Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923
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Trübner, Wilhelm: Kunst und Kunst-Stück
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I NN EN-DEKORATION
architekt michael rachlis-berlin
blick in das schlafzimmer der dame.
KUNST UND KUNST-STÜCK
Der Wert eines Kunstwerkes liegt in dem darin sich
äußernden Geist. Der künstlerische Geist ist aber
etwas ganz anderes, als das, was der Laie sich darunter
vorstellt. Immer sucht der Laie den Geist da, wo er nie
sein kann — und findet ihn deswegen nicht . . Der Wert
eines Kunstwerkes liegt in der künstlerischen Dar-
stellungs-Weise: in dieser muß notwendigerweise
immer auch der künstlerische Geist enthalten sein. . .
+
Das vom Laien so sehr geschätzte »Können« ist
immer nur der verdünnte Aufguß des rein künstlerischen
Könnens, und daher vielleicht auch für einen schwachen
Magen etwas leichter verdaulich als der stärkere Extrakt.
Alle weiteren Aufgüsse aber werden zusehends dünner!
Der Laie hält ein Werk, das, — wie man zu sagen
pflegt, — »nach allen Regeln der Kunst« fabriziert
worden ist, für die vollkommenste Leistung, — ebenso
wie die Durchschnitts-Engländerin in dem Mann den
wahren »Gentleman« erkennt, der die zur Zeit üb-
lichen Anstandsregeln am genauesten zu befolgen weiß. .
*
In der Kunst ist es möglich, daß oft die unbedeu-
tendsten Talente durch anmaßendes Sich-breit-machen
für ernst genommen werden. Außer Kunstfatzken gibt
es auch Kunst-Kiselacke und Kunst-Aujuste . . Im Zirkus
merkt das Publikum die Schelmerei und lacht. In der
Kunst nimmt es den Fall für ernst . . Wie die Fähigkeit
des richtigen Diagnose-Stellens nur bei einer kleinen
Anzahl von Ärzten zu finden ist, — so ist eben auch die
höhere Kunst-Kennerschaft nur Wenigen eigentümlich.
Wenn man bedenkt, daß wir Deutsche über dreihundert
Jahre lang ununterbrochen die Erfahrung gemacht haben,
daß auf fremdländischem Wege nichts Bedeutendes für die
Dauer, sondern immer höchstens ein momentaner Erfolg
zu erreichen ist, — so sollte man doch glauben, daß end-
lich der Zeitpunkt gekommen sein müsse, dies einzusehen.
*
Daß das individualitätslose Schaffen, d. h. das »Imi-
tieren« nach alten Mustern tatsächlich einen großen Reiz
ausübt, hat seine Ursache darin, daß hier die künstlerische
Tätigkeit sich bereits dem »Kunst-Stück« nähert. Der
Vogelstimmen-Imitator und derjenige, der das Geräusch
von Bretter-Sägen nachahmt, wird den gleichen Jubel
beim Publikum hervorrufen, wie einer, der eine beliebige
Melodie in den Stilarten aller berühmten Musiker zu »kom-
ponieren« weiß . . Ein »künstliches« Werk, würdig in
einem Panoptikum ausgestellt zu werden, darf indes nicht
mit einem »Kunstwerk« verwechselt werden. Werke,
die durch solcherlei Eigenschaften beim großen Haufen
meist die allergrößte Bewunderung hervorrufen, haben
dennoch mit Kunst sehr wenig zu tun!. Wilhelm trübner.
I NN EN-DEKORATION
architekt michael rachlis-berlin
blick in das schlafzimmer der dame.
KUNST UND KUNST-STÜCK
Der Wert eines Kunstwerkes liegt in dem darin sich
äußernden Geist. Der künstlerische Geist ist aber
etwas ganz anderes, als das, was der Laie sich darunter
vorstellt. Immer sucht der Laie den Geist da, wo er nie
sein kann — und findet ihn deswegen nicht . . Der Wert
eines Kunstwerkes liegt in der künstlerischen Dar-
stellungs-Weise: in dieser muß notwendigerweise
immer auch der künstlerische Geist enthalten sein. . .
+
Das vom Laien so sehr geschätzte »Können« ist
immer nur der verdünnte Aufguß des rein künstlerischen
Könnens, und daher vielleicht auch für einen schwachen
Magen etwas leichter verdaulich als der stärkere Extrakt.
Alle weiteren Aufgüsse aber werden zusehends dünner!
Der Laie hält ein Werk, das, — wie man zu sagen
pflegt, — »nach allen Regeln der Kunst« fabriziert
worden ist, für die vollkommenste Leistung, — ebenso
wie die Durchschnitts-Engländerin in dem Mann den
wahren »Gentleman« erkennt, der die zur Zeit üb-
lichen Anstandsregeln am genauesten zu befolgen weiß. .
*
In der Kunst ist es möglich, daß oft die unbedeu-
tendsten Talente durch anmaßendes Sich-breit-machen
für ernst genommen werden. Außer Kunstfatzken gibt
es auch Kunst-Kiselacke und Kunst-Aujuste . . Im Zirkus
merkt das Publikum die Schelmerei und lacht. In der
Kunst nimmt es den Fall für ernst . . Wie die Fähigkeit
des richtigen Diagnose-Stellens nur bei einer kleinen
Anzahl von Ärzten zu finden ist, — so ist eben auch die
höhere Kunst-Kennerschaft nur Wenigen eigentümlich.
Wenn man bedenkt, daß wir Deutsche über dreihundert
Jahre lang ununterbrochen die Erfahrung gemacht haben,
daß auf fremdländischem Wege nichts Bedeutendes für die
Dauer, sondern immer höchstens ein momentaner Erfolg
zu erreichen ist, — so sollte man doch glauben, daß end-
lich der Zeitpunkt gekommen sein müsse, dies einzusehen.
*
Daß das individualitätslose Schaffen, d. h. das »Imi-
tieren« nach alten Mustern tatsächlich einen großen Reiz
ausübt, hat seine Ursache darin, daß hier die künstlerische
Tätigkeit sich bereits dem »Kunst-Stück« nähert. Der
Vogelstimmen-Imitator und derjenige, der das Geräusch
von Bretter-Sägen nachahmt, wird den gleichen Jubel
beim Publikum hervorrufen, wie einer, der eine beliebige
Melodie in den Stilarten aller berühmten Musiker zu »kom-
ponieren« weiß . . Ein »künstliches« Werk, würdig in
einem Panoptikum ausgestellt zu werden, darf indes nicht
mit einem »Kunstwerk« verwechselt werden. Werke,
die durch solcherlei Eigenschaften beim großen Haufen
meist die allergrößte Bewunderung hervorrufen, haben
dennoch mit Kunst sehr wenig zu tun!. Wilhelm trübner.