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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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Rachlis, Michael: Die Frage nach dem "Stil": eine Antwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0024

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INNEN-DEKORATION

michael rachl1s—berlin

intarsia eines schrankes

DIE FRAGE NACH DEM »STIL«

eine antwort von michael rachlis

Die Frage: wieviel Jahre vor Christi Geburt.Perikles ge-
boren wurde, die heute jeder Schuljunge beantworten
kann, hätte seinerzeit Perikles selbst in die größte Ver-
legenheit gebracht. In dieselbe Verlegenheit bringt heute
mich und gerade die tüchtigsten und ehrlichsten meiner
Kollegen die Frage: »In welchem Stil arbeiten Sie?«..

*

Um das zu beantworten ist Zeit-Distanz nötig. Es gibt
eben Fragen, die man selbst in seiner Zeit nicht beant-
worten kann, sondern die man zukünftigen Geschichts-
schreibern mit großen runden Hornbrillen überlassen
muß. Der Architekt des späten Mittelalters wußte nicht,
daß er »gotisch« arbeitet. Der des frühen Mittelalters
sagte nicht: »ich arbeite romanisch« —und Perikles wußte
eben nicht, wann er nach unserer Zeitrechnung geboren
ist . . Wir wissen in Bezug auf unsere Kunst in Fragen,
zu deren Klärung Zeitdistanz gehört, genau so wenig . .

Arbeiten wir »modern«?...........

Mit der Bezeichnung »modern« ist garnichts"" gesagt,
wenn man das Wort allgemein nimmt, (jede Zeit, die etwas
Neues geschaffen hat, arbeitete in diesem Sinne modern)
— und etwas ganz anderes gesagt, als man sagen will,
wenn man das Wort genau nimmt, da sich die Begriffs-
definition dieses Wortes in einer ganz anderen Ebene be-
findet, als man allgemein annimmt............

Von zwei Künstlern, die ähnlich, manchmal beinahe
täuschend ähnlich arbeiten, arbeitet meistens der eine
ehrlich, — der andere modern. Der eine aus Überzeugung,
der andere nach der Mode. Der eine sucht neue Formen:
aus der Uberzeugung, daß es für die Lebensformen
seinerZeit auch Architektur-Formen geben muß,
die zu dieser Zeit besser passen, als alle in den verschie-
densten Zeitaltern dagewesenen; aus dem Bedürfnis einer
Evolution, Vervollständigung, aus einem Bedürfnis: neue,
bessere Formen zu erleben, zu ersehen, zu schaffen.
Um diese suchenden, ringenden Künstler gruppieren sich
diejenigen, die ihrem Schaffen das Äußerliche absehen

und schnell zur Schablone verarbeiten. Mit spitzem Ohr
spähen sie aus: »Was ist 1921, 22 oder 23 modern?«
Das sind eben diejenigen, die »modern« arbeiten. Modern
ist immer der Gassenhauer seiner Zeit. Modern werden
erlebte Formen, wenn sie banalisiert, aus der zwanzigsten
Hand an das nach Saison-Neuigkeiten gierig japsende
Publikum gelangen. Modern werden Formen, wenn sie
»konfektioniert« sind .. Ist es wirklich nötig, daß die nicht
modern, sondern Neuschaffenden irgendein Wört-
chen für sich handelsgerichtlich eintragen lassen sollen? .

*

Ich ziehe vor, die Frage: »In welchem Stil arbeiten
Sie?« vorerst unbeantwortet zu lassen; da die Sorge,
daß es überhaupt ein Stil und nicht ein »Stilchen« werden
soll, das was wir Suchenden alle und Schaffenden machen,
viel größer ist, als die Sorge um den Namen. Soll es
ein »Stil« werden, so wird die Zukunft ihm schon einen
Namen geben. Sie wird aber das Echte, Primäre, Er-
lebte und das »Moderne« sehr leicht auseinander halten
können. Genau so wie bei Ausgrabungen von antiken
Plastiken die einen als Originale, die andern als Kopien
oft unbekannter Originale erkannt werden. »Wie kann
man das?« fragt der Laie. Man sieht es ihnen eben an,
daß es Kopien sind, wenn man auch die Originale nicht
kennt. Weil sie nie die Qualität der aus Überzeugung

entstandenen, echten Kunstwerke haben!.....



Es wird aber immer neben wirklicher Kunst: Kunst-
mode, Kunstkonfektion geben. Neben wirklichen Künst-
lern »Kunstkonfektionäre«, und es werden immer nur
wenige sich wirkliche Kunst und nicht Kunstkonfektion
leisten können; am wenigsten diejenigen, die den Unter-
schied nicht sehen und nicht fühlen! . Diese werden
und sollen auch von der Kunstkonfektion bedient und
beliefert werden, da die Kunstkonfektion serviler, galanter,
rühriger und unter allen Umständen geschäftstüchtiger
ist, als die Kunst. . Daran ist nichts zu ändern! . . m.r.
 
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