Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

DOI Artikel:
Prinzhorn, Hans: Ausdruck und Gestaltung
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0226

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

205

DR. O. W1.ACH
BÜCHERTISCH
MIT KL. BAR-
SCHRANK

AUSDRUCK UND GESTALTUNG

Wenn das Kind bunte Steinchen auf seine Sandkuchen
legt, wenn wir Blumen in unserem Garten pflanzen,
so liegt in diesen verschiedenen Betätigungen, wie in
allem »Schmücken« eine ganz allgemeine Tendenz: Be-
reicherung der Umwelt, des äußeren Weltbildes durch
Hinzufügen von anschaulichen Elementen. Diese Tendenz
ist wie der »Betätigungs-Drang« oder Spieltrieb eine
psychologische Tatsache, ein Bedürfnis des Menschen,
sich nicht völlig passiv der Umwelt einzuordnen, sondern
ihre Spuren seines Daseins einzuprägen — über den Be-
reich »zweckhafter« Tätigkeit hinaus . . Dies Bedürfnis
erstreckt sich auf alles, was die Notdurft des täglichen
Lebens erschuf: auf Hausung, Kleidung, Werkzeug,
Waffe und alles Gerät, das in der Folge entstand.
Jedes Gestaltete zeugt ausnahmslos für diesen Grund-
Drang des Menschen, seine Umwelt zu »bereichern« . .

Der Sinn des »Ornaments« liegt darin, daß es erstens
schmückt und zweitens ein Eigen-Gesetz in sich trägt:
eine Ordnung, die nicht von einem Darstellungs-Stoff,
sondern von abstrakten formalen Prinzipien diktiert ist.
Ornament ist eine von Ordnungs-Gesetzen beherrschte
Schmuckform . . Alle geformten, »rhythmischen« Aus-
drucks-Bewegungen und deren Niederschläge sind als
Träger von »Lebens-Vorgängen« vor jenen anderen Er-
scheinungen hervorzuheben, die nachmeßbar »geregelt«
sind. Die Gewöhnung an maschinelle »Gleichförmig-
keit« hat es verschuldet, daß heute die Ansprechbarkeit

durch lebendige »rhythmische« Werte außerordentlich
gering ist. Da nun aber eben hierin die Fähigkeit, Ge-
staltetes zu erfassen und zu werten, vorwiegend be-
ruht, so soll an dem Wortgebrauch festgehalten werden:
Regel und Gesetz als »mechanische Gleichförmigkeit«
zu bestimmen, den Rhythmus aber als »lebendig gleich-
förmige Bewegtheit«. Beides liegt auf dem Wege der
Ordnungs-Tendenz. Der Grad der rhythmischen Belebt-
heit eines Werkes bestimmt seinen Rang als eines »Ge-
stalteten« . . Je tiefer das Ausdruck-Phänomen im Indi-
viduum verankert ist, desto machtloser findet sich der
nur mit »Maß und Begriff« Erkennen-Wollende ihm
gegenüber . . Ausdrucks-Bewegungen haben die Eigen-
schaft, »Seelisches« zu verkörpern, sodaß es uns un-
mittelbar im Mit-Erleben gegeben ist. Sie dienen alle
dazu, die Brücke zu schlagen vom »Ich« zum »Du« . .

Das Seelische läßt sich nicht »darstellen« im strengen
Sinne, sondern nur »symbolisch« repräsentieren, in-
dem der »Rhythmus« der Linien, das »Verhältnis« der
Formen, die »Symbolik« der Farben uns Gefühls-Er-
lebnisse vermitteln. Zum Wesen des Symbol-Bedürfnisses
gehört immer, daß es Ordnungs-Systeme hervorlockt . .

Immer streben Ausdrucks-Bedürfnis und Gestaltungs-
Drang des Menschen nach Vollendung in der Form.
Wir glauben »Vollkommenheit« eines Werkes nicht
anders ausdrücken zu können als: höchste Lebendig-
keit in vollendeter Gestalt. . . dr.hans prinzhorn.
 
Annotationen