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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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Ritter, Heinrich: Von der zusammengefassten Kraft: Geist und Wille im Daseinskampf
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0306

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XXXIV. JAHRGANG.

DARMSTADT.

OKTOBER 1923.

VON DER Z US AMMENGEFASSTEN KRAFT

GEIST UND WILLE IM DASEINSKAMPF

Man spricht davon, daß ein Mensch in schwie-
rigen Lagen des Lebens »sich zusammen-
nimmt«. Das bedeutet, wir trauen dem Menschen
zu, daß er in sich selbst, ohne Zufuhr von Außen,
eine neue Kraftquelle eröffnet, indem er schlum-
mernde und verstreute Energien in sich aufruft
und zusammenballt. Das Wesen der lebendi-
gen Kraft ist geheimnisvoll. Sie scheint an einen
kräftigen, gediegenen Körper gebunden und ge-
radezu von ihm abhängig. Aber ebenso oft be-
hauptet sie sich siegreich im schwachen oder kran-
ken Körper und reißt ihn wieder ins Leben zu-
rück. Sie ist vornehmlich Geist und Wille.
Keine äußere Lage ist für sie ohne Ausweg. Sie
vollbringt, vom Standpunkt unseres materialisti-
schen Denkens gesehen, wahre Wunder, indem
sie vom Geist her tief ins Stoffliche hineinwirkt
und es ihrer Gestaltung unterwirft. Zusammen-
gefaßte Kraft ist es, was sich in uns dem er-
drückend Zuständlichen entgegenstemmt und ihm
befiehlt: Nicht wie du willst, sondern wie ich
will! Wir haben es jederzeit in unserer Hand,
Objekte oder Subjekte des Geschehens zu sein.
»Wirst du das Leben, wird das Leben dich ge-
stalten? so prägte Richard Dehmel die Schicksals-

frage, die an jeden Menschen, an jede Zeit und
jedes Volk ergeht. Sie gilt für alle Gebiete
menschlicher Betätigung und Erfahrung. Jedes
echt gelebte Leben besteht aus einer fortlaufenden
Kette von Selbstbehauptungen. Sie beginnt schon
frühe beim jungen Menschen, indem er die Zeit
der Angst, des Zorns und der Gewitter über-
dauern und sich gegenüber den ersten geistigen
Bedrohungen in seinem Dasein erhalten muß.
Sie setzt sich fort im tätigen Leben, wo es gilt,
tausend Verlockungen gegenüber den eigenen
Charakter zu bewahren, fest, unbestechlich zu
sein inmitten einer Umgebung, die jedem sein
Eignes und Kostbarstes abzulisten sucht, Herr
zu werden über die eigene Trägheit, Herr zu
werden über widrige Umstände und erdrückende
Lebenslagen. Alles was entgegensteht, scheint zu-
nächst riesenhaft und unüberwindlich. Aber in
zahlreichen Sagen, diesen frühesten und stärksten
Menschengedanken, haben die Völker sich erzählt,
daß David den Goliath, der Däumling den gierigen
Menschenfresser, die Biene den Bären überwindet.
Geist und Wille behalten gegen die gigantisch
aufgetürmte Materie doch den Sieg. Dies ist das
Wissen, das wir heute brauchen . . Heinrich ritter.

1823. X. 1.
 
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