgenommen
hatte, der Welt zu enthüllen.

DIE JERUSALEMS-IRRGÄRTEN
Von ANTON MAILLY

T~^ie in antiken Mosaikfußböden üblich ge-
wesenen Labyrinthgrundrisse wurden
auch in der christlichen Kirche der ersten
Jahrhunderte eingeführt. Unter anderen be-
saß die Basilika des Reparatus zu Orleans-
ville in Algier aus dem 5. Jahrhundert ein
solches Labyrinth, das mit einer christlich
angepaßten Symbolik kultisch benützt wurde.
Durch das Verbot einer solchen Ausschmük-
kung durch den heiligen Bernhard verlor die
Labyrinthsymbolik nur auf kurze Zeit ihre
Bedeutung.
Schon im 11. Jahrhundert fand in der
christlichen Kirche die Wiedereinführung
der Labyrinthsymbolik statt. In einer aus
dem Jahre 1084 aus Freising stammenden
Handschrift der Münchner Bibliothek steht
neben dem Bilde eines Labyrinths folgender
Vers, der noch auf die antike Auslegung
hinweist, aber zeitgemäß gedeutet wird:
»Ecce Minotaurus vorat omnes, ques Laby-
rinthus Implicat, infernum hic notat, hic
zabulum.« (Siehe, der Minotaurus ver-
schlingt alle, die sich im Labyrinth ver-
irren, das bezeichnet die Hölle und das
den Teufel.) Allgemein dürfte wohl damals
die Deutung des »Labyrinths« dahin ge-
lautet haben, daß der in der Mitte abgebil-
dete Onocentaurus als der Teufel erklärt
wurde, der die im Irrgarten der Welt Ge-

fallenen verschlingt, bis der Messias (Er-
löser) ihn überwinden werde, wie Theseus
mit Hilfe des Fadens der Ariadne den Mino-
taurus vernichtet hat1)- Es galt wie ein
Schreckens- und Mahnbild, das im Mittel-
alter sicherlich seine Wirkung nicht versagt
hat. Ein nachempfundenes Labyrinth mit
einer geeigneten Inschrift besaß die alte
Kirche San Michele zu Pavia, in dessen
Mitte noch der Kampf des Theseus dar-
gestellt war2).
Ob nun der Gedanke der Jerusalem-Pil-
grime oder der phantastische Zeitgeist der
bibelfesten Mönche in ihrer Vorliebe für
mystisch-religiöse Symbolik, Typologie und
dergl. mehr die Einführung der »Labyrinthe«
wieder erweckt hatten, leuchtet aus den
spärlichen Überlieferungen nicht recht her-
vor. Es unterliegt aber keinem Zweifel,
daß der kräftige Mönchsgeist ein symbo-
lisches Wiedererstehen des Labyrinths beab-
sichtigt und vor allem wohl die altchrist-
liche Relation im Auge hatte und dafür
nach Tunlichkeit auch öffentlich propagierte.
Scheinbar erfolglos! Die Jerusalemsehn-
sucht, dieser zentralreligiöse Gedanke alles
Strebens nach Erlösung, drängte im Abend-
Menzel, Christliche Symbolik (Regensburg
1854), II, 3- — 2) Otte, Archäolog. Wörterbuch
(Leipzig 1883), 141.
 
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