DER TOILETTEN-TISCH
EINE PLAUDEREI VON KUNO GRAF VON HARDENBERG
Ein junger Mann der besten Gesellschaft von zweiund-
vierzig Jahren, — so berichtet die Selbstmord-
Chronik der Stadt der Spleene, — soll sich vor einigen
Jahren aus durchaus keinem andern Grunde das Leben
genommen haben, weil er die entsetzliche Monotonie des
täglichen An- und Auskleidens nicht mehr ertragen konnte..
In einem hinterlassenen Schriftstück stand es klar und
deutlich zu lesen, wie ihm alle jene notwendigen Ver-
richtungen zur Hebung der Reinlichkeit und der Würde
des Äußeren anfangs zu einer lästigen Pflicht- und
endlich zum tiefen Ekel geworden waren. »Wenn mein
Blick früh in den Spiegel fällt«, so schreibt der Arme,
»überkommt mich erst das Gefühl einer abgrundtiefen
Langeweile, dem sich mit jedem Griff nach einem zum
Ankleiden notwendigen Gegenstande weiter sich ständig
steigernde Empfindungen des Mißbehagens anreihen.
Meine gute Erziehung hindert mich daran, mich zu ver-
nachlässigen ; ein Leben als ungewaschener Waldmensch
in der Gesellschaft erscheint mir aus sozialen und andern
Gründen undenkbar, — so bleibt mir nichts anderes übrig,
als den letzten entscheidenden Schritt zu tun, um einer
Eintönigkeit zu weichen, der ich nicht gewachsen bin.«
Dieser eigentümliche Fall erregte großes Aufsehen. In
den Kreisen wissenschaftlich durchgebildeter älterer
Damen war man sich darüber einig, daß die Panazee einer
entsprechenden Heirat diesem tragischen Ende sicher
vorgebeugt haben würde, während es sich die Ärzte mit
der Escamotage der unsterblichen Seele des Selbstmör-
ders aus dem Diesseits ins Jenseits durch einen beträcht-
lichen Aufwand von griechischen und lateinischen Fremd-
wörtern leichter machten. Zu diesem Gros der üblichen
Beurteilung des tragischen Falls stand allein in originalem
Gegensatz die Meinung eines Freundes des verblichenen
Jünglings, — der auf Grund einer nahen Bekanntschaft
das Folgende der staunenden Welt meldete: Sein lieber
Xaver habe den unlösbar gewordenen Konflikt mit dem
Dasein lediglich dem traurigen Umstände zu verdanken,
daß ihm »kein Toiletten-Tisch gewachsen sei«,
an diesem Mangel sei er zu Grunde gegangen.......
Warf jemand ein, es könne einem wohl als tragische Bei-
gabe ein Buckel, Kropf, ein Klumpfuß »gewachsen« sein,
aber doch nicht ein Toiletten-Tisch, so erfuhr er alsbald
eine gründliche Belehrung: »Verstehen Sie mich recht:
Xaver hatte das Wesen eines Toiletten-Tisches weder
in der platonischen noch in irgend einer anderen Idee in
sich: so mußte er für jeden Eingeweihten scheitern, schei-
tern an den Tücken der Objekte, scheitern an dem Gegen-
satz zwischen seinem Wollen und Vermögen, scheitern
an seinem eigenen Ich. Xaver hatte keinen Toiletten-
Tisch. Sie fragen kuhäugig glotzend: »Warum nicht?«
Nun: warum hat jemand kein Haus, keine eleganten
Möbel, keine schöne Frau, keinen Viererzug, keine Harfe?
