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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 21.1924/​1925

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Mailly, Anton: Die Jerusalem-Irrgärten
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Bombe, Walter: Ein unveröffentlichtes Altarwerk Alfred Rethels
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https://doi.org/10.11588/diglit.53139#0318

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280 EIN UNVERÖFFENTLICHTES ALTARWERK ALFRED RETHELS

Äußerst interessant dürfte das Labyrinth
der frühgotischen Kirche zu Reims gewesen
sein. In seinem Werke »La ville de Reims«
(1814) berichtet Gerusez dazu folgendes:
»Der Mitte des Hauptschiffes sich nähernd,
bemerkte man noch vor dem Jahre 1779
das aus dem Jahre 1240 stammende soge-
nannte Labyrinth, in dessen Mitte eine
Statue und an den vier Ecken vier weitere
Bildwerke aufgestellt waren.« Domkapitular
Jaquemart bezahlte im Jahre 1779 die 1200
bis 1500 Fr. betragenden Kosten der voll-
ständigen Abtragung dieses seltenen »Bitt-
ganges«. Dazu wird noch überliefert, daß
die Statue in der Mitte des Labyrinths den
ersten Baumeister der Kathedrale darge-
stellt hätte. Ebenso sollen die vier Figuren
an den Ecken jene der Leiter des Doms
gewesen sein, so daß es sich hier angeblich
um ein Kenotaph (Erinnerungsdenkmal)
gehandelt hätte. Jedenfalls ist diese volks-
archäologische Annahme kaum haltbar und
wahrscheinlich entstanden in einer Zeit, da
der Zweck und die Bedeutung des Laby-
rinths schon gänzlich unbekannt waren.
Die fünf Statuen sind wohl nur christlich-
archäologisch zu erklären und dürften Chri-
stus mit den vier Evangelisten dargestellt
haben; andrerseits ist es möglich, daß die
fünf Statuen Allegorien waren. Abgesehen
davon, war die Verewigung von Baumeister
im 13. Jahrhundert in und an Kirchen äußerst
selten. Die wenigen Denkmäler der Bauleute

aus jener Zeit findet man gewöhnlich an der
Fassade oder an Pfeilern angebracht.
Nachempfunden den kirchlichen Laby-
rinthen waren jene Irrgänge, die von den
Brüdern des Deutschen Ordens in Ost-
preußen auf freiem Felde ausgegraben wur-
den. Bei den meisten ihrer Schlösser ließen
sie im Felde die Erde aufgraben und ein
Festungswerk mit vielen Gängen und Lauf-
gräben aufwerfen. Der größte Irrgarten
war auf einem Felde bei der Riesenburg.
Die Brüder nannten diese Gänge »Jerusa-
lem«. Anfangs hatten sie dabei ihre gott-
seligen Gedanken, in Zeiten der Verlotte-
rung aber trieben sie damit gar arges Spiel,
indem sie ihre Knechte in die Erdgänge trie-
ben und sie dann wieder hinausjagten und
dazu lästerhaft sagten, Jerusalem befreit zu
haben. Lind wie heute das Volk noch erzählt,
blieb dieses gottlose Treiben für die Brüder
nicht ohne Folgen. In den nun zum großen
Teil zerstörten Irrgärten sieht man öfters
des Nachts feurige Gestalten mit glühenden
Schwertern, die mit großem Gelärme auf
und nieder laufen. Die Ritter müssen nun
zu ihrer Qual das Spiel treiben mit umge-
kehrten Rollen, denn sie werden von den
Schatten der Knechte gejagt und finden bis in
Ewigkeit keine Ruhe. So kam über die gott-
losen Ritter im Jenseits die Vergeltung ')•
’) Graesse, Sagenbuch des Preußischen Staats
(Glogau 1871), II, Nr. 705 = »Ostpreußisches Sagen-
buch«, Inselbücherei Nr. 176 (Leipzig 1915), Nr. 60.

EIN UNVERÖFFENTLICHTES ALTARWERK ALFRED RETHELS
Von WALTER BOMBE

TNie letzte große Ausbeute unveröffentlich-
ter Arbeiten Alfred Rethels brachte die
zur Erinnerung an seinen hundertsten Ge-
burtstag von Frau Else Solln, der einzigen
Tochter des Meisters, in der Düsseldorfer
Kunsthalle im Mai 1916 veranstaltete Nach-
laßausstellung. Es war eine recht umfang-
reiche Sammlung an Gemälden, Studien,
Zeichnungen und Holzschnitten, die, pietät-
voll gehütet, damals der weiteren Öffentlich-
keit zugänglich wurden. Die wichtigsten der
bei dieser Gelegenheit neu zum Vorschein ge-
kommenen Werke des Meisters habe ich in
Fleft 6 der Rheinlande vom Jahre 1916 und in
Heft 13/14 des »Cicerone« vom gleichen Jahre
besprochen und abgebildet. Das Bild, das ich
heute vorlege, ist nicht neu zum Vorschein
gekommen, da es in einer Kirche als Altar-
bild dient, aber es ist bisher kaum beachtet
worden und man hat es noch nicht abgebildet.

Als Darstellung des heiligen Bonifazius
in der diesem Heiligen gewidmeten Kirche
zu Wiesbaden steht es am Ende einer lan-
gen Reihe von Entwürfen und Gemälden, die
den Apostel der Deutschen, sein Wirken
und seinen Tod zum Gegenstände haben.
Schon das früheste bekannte Ölgemälde des
Sechzehn- bis Siebzehnjährigen stellt diesen
Heiligen dar. Es ist das bekannte Bild der
Berliner Nationalgalerie, das auf der Aus-
stellung in Düsseldorf 1832 großes Aufsehen
erregte, vom Rheinischen Kunstverein für
100 Taler angekauft wurde, als Lotterie-
gewinn in den Besitz des Konsuls Wagener
gelangte und von ihm später der National-
galerie vermacht wurde. Es stellt den Hei-
ligen dar, wie er seinen Kreuzesstab in den
Stumpf der gefällten Wotanseiche gestoßen
hat und die alte Heidenstätte dem Christen-
gotte weiht. Mehr gezeichnet als gemalt,
 
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