Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0352
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Schmitz, Oscar A. H.: Entzweiung und Einheit: Polarität und Gleichgewicht
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INNEN-DEKORATION
331
ARCHITEKT
B. PARKER
HALLE, HAUS
IN NEWTON
ENTZWEIUNG UND EINHEIT
POLARITÄT UND GLEICHGEWICHT
Nach dem »Polaritäts-Gesetz«, — dessen Anwen-
dung auf die Natur-Erscheinungen den Wert der
Goetheschen Farbenlehre ausmacht, — entsteht »Schöpf-
ung« durch »Entzweiung« des Einen. Im Anfang ent-
zweite sich die Gottheit in Schöpfer und Geschöpf. Das
Wesen der Schöpfung ist Vielheit. Jedes Einzelne will
sich erhalten und scheut zu diesem Zweck nicht vor der
Vernichtung anderer zurück, sucht aber zugleich, der
gänzlichen Vereinzelung dennoch abgeneigt, Verbindung
mit ihnen . . Wo liegt der Sinn dieses Widerspruchs? .
Es sind offenbar zwei einander entgegengesetzte
Kräfte im Spiel: der Selbsterhaltungs-Trieb, der die
»Vereinzelung« enthält, auch »Wille zur Macht« genannt,
und der Vereinigungs-Trieb, der nichts anderes
ist als der »Eros« der Alten . . Wenn überhaupt ein
Sinn in die Wirkung dieses Gegensatzes gebracht
werden kann, so muß er im Ausgleich dieser Kräfte
liegen . . Wir erleben uns selbst als Einzelnes, das sich
erhalten und zugleich vereinen will. All unser Leiden
läßt sich auf diesen selben Gegensatz in uns zurückführen;
all unser Hoffen auf seine etwaige Überbrückung. Der
»Sinn des Lebens« liegt im Ausgleich seiner zwei Gegen-
kräfte in der Seele des Menschen, — so zwar, daß die
Schöpfung in der Vielseitigkeit ihrer Vereinzelung er-
halten bleibt, aber zugleich durch die Verbindung des
Eros das Bewußtsein ihrer ursprünglichen Einheit bewahrt.
Der schöpferische Geist nimmt die Mitte zwischen
den beiden Polen ein, aber nicht etwa ängstlich einen
vorsichtig-mittleren Kurs einschlagend, sondern auf einer
höheren Ebene keinem der beiden Pole ausweichend und
beide beherrschend . . Jedes gelungene Kunstwerk ist
davon ein Beweis . . Das »Selbst«, — zwischen den
beiden Polen — ist die weltschaffende Gottheit, die sich
immer wieder im Mikrokosmus in der Gestalt eines »Ichs«
erlebt . . Dieses im Wesen einheitliche Selbst erscheint
nur äußerlich entzweit, in ein freudvolles und ein leiden-
des, von Todesschauern umwehtes Ich. Bleibt der Mensch
in allen Wirbeln des Geschehens sich jener Einheit des
Selbstes bewußt, dann wirken die Pole zusammen zur Her-
stellung eines mikrokosmischen »Gleichgewichts«.
Wer das »Polaritäts-Gesetz« erkannt hat, der erkennt
das Recht des Gegenpoles an . . Der Wille des Men-
schen ist in sich selbst polar: er will »sich behaupten«,
und will zugleich »lieben«. Sich aus dieser Entzwei-
ung des Wollens in die Einheit des Zwiefach-Wollen-
den des wahren »Selbsts« zu finden, — das ist der Sinn
aller inneren Kämpfe . . Wer zu jener Gleichung zwi-
schen dem »Ich« und dem »Nicht Ich« unbedingt gewillt
ist, den stützt die ganze magische Kraft des kosmischen
Gesetzes, während der andere eines Tages mit umso här-
terer Gewalt in dieses Gesetz einbezogen wird, je trotziger
er sich dagegen aufgelehnt hat. Die »unfreiwillige« Kor-
rektur der Ich-Überspannung erfolgt durch Verlust,
Sturz und Vernichtung; die schwächliche Ich-Entspan-
nung hingegen wird durch immer härtere Zumutung von
außen erst recht in den gefürchteten Kampf gezwungen..
Dem »bellum omnium contra omnes«, dem Kampf
Aller gegen Alle, hat erst spät die Menschheit eine be-
wußte Gesittung folgen lassen. Wäre diese Gesittung
d. h. die Ich-Beschränkung, — die erst durch die
Erziehung geweckt wird, — ein dem Ich auferlegtes
fremdes Gesetz, entspräche ihr nicht der erwachen-
wollende Liebes-Drang, sie könnte niemals gelingen.
