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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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Michel, Wilhelm: Die Technik und der Mensch, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0197

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR ADELBERT NIEMEYER-MÜNCHEN SITZ-ECKE IN EINEM ZIGARRENLADEN

DIE TECHNIK UND DER NEUE MENSCH

Der erste Schauder vor der »technischen Form«
ist überstanden, — jener Schauder, durch den wir
zugegeben haben, daß die moderne Technik nicht nur
etwas Neues der Quantität nach, sondern auch der
Art nach ist; und zwar so, daß dieses Art-Neue eben
durch die ungeheueren Quantitäten technischer Kräfte
und Anwendungen entstand. Denn Technik an sich ist
uns seit langem etwas Vertrautes. Aber in der Ufer-
losigkeit ihrer modernen Kraft-Entfaltungen liegt ein
neues und erschreckendes Moment. Etwas Fremdes,
innerlich nicht Aufgesogenes und geistig nicht Durch-
gohrenes sind viele ihrer Erscheinungen auch für uns noch.
Goethe ist immerhin heute noch der Mensch, dessen
Lebens- und Welt-Erfassung für uns vorbildlich und rich-
tunggebend ist. Er hat einmal geäußert: »Fernrohre und
Mikroskope verwirren eigentlich den reinen Menschen-
sinn.« Das ist ein Wort, nachdenklich und reich an
Hintergründen, ;nn wir müssen uns klar darüber sein,
daß wir der darin Hegenden Abwehr - Empfindung nicht
ganz die Gefolgschaft versagen können, wofern wir
Goethes Welt im Ganzen bejahen wollen . . Durch die

moderne Technik und die zugehörigen wissenschaftlichen
Methoden ist der Mensch als Maßstab der Leistung bei-
seitegeschoben, dem kosmischen Heimatgefühl des grie-
chischen und des goethischen Menschen ist der Boden
entzogen, von den Mauern, die unsere Begriffswelt um-
grenzen, ist ein Teil zusammengestürzt. Für das, was
durch diese Lücke hereindroht an Kräften und Problemen,
fehlt uns einstweilen noch die »Vergleichs-Größe«; der
Mensch jedenfalls liefert sie uns nicht mehr. Daher die
Summe von Widerständen, die wir, mit oder ohne Willen,

der Technik immer noch entgegensetzen.........

Wir müssen also wohl zugeben, daß Technik doch
etwas mehr ist als bloße »Zivilisation«, daß sie vielmehr
recht tief in unsere geistige Welt hineingreift. Dubois-
Reymond hat mit trefflichen Gründen den Beweis ge-
führt, daß der uns heute angeborene Sinn für »gerade
Linien und den rechten Winkel« sich erst ziemlich spät
an der Technik des Steinbaus entwickelt hat. Und wir
würden uns also den fabelhaften Ausgeburten neuester
Technik gegenüber in ähnlicher Lage befinden, wie etwa
der primitive Ur-Bewohner von Blätterzelt und Erdhöhle
 
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