Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0375
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Klages, Ludwig: Rhythmus, Form, Charakter: vom Wesen der lebendigen Form
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354
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT LEO NACHTLICHT IN BERLIN
SCHLAF-ZIMMER. HAUS G.-N. GRÜN, GELB, BLAU
RHYTHMUS-FORM-CHARAKTER
VOM WESEN DER LEBENDIGEN FORM
Die ganze Natur, soweit sie nicht menschlicher Will-
kür anheimfiel«, sagt der Charakterologe Ludwig
Klages in »Handschrift und Charakter«, »zeigt überall
die Herrschaft des Rhythmus. Von rhythmischer Be-
schaffenheit sind Schall, Licht, Wärme, Elektrizität;
rhythmisch ist die Fortpflanzung von Wellen, rhythmisch
sind die Bewegungen der Gestirne, die den Wechsel von
Tag und Nacht und der Jahreszeiten bedingen, rhyth-
mischen Pulsationen endlich untersteht das gesamte
organische Leben, also auch unser eigenes, soweit es ein
»natürliches« ist . . Je mehr sich der Mensch im Natur-
zustand befindet, umso mehr herrschen Rhythmus und
Takt, in deren Erfassung und Ausüben die sogenannten
Naturvölker den zivilisierten bei weitem überlegen sind.
Auch wir aber spüren vorübergehend jenes rhythmische
Pulsieren, wenn immer wir unserem Joch der Geistigkeit
zu entrinnen vermögen, so in den Zuständen großer inne-
rer Freudigkeit, die zu Tanzbewegungen Anlaß geben.
Wären wir durch und durch vitale Wesen, so hätte
auch unser Tun das ungebrochen vollendete Ebenmaß,
das wir am Flügelschlag ziehender Vögel, am Traben
noch ungebändigter Pferde oder am wellenhaften Gleiten
der Fische bewundern. Da wir indessen in erster Linie
»geistige We s e n « sind, so unterliegt der vitale Rhyth-
mus fort und fort der Störung durch den erfassenden
Akt des Bewußtseins, auf welchen immer von Neuem
ein Wieder-sich-Glätten und Sich-beschwichtigen folgt.
Wo immer der Mensch in die Natur eingreift, wan-
delt er ihre rhythmische Fülle in Einförmigkeit, Gesetz-
lichkeit, Regel um; aus der organischen macht er die
planimetrische Form, aus der scheinbar chaotischen
Üppigkeit des Urwaldes den lichteren Park. Kein Baum
im Walde steht völlig gerade, aber die Häuser der Men-
schen tun es, wenigstens nahezu. Kein Tier und keine
Pflanze zeigt irgendwo eine absolut gerade Linie, die
Gebrauchs-Gegenstände der Menschen dagegen sind in
weitem Umfange von rein geometrischer Beschaffenheit.
Wir schließen daraus, es sei das geistige oder rationelle
Prinzip, welches »Gesetz und Regel« hervorbringe. Sein
Exekutiv-Organ aber ist der Wille; daher die Neigung
zur Regelmäßigkeit, Diszipliniertheit, Uniformität das
Vorwalten des Willens anzeigt. . Allerdings schöpft
auch der Wille sein Energie-Kapital aus der Vitalität,
und darum ist auch in der Regulation, mittelst deren er in
der Bewegung zum Ausdruck kommt und durch diese hin-
durch immer noch spürbar der »Pulsschlag des Herzens«..
Wenn man von einem Kunstwerk urteilt, es sei scha-
blonenmäßig, lasse eine Manier erkennen, bewege sich
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT LEO NACHTLICHT IN BERLIN
SCHLAF-ZIMMER. HAUS G.-N. GRÜN, GELB, BLAU
RHYTHMUS-FORM-CHARAKTER
VOM WESEN DER LEBENDIGEN FORM
Die ganze Natur, soweit sie nicht menschlicher Will-
kür anheimfiel«, sagt der Charakterologe Ludwig
Klages in »Handschrift und Charakter«, »zeigt überall
die Herrschaft des Rhythmus. Von rhythmischer Be-
schaffenheit sind Schall, Licht, Wärme, Elektrizität;
rhythmisch ist die Fortpflanzung von Wellen, rhythmisch
sind die Bewegungen der Gestirne, die den Wechsel von
Tag und Nacht und der Jahreszeiten bedingen, rhyth-
mischen Pulsationen endlich untersteht das gesamte
organische Leben, also auch unser eigenes, soweit es ein
»natürliches« ist . . Je mehr sich der Mensch im Natur-
zustand befindet, umso mehr herrschen Rhythmus und
Takt, in deren Erfassung und Ausüben die sogenannten
Naturvölker den zivilisierten bei weitem überlegen sind.
Auch wir aber spüren vorübergehend jenes rhythmische
Pulsieren, wenn immer wir unserem Joch der Geistigkeit
zu entrinnen vermögen, so in den Zuständen großer inne-
rer Freudigkeit, die zu Tanzbewegungen Anlaß geben.
Wären wir durch und durch vitale Wesen, so hätte
auch unser Tun das ungebrochen vollendete Ebenmaß,
das wir am Flügelschlag ziehender Vögel, am Traben
noch ungebändigter Pferde oder am wellenhaften Gleiten
der Fische bewundern. Da wir indessen in erster Linie
»geistige We s e n « sind, so unterliegt der vitale Rhyth-
mus fort und fort der Störung durch den erfassenden
Akt des Bewußtseins, auf welchen immer von Neuem
ein Wieder-sich-Glätten und Sich-beschwichtigen folgt.
Wo immer der Mensch in die Natur eingreift, wan-
delt er ihre rhythmische Fülle in Einförmigkeit, Gesetz-
lichkeit, Regel um; aus der organischen macht er die
planimetrische Form, aus der scheinbar chaotischen
Üppigkeit des Urwaldes den lichteren Park. Kein Baum
im Walde steht völlig gerade, aber die Häuser der Men-
schen tun es, wenigstens nahezu. Kein Tier und keine
Pflanze zeigt irgendwo eine absolut gerade Linie, die
Gebrauchs-Gegenstände der Menschen dagegen sind in
weitem Umfange von rein geometrischer Beschaffenheit.
Wir schließen daraus, es sei das geistige oder rationelle
Prinzip, welches »Gesetz und Regel« hervorbringe. Sein
Exekutiv-Organ aber ist der Wille; daher die Neigung
zur Regelmäßigkeit, Diszipliniertheit, Uniformität das
Vorwalten des Willens anzeigt. . Allerdings schöpft
auch der Wille sein Energie-Kapital aus der Vitalität,
und darum ist auch in der Regulation, mittelst deren er in
der Bewegung zum Ausdruck kommt und durch diese hin-
durch immer noch spürbar der »Pulsschlag des Herzens«..
Wenn man von einem Kunstwerk urteilt, es sei scha-
blonenmäßig, lasse eine Manier erkennen, bewege sich