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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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Michel, Wilhelm: Vom Leben mit Dingen und Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0116

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INNEN-DEKORATION

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VOM LEBEN MIT DINGEN UND MENSCHEN

von wilhelm michel

Es genügt nicht, Möbel, Bücher und Kunstwerke zu
haben: — man muß suchen, in ein bestimmtes »Ge-
müts-Verhältnis« zu ihnen zu kommen. Es genügt nicht,
Dinge zu beherrschen und zu benutzen; Bestandteile einer
Welt, unserer Welt werden sie erst dann, wenn zwi-
schen uns und ihnen Gefühlsströme hin und wieder gehen..
Indische Büßer üben die Entselbstung in der Weise, daß
sie ihr Ich in alles tote und lebende Ding hineinversetzen
können. Wenn sich dieses grenzenlose Teilnehmen-
Können an allem Dinglichen nur durch lange, gefährliche
Übung ergibt, so hat doch jeder Mensch Anlage, zur
Einfühlsamkeit linderer und leichterer Art. Jedes
»Ding« ist Person, jedes Ding hat einen Geist, jedes
Ding braucht unsere Beachtung und Liebe und ist bereit,
sie hundertfältig zu vergelten. Man muß sich einlassen
auf die Dinge, — sie sind wie die Kinder. Kümmert man
sich nicht um die Dinge, so verwildern sie und werden
schroff, ungezogen, ablehnend. Wenn wir sie ansprechen,
pflegen und lieben, so haben sie Lächeln und Höflich-
keit und helfen mit zur Erhöhung unseres Daseins. . .

*

Strafen, Rügen, Tadeln soll man nur da, wo man
liebt. Denn Strafe, Rüge, Tadel dürfen nur Mittel sein,
um einen Menschen, an dem man Anteil nimmt, zu seiner
eigenen Vollkommenheit, zur Verwirklichung seines eige-
nen Ideals anzutreiben.. Wo man nicht liebt, da ist
Strafe: Rache, Rüge: Anfeindung, Tadel: Verbitterung..

Tritt Dir eine fremde Meinung entgegen, die Du
nicht teilen kannst, so denke manchmal daran, daß auch
hinter dieser Meinung ein Mensch, ein Leben, ein orga-
nischer Zwang und eine lebendige Berechtigung steht.
Daß es immer Menschen gibt, die denken müssen, was
Du niemals denken kannst, das allein macht unsere Welt
reich und vielfältig und treibt sie immer lebendig voran.

*

Du strebst ein »Ich« zu werden, Dein eigenes Leben
zu leben, Dein Selbst zu behaupten und durchzusetzen.
Sehr löblich; aber vergiß nicht, daß das »Ich« nur der
massive, dunkle Torbogen sein darf, durch den Du hin-
ausgehst ins Allgemeine, Liebende und Verbundene!

Die Antwort auf die Frage: »Was ist Freiheit?«
lautet: Das Bewußtsein, einem sinnvollen Zusammen-
hang anzugehören.. Das klare Bewußtsein dieses Zusam-
menhanges allein macht den Menschen edel, gut und frei.



Laß Dich nie verlocken, auf Tätigkeits-Gebieten zu
dilettieren, zu denen Du nicht Trieb, Leidenschaft und
Anlage hast. Besser als jeder wohlmeinende oder leicht-
fertige Schmeichler mußt Du selber wissen, was Du kannst
und was Du nicht kannst. . Sagte jeder nur das, was er
weiß; triebe jeder nur das, was er versteht; täte jeder
nur das, was er muß: — die Hälfte aller Rinnsale, aus
denen die Übel der Völker fließen, wäre verstopft. Denn
die »Mächler« verwüsten und verzetteln die Welt.. w. m.
 
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