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DENKMALPFLEGE
Kunstamtes von Trient mit der Freilegung dieser
über iooo Jahre alten Werke. An der Südwand
des Kirchleins sieht man innerhalb einer gelben
und roten Einfassung ein leicht abfallendes Dach
mit einem in drei Teile gegliederten Aufsatz. Von
grünem Grund heben sich die Brustbilder dreier
Männer in Vorderansicht ab. Von diesem Dach,
das frei in der Luft schwebt, hängt eine Schaukel
herab, auf der ein Heiliger mit hochgezogenen
Knien sitzt, auf den von rechts eine Gruppe von
sechs Frauen blickt. Zu seiner Linken finden sich
noch fünf Frauengestalten mit abwechslungsweise
roten und schwarzen Kopfbedeckungen. Weniger
gut erhalten sind die Gemälde an der Westwand
(eine Herde von 14 Rindern mit zwei voraus-
schreitenden Hirten und einem Hund) und an der
Nordseite (nebeneinander gereihte Heilige in Vor-
deransicht und ein Engel mit ausgebreiteten Flü-
geln). Auf dem Triumphbogen entdeckte man
einen knienden Engel, der einen Kreuzstab in der
Hand hält. Dem Wiener Kunsthistoriker Dr. Jo-
sef Garber gelang auf Grund vergleichender Stu-
dien in irischen Evangeliaren (London und St.
Gallen) die Zuschreibung dieser Werke zur irisch-
keltischen Kunst, von der nur Werke der Minia-
turmalerei auf uns gekommen sind. In seiner Ar-
beit »Vorkarolingische Wandgemälde« werden die
Stileigentümlichkeiten scharf herausgehoben. »Die
Bilder machen keinen malerischen, sondern einen
rein zeichnerischen Eindruck. Sie erstehen auf der
leise graugetönten, natürlichen Mauerfläche als
Hintergrund ohne jede Perspektive und werden
von flachen, mit Punkten gemusterten Rahmen
umschlossen. Die Linie und die Fläche sind das
Beherrschende, alle Formen sind rein zeichnerisch
wiedergegeben. Selbst die Farbenstreifung in den
Gewändern entspringt nicht der Absicht, durch
Licht und Schatten zu modellieren, sondern ist
in ihrer regelmäßigen Anordnung rein dekorative
Flächenfüllung«. Zum Zwecke der stilgerechten
Wiederherstellung dieser Kirche hat sich die Sankt
Proculus-Bruderschaft zusammengeschlossen, de-
ren verdienstvoller Präsident August Kleeberg
in einer kleinen Broschüre » Die Proculuskirche «
die Entdeckung und Wiederherstellung dieser un-
gemein kostbaren Gemälde schildert. Die wert-
volle Broschüre, der man nur Abbildungen wünscht,
enthä t auch Beiträge zur Geschichte und Ikonogra-
phie des heute fast unbekannten Heiligen, b. B.
EIN KÜNSTLERISCHES
GESCHICHTSDENKMAL
AN DEUTSCHLANDS NORDGRENZE
T fiel zu wenig beachtet wird noch immer die
* Tatsache, daß die Bau- und Kunstdenkmäler
unserer Vergangenheit eine Fülle geschichtlicher
Beziehungen enthalten und daher füglich mit als
wichtigste Quellen unserer vaterländischen Ge-
schichte gewürdigt zu werden verdienen. Nicht
immer ist ihre Sprache leicht zu verstehen, bis-
weilen aber reden sie auch — zumal durch In-
schriften — aufs deutlichste, so daß richtiges Ver-
ständnis und Urteil wertvollste Aufklärungen und
Schlüsse daraus zu ziehen imstande sind. Als ein
derartiges Denkmal hat der Provinzialkonservator
von Schleswig-Holstein, Geh. Reg.-Rat Dr.R.Haupt
(47. Band der Zeitschrift für Schleswig-Holstei-
nische Geschichte 1917) ein romanisches Relief
nachgewiesen, das als Lünette zum Abschlüsse der
Peterspforte des Domes zu Schleswig dient. Das
aus Sandstein von Schonen hergestellte Werk zeigt
in der Mitte den thronenden Heiland. Ihn um-
geben die Sinnbilder der Evangelisten. F'erner
stehen zu seiner Rechten der Kirchenschutzheilige
St. Petrus, hinter diesem der Stifter des Domes
Knut der Große; zur Linken Christi sieht man
einen stehenden Heiligen, den Haupt als den
Schutzheiligen des Bistums, wie des Pfarrchores
des Schleswiger Domes St. Lorenz nachgewiesen
hat. Daß der Heilige alt und bärtig dargestellt
ist, ändert an dieser Erklärung nichts. Haben doch
Kraus und auch Wilpert Beispiele dafür aus früher
Zeit der christlichen Kunst beigebracht. So weit
unterscheidet sich das Relief nicht wesentlich von
zahlreichen andern. Wodurch es aber einzeln da-
steht, ist die Inschrift. Sie sollte Platz finden auf
einem Schriftbande, das Jesus dem hl. Lorenz über-
reicht. Da sie aber viel zu lang dafür war, so
mußte ihr größter Teil seitwärts (hinter St. Lo-
renz) und unten untergebracht werden. Die In-
schrift ist durch Haupt freigelegt worden. Sie
besteht aus zwei leoninischen Hexametern und
zeigt folgende verstümmelte Form: [T]u michi.
