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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 3
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0118

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RUNDSCHAU

Corinth-Gedächtnis
Ein toter Riese, der vor einem halben Jahre von dannen ging, ist wieder lebendig ge-
worden und breitet die Fülle seines Lebenswerkes vor uns aus. An drei Stellen finden
zur Zeit in Berlin die Gedächtnisausstellungen statt und die öffentliche Meinung ist voll
von dem Namen dieses Einzigen, der wie ein neuer Rembrandt dem Grab entstiegen ist.
Die Räume der Sezession sind mit Hunderten von Zeichnungen gefüllt, die den
Ernst und das Ringen dieses Künstlers belegen, der nie stille stand und bis zum letzten
Atemzug ein Suchender blieb. Unerhörte Kostbarkeiten sind da aus den Kabinetten der
öffentlichen Sammlungen und aus Privatbesitz ans Licht gekommen, Dinge, deren
Kenntnis für alle die unentbehrlich ist, die die große Gedächtnisschau der National^
galerie von Grund auf verstehen wollen. Denn was die Sezession ausbreitet, das öffnet
den Blick in die Werkstatt des Malers. Die Zeichnungen stehen fast ausnahmslos im
Zusammenhang mit dem malerischen Werk eines Lovis Corinth. Es sind da die ersten
primären Regungen erkennbar, die dem Schöpferdrang des Künstlers den Weg zu so
vielen seiner herrlichsten Offenbarungen als Maler gewiesen haben. Auch die graphische
Hinterlassenschaft wird ähnlich durch Dutzende von Studien belegt. Und insofern ist
die Kenntnis dieser Zeichnungen auch für den wichtig, der nun in der Ausstellung der
Akademie am Pariser Platz einen Überblick über das Vermächtnis des Graphikers ge-
winnen will. Auch das ist in seiner Art so ungewöhnlich, daß man schon einige Jahr-
hunderte in der Kunstgeschichte zurückgehen muß, um einen analogen Fall von einem
Reichtum der Gesichte festzustellen, und auch der heißt wiederum Rembrandt.
Dann aber das Vermächtnis des Malers Corinth, das Justis bewundernswerte Initia-
tive, unterstützt von der Witwe des Künstlers, zusammengetragen hat und das nun mit
Hunderten von Bildern die beiden geräumigen Obergeschosse der Nationalgalerie
füllt. Selbst der Kenner und Biograph des Meisters erlebt da Überraschung auf Über-
raschung und der Gesamteindruck, der sich von Besuch zu Besuch dieser Ausstellung
immer wieder steigert, heißt Erschütterung im besten Sinne des Wortes. Das rührt nicht
nur an den reinen künstlerischen Instinkt des Genießenden, sondern greift unmittelbar
an die Seele des Beschauers, der hier einem Gesamtwerk gegenübersteht, dessen Aus-
maß seinesgleichen in der Kunstgeschichte kaum hat. Denkt man dabei an die tiefe
Tragik des Lebens, die diesem Schöpfer beschieden war, der erst nach der schweren
Erschütterung seiner physischen Natur durch den Schlaganfall im Jahre 1911 die Kraft
zum Schauen in die Unendlichkeit gewann, der im Verebben seiner körperlichen Mittel
das reiche und tausendstimmige Werk seiner inneren Gesichte aufbauen konnte, dann
steht man doppelt ergriffen vor diesem Wunder, das wohl auf Jahrhunderte hinaus ein-
malig bleiben wird. Was dieser Corinth in den letzten dreizehn Jahren seines Lebens
geschaffen, ist so überwältigend, daß jede kunsthistorische Reminiszenz überhaupt ver-
sagt. Aber während im Werk seiner realistischen Epoche, und zumal in den Anfängen
hier und dort ferne Einflüsse noch zuweilen spürbar sind — obwohl auch diese Epoche
heute im Ganzen schon so bezwingend groß im Rahmen damaliger Kunst erscheint —
ist Corinth nach igi2 immer ganz er selbst, der durch nichts mehr beengte Gestalter
seiner Gesichte, der Sänger seiner Farben und seiner Sonnen, die ihresgleichen nir-
gends mehr haben.
Die Einmaligkeit dieses Schicksals ist das Erschütternde. An dieses Werk reicht
nichts heran, was sonst in Deutschland gleichzeitig erstand. Frühe Überzeugung, die
sich der Größe dieses Einzigen vor anderthalb Jahrzehnten opferte, findet in der Ge-
dächtnisschau der Nationalgalerie ihre letzte Bestätigung.
Der Cicerone, der immer und immer wieder Vorkämpfer der Corinthschen Größe ge-
wesen ist, wird auch noch die Tatsachen dieser Gedächtnisausstellungen eingehend ver-
arbeiten, und so soll diese erste Vornotiz nicht mehr geben als einen nachdrücklichen
Hinweis auf die Bedeutung dieser drei Berliner Ausstellungen, mit denen in erster Linie
Charlotte Berend, die Witwe des Künstlers, ihrem verstorbenen Gatten das schönste
Totenmal errichtet hat, das überhaupt zu denken war. Justi aber, der die Nationalgalerie
für das Werk dieses Größten freimachte, hat sich damit ein Verdienst gesichert, das
ihm die Geschichte nie vergessen wird, und wer heute etwa noch Zweifel an der Be-
rufung dieses Galerieleiters laut werden lassen wollte, würde nur dem Hohn der
Öffentlichkeit verfallen.
Zu bedauern bleibt angesichts der Liberalität von Museen und Privaten allein die Tat-

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