sie sind — es bleibt dabei — ihm eben nicht gewachsen.«
Forschte man dann weiter, so erfuhr man, daß Xaver
in der Tat keinen Toiletten-Tisch besaß und auch nichts
von alledem, was einen solchen ausmacht oder gar reiz-
voll macht. Seine Toiletten-Geräte waren überall ver-
zettelt. Seinem Kamm fehlten stets einige Zähne, zudem
war er nur selten anwesend, sein Rasierpinsel war das
Opfer gräßlichen Haarausfalls und liebte ganz unberech-
tigterweise über alles ein neckisches Versteckspiel; sein
Rasiermesser, seine Nagelschere, mißgelaunte, tückische
Geschöpfe, dachten mehr an Oxydbildung, denn an sanfte,
glatte Pflichterfüllung. Ähnlich war es mit den verfilzten
Bürsten und anderem Gerät — und was das Schlimmste
war: alles dämmerte ohne Einheit, ohne soziale Gesinn-
ung, sagen wir ruhig ohne Staatsgedanken dahin, tisch-
los, vaterlandslos, kulturlos, ohne Eros und Ethos . . .
Xaver war wohlhabend, er besaß alle Möglichkeiten
zu einer glänzenden Karriere, er war intelligent, unab-
lässig bemüht sein Wissen zu vertiefen. Er hat dabei
nach Kräften versucht, dem Mangel an einem Toiletten-
Tisch ein Ende zu bereiten, — es war alles vergeblich:
der Toiletten-Tisch war nicht in ihm und konnte daher
nicht um ihn sein; so ward ihm das An- und Auskleiden
nach und nach zur Qual, zur Marter, zur täglichen Tra-
gödie, der sein zartes Temperament nicht gewachsen war.
Er unterlag. Ja, hätte man ihm einenToiletten-Tisch geben
können, — hätte man, — aber wer kann überhaupt
einem andern Menschen etwas geben, was ihm nicht selbst
gewachsen ist?.. Eine schwer zu beantwortende Frage
für jeden, der an der schwarzgalligen »Melancholie des
Pessimismus« leidet, — leichter zu lösen für den frischen
Optimismus unserer jungen schaffenslustigen Kunsthand-
werker-Generation, die sich stolz einer jeden Aufgabe
gewachsen fühlt und auch sicher gerne dem armen Xaver
zu einem entsprechenden Toiletten-Tisch verholfen hätte,
wie sie heutzutage so manchem zu etwas verhilft —
was ihm eigentlich durchaus nicht »gewachsen« ist. . .
Wir wollen hiermit die interessante Geschichte aus
der Selbstmord - Chronik der Stadt der Spleene ab-
schließen — und uns ein wenig mit dem Wesen des
Toiletten-Tisches beschäftigen, das bisher von unserer
kunstgewerblichen Literatur noch lange nicht genügend
wissenschaftlich, von unsern Künstlern und Handwerkern
noch lange nicht liebevoll genug behandelt worden ist. .
*
Der Toiletten-Tisch bietet viele Möglichkeiten
einer künstlerischen Gestaltung, er verlangt nach Ver-
feinerung und bietet unerschöpfliche Gelegenheit zu Ver-
besserungen . . Neben dem Schreibtisch ist der Toiletten-
Tisch zweifellos das persönlichste aller Möbel. Er ist der
kleine Schrein, den man dem Ich seiner äußeren Gestalt
weihen darf, ja, den sorgfältig zu unterhalten und zu
pflegen eine Pflicht gegen sich und die Mitwelt bedeutet.
Es ist verkehrt, das Recht auf dem Toiletten-Tisch
allein den Frauen zuerteilen zu wollen; für Mann und
Frau höheren Grades und Intellektes ist er gleich bedeut-
sam: Rüststätte für den Alltag und die Arbeit, Vorbe-
reitung für den Tag der Feste, für Kämpfe der Liebe
und der gesellschaftlichen Mächte............
Toiletten-Tische an sich sind natürlich alt wie die
Menschen; Ägypten, Griechenland und Rom kannte sie,
weniger bekannt waren sie sicherlich im dunklen, unge-
waschenen Mittelalter. Den Toiletten-Tisch der Dame
hat die Barockzeit ausgebildet. Es gibt, aus dem mitt-
leren 17. Jahrhundert, mit Elfenbein und Metall intar-
sierte Toiletten-Tische von hoher Schönheit und Zweck-
mäßigkeit. Magisch wie jene Zeit ist auch solch ein
Möbel: Einige Knöpfe lassen Spiegel und Versenkungen
EINE PLAUDEREI VON KUNO GRAF VON HARDENBERG
Ein junger Mann der besten Gesellschaft von zweiund-
vierzig Jahren, — so berichtet die Selbstmord-
Chronik der Stadt der Spleene, — soll sich vor einigen
Jahren aus durchaus keinem andern Grunde das Leben
genommen haben, weil er die entsetzliche Monotonie des
täglichen An- und Auskleidens nicht mehr ertragen konnte..
