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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 21.1924/​1925

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Lill, Georg: Das Problem der Christlichen Kunst
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Mader, Felix: Der weiche Stil des 15. Jahrhunderts in der Plastik des Hochstiftes Eichstätt
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https://doi.org/10.11588/diglit.53139#0109

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DER WEICHE STIL D. 15. JH. IN D. PLASTIK D. HOCHSTIFTES EICHSTÄTT 85

Wir dürfen nie vergessen, daß' wir uns
in einem Übergangsstadium befinden. Nur
nicht in einer engherzigen Kurzsichtigkeit
die Augen vor dem auf steigenden Neuen ver-
schließen wollen, nur nicht mit Fanatismus
anderen Formen entgegentreten, sondern mit
liebevoller, doch kritischer Scheidung das
Echte vom Falschen sondern und all das,
hinter dem wirklich religiöses Empfinden
steht, zur Entwicklung kommen lassen. Die
Furcht vor dem Starken, Eigenkräftigen
liegt uns allen noch im Blut von der eigen-
artigen, defensiven Stellung des 19. Jahr-
hunderts her. Lassen wir auch besondere In-
dividualitäten zu Worte kommen, wenn sie
sich nur in die Linie des gemeinschaftlich
Möglichen stellen! Vielleicht erleben wir es
auch noch, daß wie in früheren Jahrhun-

derten ein Mäzen sich findet, der empor-
ringende jüngere Kräfte in ihrer ganzen
Eigenart an einer kleineren Kapelle zu Worte
kommen läßt. Wir haben schon solche künst-
lerisch Reife —- sie sind im wesentlichen in
der kirchlichen Abteilung der Deutschen Ge-
werbeschau zu sehen gewesen —, die aber
fast mehr an Andersgläubige als an ihre
Glaubensbrüder absetzen. Und gerade in
unserer Übergangszeit wäre es für manche
Entwicklung gut, wenn sie tatsächlich vor
eine größere Aufgabe gestellt würde. Auch
in dieser Beziehung brauchen wir mehr
Opfergeist und mehr Selbstvertrauen. Denn
schließlich führt nur ein Geschlecht, das sei-
ner Aufgaben bewußt und ihnen gewachsen
ist, die heranstürmenden Probleme einer
neuen, großen Zeitenwende zu ihrer Lösung.

DER WEICHE STIL DES 15. JAHRHUNDERTS IN DER PLASTIK
DES HOCHSTIFTES EICHSTÄTT

Von FELIX MADER

'V'u den nur sporadisch erforschten Perioden
der deutschen Plastik gehören die ersten
sieben Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts.
Was man unter dem geläufigen Begriff Spät-
gotik im Auge hat, sind Schöpfungen vom
Äusgang des Jahrhunderts. Die sind aber
sehr wesentlich verschieden von der voraus-
gehenden Periode, die einen gut doppelt
so großen Zeitraum umfaßt. Man hat letztere
unter der Bezeichnung »weicher Stil« zu-
sammengefaßt, eine Bezeichnung, die ein
augenfälliges Spezifikum der Periode trifft.
Die Kunst dieser großen Spanne Zeit
charakterisiert sich in der Tat durch eine
gewisse Weichheit der Formen und das in
geschlossener Weise: das körperliche Ideal
sowohl wie die Draperie steht unter diesem
Formgedanken.
Welches waren die Faktoren, die dieses
Ideal schufen? Die Frage ist schwer zu
beantworten. Sie geht in die Tiefe der
künstlerischen Metaphysik. Zweifellos be-
steht ein innerer Zusammenhang zwischen
der allgemeinen Kulturentwicklung der frag-
lichen Epoche und den neuen Bahnen, welche
die Kunst betritt. Nicht bloß die Plastik,
sondern auch die Architektur und Malerei
begannen um diese Zeit neue Wege zu gehen.
Es handelt sich also um eine allgemeine
Erscheinung, die mit kulturhistorischen
Plattheiten und verschwommenen Gemein-
sentenzen nicht zu erklären ist. Einen Finger-
zeig gibt die Entwicklung der Architektur.

Die Hochgotik des 14. Jahrhunderts stellt
die mathematische Konstruktion als archi-
tektonischen Wert in den Vordergrund. I11
diesem Sinn kann man sie als Ausdrucks-
kunst bezeichnen: Bestimmtheit, scharfe
Betonung des Wesentlichen, absolute Echt-
heit und strenge Logik begleiten sie auf
ihren schöpferischen Wegen. Der gleiche
Geist war in den Werkstätten der gleich-
zeitigen Bildhauer tätig. Die gotische Figur
des 14. Jahrhunderts erwuchs auf dem gleichen
strengen Kanon wie die Architektur, sie
hebt im Typus, in Haltung und Gewandung
die führenden, ausschlaggebenden Momente
hervor, zuweilen hart und übertrieben. Gegen
Ende des 14. Jahrhunderts, sporadisch schon
etwas früher, tritt ein Wechsel in der Ge-
sinnung der Architektur ein. Die Spätgotik
stellt das konstruktive Moment zurück, ihr
steht an erster Stelle der Raumgedanke. Der
spätgotische Raumgedanke ist ein anderer
als der der Hochgotik: die Hallenkirche
löst die Basilika ab. Auf die Tiefe und den
Umfang dieses Unterschiedes einzugehen,
ist hier nicht nötig. Eine wesentlich andere
Raumwelt, weit, groß, alle Beengung ab-
streifend, tritt uns in der spätgotischen
Hallenkirche entgegen. Die Konstruktion
wird durch das malerische Moment nicht
verdrängt, was sachlich ausgeschlossen ist,
aber in der Erscheinung weniger betont.
Der veränderten Gesinnung in der Archi-
tektur öffneten sich auch die Werkstätten
 
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