Wäre der Geschäftsmann von dem Trieb, andere mit
guter Ware zu versorgen, ebenso bewußt erfüllt, wie von
seinem Geschäfts-Trieb; wäre der Gastwirt wirklich
331
ARCHITEKT
B. PARKER
HALLE, HAUS
IN NEWTON
ENTZWEIUNG UND EINHEIT
POLARITÄT UND GLEICHGEWICHT
Nach dem »Polaritäts-Gesetz«, — dessen Anwen-
dung auf die Natur-Erscheinungen den Wert der
Goetheschen Farbenlehre ausmacht, — entsteht »Schöpf-
ung« durch »Entzweiung« des Einen. Im Anfang ent-
zweite sich die Gottheit in Schöpfer und Geschöpf. Das
Wesen der Schöpfung ist Vielheit. Jedes Einzelne will
sich erhalten und scheut zu diesem Zweck nicht vor der
Vernichtung anderer zurück, sucht aber zugleich, der
gänzlichen Vereinzelung dennoch abgeneigt, Verbindung
mit ihnen . . Wo liegt der Sinn dieses Widerspruchs? .
Es sind offenbar zwei einander entgegengesetzte
Kräfte im Spiel: der Selbsterhaltungs-Trieb, der die
»Vereinzelung« enthält, auch »Wille zur Macht« genannt,
und der Vereinigungs-Trieb, der nichts anderes
ist als der »Eros« der Alten . . Wenn überhaupt ein
Sinn in die Wirkung dieses Gegensatzes gebracht
werden kann, so muß er im Ausgleich dieser Kräfte
liegen . . Wir erleben uns selbst als Einzelnes, das sich
erhalten und zugleich vereinen will. All unser Leiden
läßt sich auf diesen selben Gegensatz in uns zurückführen;
all unser Hoffen auf seine etwaige Überbrückung. Der
»Sinn des Lebens« liegt im Ausgleich seiner zwei Gegen-
kräfte in der Seele des Menschen, — so zwar, daß die
Schöpfung in der Vielseitigkeit ihrer Vereinzelung er-
halten bleibt, aber zugleich durch die Verbindung des
Eros das Bewußtsein ihrer ursprünglichen Einheit bewahrt.
Der schöpferische Geist nimmt die Mitte zwischen
den beiden Polen ein, aber nicht etwa ängstlich einen
vorsichtig-mittleren Kurs einschlagend, sondern auf einer
höheren Ebene keinem der beiden Pole ausweichend und
beide beherrschend . . Jedes gelungene Kunstwerk ist
davon ein Beweis . . Das »Selbst«, — zwischen den
beiden Polen — ist die weltschaffende Gottheit, die sich
immer wieder im Mikrokosmus in der Gestalt eines »Ichs«
erlebt . . Dieses im Wesen einheitliche Selbst erscheint
nur äußerlich entzweit, in ein freudvolles und ein leiden-
des, von Todesschauern umwehtes Ich. Bleibt der Mensch
in allen Wirbeln des Geschehens sich jener Einheit des
Selbstes bewußt, dann wirken die Pole zusammen zur Her-
stellung eines mikrokosmischen »Gleichgewichts«.
Wer das »Polaritäts-Gesetz« erkannt hat, der erkennt
das Recht des Gegenpoles an . . Der Wille des Men-
schen ist in sich selbst polar: er will »sich behaupten«,
und will zugleich »lieben«. Sich aus dieser Entzwei-
ung des Wollens in die Einheit des Zwiefach-Wollen-
den des wahren »Selbsts« zu finden, — das ist der Sinn
aller inneren Kämpfe . . Wer zu jener Gleichung zwi-
schen dem »Ich« und dem »Nicht Ich« unbedingt gewillt
ist, den stützt die ganze magische Kraft des kosmischen
Gesetzes, während der andere eines Tages mit umso här-
terer Gewalt in dieses Gesetz einbezogen wird, je trotziger
er sich dagegen aufgelehnt hat. Die »unfreiwillige« Kor-
rektur der Ich-Überspannung erfolgt durch Verlust,
Sturz und Vernichtung; die schwächliche Ich-Entspan-
nung hingegen wird durch immer härtere Zumutung von
außen erst recht in den gefürchteten Kampf gezwungen..
Dem »bellum omnium contra omnes«, dem Kampf
Aller gegen Alle, hat erst spät die Menschheit eine be-
wußte Gesittung folgen lassen. Wäre diese Gesittung
d. h. die Ich-Beschränkung, — die erst durch die
Erziehung geweckt wird, — ein dem Ich auferlegtes
fremdes Gesetz, entspräche ihr nicht der erwachen-
wollende Liebes-Drang, sie könnte niemals gelingen.
Wäre der Geschäftsmann von dem Trieb, andere mit
guter Ware zu versorgen, ebenso bewußt erfüllt, wie von
seinem Geschäfts-Trieb; wäre der Gastwirt wirklich