In einem hinterlassenen Schriftstück stand es klar und
deutlich zu lesen, wie ihm alle jene notwendigen Ver-
richtungen zur Hebung der Reinlichkeit und der Würde
des Äußeren anfangs zu einer lästigen Pflicht- und
endlich zum tiefen Ekel geworden waren. »Wenn mein
Blick früh in den Spiegel fällt«, so schreibt der Arme,
»überkommt mich erst das Gefühl einer abgrundtiefen
Langeweile, dem sich mit jedem Griff nach einem zum
Ankleiden notwendigen Gegenstande weiter sich ständig
steigernde Empfindungen des Mißbehagens anreihen.
Meine gute Erziehung hindert mich daran, mich zu ver-
nachlässigen ; ein Leben als ungewaschener Waldmensch
in der Gesellschaft erscheint mir aus sozialen und andern
Gründen undenkbar, — so bleibt mir nichts anderes übrig,
als den letzten entscheidenden Schritt zu tun, um einer
Eintönigkeit zu weichen, der ich nicht gewachsen bin.«
Dieser eigentümliche Fall erregte großes Aufsehen. In
den Kreisen wissenschaftlich durchgebildeter älterer
Damen war man sich darüber einig, daß die Panazee einer
entsprechenden Heirat diesem tragischen Ende sicher
vorgebeugt haben würde, während es sich die Ärzte mit
der Escamotage der unsterblichen Seele des Selbstmör-
ders aus dem Diesseits ins Jenseits durch einen beträcht-
lichen Aufwand von griechischen und lateinischen Fremd-
wörtern leichter machten. Zu diesem Gros der üblichen
Beurteilung des tragischen Falls stand allein in originalem
Gegensatz die Meinung eines Freundes des verblichenen
Jünglings, — der auf Grund einer nahen Bekanntschaft
das Folgende der staunenden Welt meldete: Sein lieber
Xaver habe den unlösbar gewordenen Konflikt mit dem
Dasein lediglich dem traurigen Umstände zu verdanken,
daß ihm »kein Toiletten-Tisch gewachsen sei«,
an diesem Mangel sei er zu Grunde gegangen.......
Warf jemand ein, es könne einem wohl als tragische Bei-
gabe ein Buckel, Kropf, ein Klumpfuß »gewachsen« sein,
aber doch nicht ein Toiletten-Tisch, so erfuhr er alsbald
eine gründliche Belehrung: »Verstehen Sie mich recht:
Xaver hatte das Wesen eines Toiletten-Tisches weder
in der platonischen noch in irgend einer anderen Idee in
sich: so mußte er für jeden Eingeweihten scheitern, schei-
tern an den Tücken der Objekte, scheitern an dem Gegen-
satz zwischen seinem Wollen und Vermögen, scheitern
an seinem eigenen Ich. Xaver hatte keinen Toiletten-
Tisch. Sie fragen kuhäugig glotzend: »Warum nicht?«
Nun: warum hat jemand kein Haus, keine eleganten
Möbel, keine schöne Frau, keinen Viererzug, keine Harfe?