undi depelle tyrannum Et revoca genftes] . . .
tr.colentes. Die in [ ] gesetzten Buchstaben
sind ohne weiteres ergänzbar. Anders steht es
mit den sonst fehlenden. Es ist nun behauptet
worden, die Inschrift habe lediglich einen religiösen
Sinn und bedeute die an St. Lorenz gerichtete
Aufforderung, den Teufel zu vertreiben und die
Menschen zurückzui ufen, die [den Herren??] ver-
ehren. Mit überzeugenden Gründen weist Haupt
nach, daß eine solche allgemeine Bedeutung nicht
vorliege; die Inschrift vielmehr einen politischen
Sinn und Zweck besitzt. Zu der Zeit, als jenes
Relief entstand, in jener zugleich, die für den
Kirchenbau in Schleswig die wichtigste war, hatte
den Bischofssitz em geborener Deutscher inne,
ein nach Lund übersiedelter Domherr Hermann,
der zu den eifrigsten Vorkämpfern des Dänen-
tums gegenüber dem Deutschtum gehörte. Zwi-
schen Schleswig und Lund bestanden nahe poli-
tische und kunstgeschichtliche Beziehungen (vgl.
Haupt in der genannten Zeitschrift, Band 46). Her-
mann war aber nur kurze Zeit Bischof von Schles-
wig, weil er 1138, kaum zur Herrschaft gelangt,
von der deutschen Partei schon wieder vertrieben
wurde. Ihm schreibt Haupt die Stiftung des Re-
liefs zu und ergänzt die vorerwähnte Inschrift
Tu michi Germanum mundi depelle tyrannum Et
revoca gentes Petrum pietate colentes. Haupts
Auffassung geht also dahin, Hermann habe hier
eine Hohninschrift auf die Deutschen, und eine
Aufforderung, »den deutschen Welttyrannen« zu
vertreiben, anbringen lassen. Die Stiftung müßte
freilich erst nach seiner eigenen Vertreibung er-
folgt sein. Abgesehen von dieser Unwahrschein-
lichkeit dünkt mich, daß auch der Reim Germa-
num— tyrannum in den sonst durchaus sorgfältigen
Versen nicht gut sei. Er wird es aber in unan-
fechtbarer Art, wenn man (wie ich dem gegenüber
vorzuschlagen wage) ergänztHermannum undnicht
mundi (es ist auch fundi vermutet worden), son-
dern Lundi liest: Tu michi Hermannum Lundi
depelle tyrannum usw. (Du vertreibe mir den Her-
mann, den Tyrannen von Lund usw.) Dann erhält
die Inschrift einen klaren Sinn von solcher Schärfe,
daß wohl zu verstehen ist, warum die fehlenden
Worte absichtlich beseitigt worden sind. Es er-
gibt sich also die Aufforderung, Hermann, den
Tyrannen von Lund (er hatte großen Einfluß da-
selbst) zu vertreiben (was ja auch geschah) und
DENKMALPFLEGE
Kunstamtes von Trient mit der Freilegung dieser
über iooo Jahre alten Werke. An der Südwand
des Kirchleins sieht man innerhalb einer gelben
und roten Einfassung ein leicht abfallendes Dach
mit einem in drei Teile gegliederten Aufsatz. Von
grünem Grund heben sich die Brustbilder dreier
Männer in Vorderansicht ab. Von diesem Dach,
das frei in der Luft schwebt, hängt eine Schaukel
herab, auf der ein Heiliger mit hochgezogenen
Knien sitzt, auf den von rechts eine Gruppe von
sechs Frauen blickt. Zu seiner Linken finden sich
noch fünf Frauengestalten mit abwechslungsweise
roten und schwarzen Kopfbedeckungen. Weniger
gut erhalten sind die Gemälde an der Westwand
(eine Herde von 14 Rindern mit zwei voraus-
schreitenden Hirten und einem Hund) und an der
Nordseite (nebeneinander gereihte Heilige in Vor-
deransicht und ein Engel mit ausgebreiteten Flü-
geln). Auf dem Triumphbogen entdeckte man
einen knienden Engel, der einen Kreuzstab in der
Hand hält. Dem Wiener Kunsthistoriker Dr. Jo-
