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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 24
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Henke, Karl: Heinrich Stegemann
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0813

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Heinrich Stegemann
Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln Von KARL HENKE

SCHNELLER als wir dachten, beginnt in der jüngsten Malerei die expres-
sionistische Spannung zwischen der empirischen Erscheinung und den
Gebilden der Kunst sich zu lösen: die Naturform kommt wieder zu Ehren. Ein
geheimnisvoller Zusammenhang scheint in der Struktur der menschlichen
Seele angelegt zu sein zwischen bildnerischer Begabung und einer besonderen
Liebe zu konkreter irdischer Dinglichkeit, so daß die Malerei, wie das schwin-
gende Pendel in seinem Umkehrpunkt, sich mit innerer Notwendigkeit nur
für einen Augenblick so weit von der Naturform entfernen konnte, wie sie
es in der letzten Epoche getan hat.
Wenn aber ein solcher Zusammenhang wirklich besteht, wie hat es denn
überhaupt zu dieser Entfremdung zwischen Natur und Kunst kommen können?
Offenbar haben die Revolutionäre unserer Kunst gefühlt, daß auch in den
äußeren Formen neu begonnen werden muß, wenn es wieder einmal gilt, die
zur Seite gedrängte Geistigkeit in die Mitte unseres Daseins zu rücken. Der
Impressionismus, aus derselben Grundeinstellung zur Welt entsprungen wie
die materialistische Philosophie und die allgemeine Mechanisierung des Lebens,
hatte die Frage nach einem Wesen hinter der Oberfläche verboten und an
seinem Teil mitgeholfen, den Kultus des Naturgesetzes zu schaffen. So mußte
die neue Kunst wohl zuerst diese alten Götter zerschlagen, mußte vor allem das
impressionistische Verhältnis zur Außenwelt von Grund aus umkehren, um
ihren Tempel für das „Reich der Seele“ aufrichten zu können.
Aber einheitlich ist diese Wendung, die durch unsere ganze Kunst ging,
doch nur in ihrem letzten Ziel einer neuen Besinnung und Innerlichkeit,
und sie ist in dem Namen des Expressionismus nur sehr lose zusammen-
gefaßt. So im Grund ihrer Seele verschiedene Naturen wie Marc und Schmidt-
Rottluff, Kandinsky und Nolde, Klee und Kokoschka mußten auf ganz ver-
schiedenen Wegen nach anderen Ausdrucksmitteln suchen, und so war
auch der Vorgang und das Ergebnis ihrer Abkehr von der Naturform durch-
aus verschieden. Die wirklichkeitsfremde, auf das Theoretische und Ab-
strakte gerichtete Art Kandinskys wollte eine ganz unvermittelte Darstellung
ihrer Ideen und seelischen Zustände, so daß in seinen gegenstandslosen „Kom-
positionen“ eine ganz neue Kunstgattung entstanden ist. Dagegen stellen
andere Expressionisten, wie etwa Nolde und Meidner, einen von diesem ganz
verschiedenen Typus revolutionärer Naturen dar, der vielleicht das größte An-
recht darauf hat, seine Kunstrichtung nach dem Ausdruckswillen zu be-
nennen. Diese Künstler haben nie völlig auf den Gegenstand verzichtet, aber
sie unterwarfen ihn der Willkür ihrer Persönlichkeit, indem sie diejenigen
Züge übersteigerten, die ihrem bewegten Herzen am ersten zum Ausdruck
werden konnten.
Eine dritte Gruppe, zu der etwa Marc und Heckei gehören, umfaßt mehr
auf das Objektive gerichtete Naturen, für die es härtere Kämpfe gekostet
haben mag, sich von der empirischen Naturform zu lösen. So wollte Marc
die innere Natur seiner Tiere aufdecken — er verzweifelte daran, den wahren
Menschen überhaupt erfassen zu können ■— und ging dabei Schritt für Schritt
weiter in der Vereinfachung seiner Gestalten, nirgends subjektiv übersteigernd,
sondern nur bemüht, ihr inneres Wesen immer klarer hervortreten zu lassen.
Will man diese typischen Unterschiede innerhalb des Expressionismus scharf

Der Cicerone, XVIII. Jahrg., Heft 24

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