sie sind — es bleibt dabei — ihm eben nicht gewachsen.«
Forschte man dann weiter, so erfuhr man, daß Xaver
in der Tat keinen Toiletten-Tisch besaß und auch nichts
von alledem, was einen solchen ausmacht oder gar reiz-
voll macht. Seine Toiletten-Geräte waren überall ver-
zettelt. Seinem Kamm fehlten stets einige Zähne, zudem
war er nur selten anwesend, sein Rasierpinsel war das
Opfer gräßlichen Haarausfalls und liebte ganz unberech-
tigterweise über alles ein neckisches Versteckspiel; sein
Rasiermesser, seine Nagelschere, mißgelaunte, tückische
Geschöpfe, dachten mehr an Oxydbildung, denn an sanfte,
glatte Pflichterfüllung. Ähnlich war es mit den verfilzten
Bürsten und anderem Gerät — und was das Schlimmste
war: alles dämmerte ohne Einheit, ohne soziale Gesinn-
ung, sagen wir ruhig ohne Staatsgedanken dahin, tisch-
los, vaterlandslos, kulturlos, ohne Eros und Ethos . . .
Xaver war wohlhabend, er besaß alle Möglichkeiten
zu einer glänzenden Karriere, er war intelligent, unab-
lässig bemüht sein Wissen zu vertiefen. Er hat dabei
nach Kräften versucht, dem Mangel an einem Toiletten-
Tisch ein Ende zu bereiten, — es war alles vergeblich:
der Toiletten-Tisch war nicht in ihm und konnte daher
nicht um ihn sein; so ward ihm das An- und Auskleiden
nach und nach zur Qual, zur Marter, zur täglichen Tra-
gödie, der sein zartes Temperament nicht gewachsen war.
Er unterlag. Ja, hätte man ihm einenToiletten-Tisch geben
können, — hätte man, — aber wer kann überhaupt
einem andern Menschen etwas geben, was ihm nicht selbst
gewachsen ist?.. Eine schwer zu beantwortende Frage
für jeden, der an der schwarzgalligen »Melancholie des
Pessimismus« leidet, — leichter zu lösen für den frischen
Optimismus unserer jungen schaffenslustigen Kunsthand-
werker-Generation, die sich stolz einer jeden Aufgabe
gewachsen fühlt und auch sicher gerne dem armen Xaver
zu einem entsprechenden Toiletten-Tisch verholfen hätte,
wie sie heutzutage so manchem zu etwas verhilft —
was ihm eigentlich durchaus nicht »gewachsen« ist. . .
Wir wollen hiermit die interessante Geschichte aus
der Selbstmord - Chronik der Stadt der Spleene ab-
schließen — und uns ein wenig mit dem Wesen des
Toiletten-Tisches beschäftigen, das bisher von unserer
kunstgewerblichen Literatur noch lange nicht genügend
wissenschaftlich, von unsern Künstlern und Handwerkern
noch lange nicht liebevoll genug behandelt worden ist. .
*
Der Toiletten-Tisch bietet viele Möglichkeiten
einer künstlerischen Gestaltung, er verlangt nach Ver-
feinerung und bietet unerschöpfliche Gelegenheit zu Ver-
besserungen . . Neben dem Schreibtisch ist der Toiletten-
Tisch zweifellos das persönlichste aller Möbel. Er ist der
kleine Schrein, den man dem Ich seiner äußeren Gestalt
weihen darf, ja, den sorgfältig zu unterhalten und zu
pflegen eine Pflicht gegen sich und die Mitwelt bedeutet.
Es ist verkehrt, das Recht auf dem Toiletten-Tisch
allein den Frauen zuerteilen zu wollen; für Mann und
Frau höheren Grades und Intellektes ist er gleich bedeut-
sam: Rüststätte für den Alltag und die Arbeit, Vorbe-
reitung für den Tag der Feste, für Kämpfe der Liebe
und der gesellschaftlichen Mächte............
Toiletten-Tische an sich sind natürlich alt wie die
Menschen; Ägypten, Griechenland und Rom kannte sie,
weniger bekannt waren sie sicherlich im dunklen, unge-
waschenen Mittelalter. Den Toiletten-Tisch der Dame
hat die Barockzeit ausgebildet. Es gibt, aus dem mitt-
leren 17. Jahrhundert, mit Elfenbein und Metall intar-
sierte Toiletten-Tische von hoher Schönheit und Zweck-
mäßigkeit. Magisch wie jene Zeit ist auch solch ein
Möbel: Einige Knöpfe lassen Spiegel und Versenkungen