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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Osborn, Max: Das Landhaus auf dem Dach
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0473

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XXXV. JAHRGANG.

DARMSTADT.

JULI 1924.

DAS LANDHAUS AUF DEM DACH

VON MAX OSBORN

Der Titel klingt verdächtig. Was bedeutet das:
ein »Landhaus auf dem Dach«? Hat da spie-
lerische Architektenlaune eine unerlaubte kleine
Atrappe zu Wege gebracht und in schwindeliger
Höhe, auf dem Dach eines Großstadthauses, etwas
aufgemauert, was eigentlich nur unten auf den bra-
ven, ehrlichen Erdboden gehört? Soll da eine neck-
ische Täuschung versucht werden? . . Keine Angst!
Nur die Abbildungen in ihren verschmitzten Aus-
schnitten lassen so sonderbaren Argwohn aufkom-
men. In Wahrheit ist das, was hier gemacht wurde,
eine sehr einfache, aus den technischen Bedingungen
organisch erwachsene, allerdings höchst originelle
Sache. Der junge Architekt Otto Firle, ein Rhein-
länder von Geburt, nach dem Kriegsende von un-
gefähr nach Berlin verschlagen und hier seßhaft
geworden, hat damit das Probestück einer Begab-
ung geliefert, die offensichtlich über den Durch-
schnitt ragt.. Aus der Not eine Tugend machen —
das ist das Gebot, das die wunderlichen Verhält-
nisse der Zeit mit mehreren Ausrufungszeichen vor
den Berliner Architekten von heute aufpflanzen.
Das Gefäß der Stadt ist bis zum Zerspringen ge-
füllt. Zahllose Familien wollen Wohnungen haben,
und es sind keine vorhanden. Auch wer reich-

lichere Mittel zur Verfügung hat, ist in Verlegen-
heit. Er kann sich vielleicht weit draußen vor der
Stadt eine Villa bauen lassen, aber das erregt mn>
unter ein Luxus-Aufsehen, das zurückhaltende
Naturen vermeiden wollen, es erfordert auch, wenn
verwöhntere Ansprüche wirklich befriedigt werden
sollen, schon beträchtlichen Aufwand, und es ist
überdies nicht jedermanns Sache, in ferne Einsam-
keit auszuwandern, wo man tagaus tagein auf um-
ständliche Reisen nach der Stadt angewiesen ist.
In Berlin selbst jedoch Wohnhäuser zu bauen, ist
ein Traum geworden. Also kam man zu dem Ge-
danken der »Aufstockungen«. Allenthalben sind
ragende Gerüste aufgeschlagen; die Häuser wach-
sen in die Höhe. Aber auch das ist nicht so ein-
fach, wie es klingt. Denn die Götter und die Stadt-
behörden haben eine Bauordnung eingesetzt. Es
ist oft keine Kleinigkeit, sich durch ihre Fußangeln
hindurchzuwinden. Ganz abgesehen von den
Schwierigkeiten, die das Problem an sich bietet.
Wer wirklich etwas kann, wird freilich gerade
im Kampf gegen diesen Berg von Widerständen
sein Talent erweisen. In Berlin leuchtet noch heute
das große Beispiel Schinkels voran, der eben im
Umgestalten vorhandener Baulichkeiten, in der

1924. TU. 1.
 
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