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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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M.: Vom Zeitgeist im Innenraum
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0270

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INNEN-DEKORATION

249

DA VENPORT MFG. CO.-NEW-YORK

SOFA-BETT FQR EIN GASTE-ZIMMER

VOM ZEITGEIST IM INNENRAUM. In jeder Zeit
gibt es Künstler, die das Wirkliche, das Tatsächliche
des Zeitgeistes ausdrücken, und andre, die gewissermaßen
sein Wunsch- und Traumleben verkörpern. Am Ende des
18. Jahrhunderts z. B. steht neben
der äußersten Verstandeskälte
der Aufklärung die schwärme-
rische Vorliebe für alles mysti-
sche, geheimnisvolle Wesen.
Und so sprechen auch unsre
Innenräume bald die Nüchtern-
heit, Besonnenheit, Willenshärte
unsrer Zeit aus, bald ihre Sehn-
sucht nach romantischer Tag-
ferne, nach blumiger Phantastik,
nach heiterem, unbeschwertem
Lebensgenuß. Beide Bestand-
teile des Zeitgeistes sind gleich-
berechtigt; denn sowohl das
Wesen einer Zeit wie ihre Ten-
denz sind geeignet, das Scharfen
der Menschen zu nähren und gute,
stichhaltige Formleistungen zu
stützen. Und ebenso gestaltet
der einzelne Mensch sein Werk
bald aus dem, was er geistig be-
sitzt, bald aus dem, wonach er

OBIGES SOFABETT AUFOEKLAPPT ZUM OEBRAUCH

sich sehnt. Der Innenraum, der das Positive des Zeit-
geistes ausspricht, zeigt die knappe, sachliche Haltung
des Tatmenschen unsrer Tage. Seine Formen nähern
sich dem Ingenieurmäßigen. Die Möbel wollen dienen
und Zwecke erfüllen, und sie
wollen dies auf gebärdenlose,
verhaltene Weise tun. Ihre For-
men verschmähen das Ausladen-
de und Spielerische; das Pathos
ist ihnen verhaßt; sie legen Wert
auf stille Schicklichkeit, auf
leichte, handliche Erscheinung.
Räume dieser Art sind heute vor-
wiegend bei den Völkern Ge-
brauch, die nüchtern und prak-
tisch gestimmt sind; vorzugs-
weise bei den Amerikanern. Bei
den Völkern der alten Welt
ist dieser Raumtyp keineswegs
unbekannt oder unbeliebt. Aber
im Durchschnitt verlangen wir
doch von unsrer Wohnung mehr
die anderen, die entgegen-
gesetzten Eigenschaften: sie
sollen unser Gemütsleben näh-
ren und unsern poetischen Neig-
ungen entgegenkommen.....

1938. Till. 4*.
 
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