sef Garber gelang auf Grund vergleichender Stu-
dien in irischen Evangeliaren (London und St.
Gallen) die Zuschreibung dieser Werke zur irisch-
keltischen Kunst, von der nur Werke der Minia-
turmalerei auf uns gekommen sind. In seiner Ar-
beit »Vorkarolingische Wandgemälde« werden die
Stileigentümlichkeiten scharf herausgehoben. »Die
Bilder machen keinen malerischen, sondern einen
rein zeichnerischen Eindruck. Sie erstehen auf der
leise graugetönten, natürlichen Mauerfläche als
Hintergrund ohne jede Perspektive und werden
von flachen, mit Punkten gemusterten Rahmen
umschlossen. Die Linie und die Fläche sind das
Beherrschende, alle Formen sind rein zeichnerisch
wiedergegeben. Selbst die Farbenstreifung in den
Gewändern entspringt nicht der Absicht, durch
Licht und Schatten zu modellieren, sondern ist
in ihrer regelmäßigen Anordnung rein dekorative
Flächenfüllung«. Zum Zwecke der stilgerechten
Wiederherstellung dieser Kirche hat sich die Sankt
Proculus-Bruderschaft zusammengeschlossen, de-
ren verdienstvoller Präsident August Kleeberg
in einer kleinen Broschüre » Die Proculuskirche «
die Entdeckung und Wiederherstellung dieser un-
gemein kostbaren Gemälde schildert. Die wert-
volle Broschüre, der man nur Abbildungen wünscht,
enthä t auch Beiträge zur Geschichte und Ikonogra-
phie des heute fast unbekannten Heiligen, b. B.
EIN KÜNSTLERISCHES
GESCHICHTSDENKMAL
AN DEUTSCHLANDS NORDGRENZE
T fiel zu wenig beachtet wird noch immer die
* Tatsache, daß die Bau- und Kunstdenkmäler
unserer Vergangenheit eine Fülle geschichtlicher
Beziehungen enthalten und daher füglich mit als
wichtigste Quellen unserer vaterländischen Ge-
schichte gewürdigt zu werden verdienen. Nicht
immer ist ihre Sprache leicht zu verstehen, bis-
weilen aber reden sie auch — zumal durch In-
schriften — aufs deutlichste, so daß richtiges Ver-
ständnis und Urteil wertvollste Aufklärungen und
Schlüsse daraus zu ziehen imstande sind. Als ein
derartiges Denkmal hat der Provinzialkonservator
von Schleswig-Holstein, Geh. Reg.-Rat Dr.R.Haupt
(47. Band der Zeitschrift für Schleswig-Holstei-
nische Geschichte 1917) ein romanisches Relief
nachgewiesen, das als Lünette zum Abschlüsse der
Peterspforte des Domes zu Schleswig dient. Das
aus Sandstein von Schonen hergestellte Werk zeigt
in der Mitte den thronenden Heiland. Ihn um-
geben die Sinnbilder der Evangelisten. F'erner
stehen zu seiner Rechten der Kirchenschutzheilige
St. Petrus, hinter diesem der Stifter des Domes
Knut der Große; zur Linken Christi sieht man
einen stehenden Heiligen, den Haupt als den
Schutzheiligen des Bistums, wie des Pfarrchores
des Schleswiger Domes St. Lorenz nachgewiesen
hat. Daß der Heilige alt und bärtig dargestellt
ist, ändert an dieser Erklärung nichts. Haben doch
Kraus und auch Wilpert Beispiele dafür aus früher
Zeit der christlichen Kunst beigebracht. So weit
unterscheidet sich das Relief nicht wesentlich von
zahlreichen andern. Wodurch es aber einzeln da-
steht, ist die Inschrift. Sie sollte Platz finden auf
einem Schriftbande, das Jesus dem hl. Lorenz über-
reicht. Da sie aber viel zu lang dafür war, so
mußte ihr größter Teil seitwärts (hinter St. Lo-
renz) und unten untergebracht werden. Die In-
schrift ist durch Haupt freigelegt worden. Sie
besteht aus zwei leoninischen Hexametern und
zeigt folgende verstümmelte Form: [T]u michi.
undi depelle tyrannum Et revoca genftes] . . .
tr.colentes. Die in [ ] gesetzten Buchstaben
sind ohne weiteres ergänzbar. Anders steht es
mit den sonst fehlenden. Es ist nun behauptet
worden, die Inschrift habe lediglich einen religiösen
Sinn und bedeute die an St. Lorenz gerichtete
Aufforderung, den Teufel zu vertreiben und die
Menschen zurückzui ufen, die [den Herren??] ver-
ehren. Mit überzeugenden Gründen weist Haupt
nach, daß eine solche allgemeine Bedeutung nicht
vorliege; die Inschrift vielmehr einen politischen
Sinn und Zweck besitzt. Zu der Zeit, als jenes
Relief entstand, in jener zugleich, die für den
Kirchenbau in Schleswig die wichtigste war, hatte
den Bischofssitz em geborener Deutscher inne,
ein nach Lund übersiedelter Domherr Hermann,
der zu den eifrigsten Vorkämpfern des Dänen-
tums gegenüber dem Deutschtum gehörte. Zwi-
schen Schleswig und Lund bestanden nahe poli-
tische und kunstgeschichtliche Beziehungen (vgl.
Haupt in der genannten Zeitschrift, Band 46). Her-
mann war aber nur kurze Zeit Bischof von Schles-
wig, weil er 1138, kaum zur Herrschaft gelangt,
von der deutschen Partei schon wieder vertrieben
wurde. Ihm schreibt Haupt die Stiftung des Re-
liefs zu und ergänzt die vorerwähnte Inschrift
Tu michi Germanum mundi depelle tyrannum Et
revoca gentes Petrum pietate colentes. Haupts
Auffassung geht also dahin, Hermann habe hier
eine Hohninschrift auf die Deutschen, und eine
Aufforderung, »den deutschen Welttyrannen« zu
vertreiben, anbringen lassen. Die Stiftung müßte
freilich erst nach seiner eigenen Vertreibung er-
folgt sein. Abgesehen von dieser Unwahrschein-
lichkeit dünkt mich, daß auch der Reim Germa-
num— tyrannum in den sonst durchaus sorgfältigen
Versen nicht gut sei. Er wird es aber in unan-
fechtbarer Art, wenn man (wie ich dem gegenüber
vorzuschlagen wage) ergänztHermannum undnicht
mundi (es ist auch fundi vermutet worden), son-
dern Lundi liest: Tu michi Hermannum Lundi
depelle tyrannum usw. (Du vertreibe mir den Her-
mann, den Tyrannen von Lund usw.) Dann erhält
die Inschrift einen klaren Sinn von solcher Schärfe,
daß wohl zu verstehen ist, warum die fehlenden
Worte absichtlich beseitigt worden sind. Es er-
gibt sich also die Aufforderung, Hermann, den
Tyrannen von Lund (er hatte großen Einfluß da-
selbst) zu vertreiben (was ja auch geschah) und