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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 35.1924

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Hagenbucher, Hedwig Lafrenz: Die Frau und der Schreibtisch: vom guten und vom schlechten Schreibtisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.11736#0794

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INNEN-DEKORATION

345

Marken darin jämmerlich schreien und weinen. Aus den großen
grünen Löschblättern, die auf der Platte liegen, erheben sich die
abgedruckten Buchstaben zu graziösem Reigen und necken die
plumpen Tintenkleckse, die dazwischen rollen, und aus meinen
Lieblingsphotographien lächeln freundliche Gesichter zu dem
Treiben. Selbst die bunte Kerze verläßt ihren kugeligen Holz-
leuchter und mischt sich unter die Tanzenden mit gravitätischem
Schritt. Aus den Schubladen schlüpfen Brief-Kuverts, Patience-
Karten, Merkhefte und Bücherverzeichnisse, mir wird ganz wir-
belig im Kopf, besonders als die Zettelwirtschaft erscheint aus
dem zweitobersten Fach links und eine Flut von alten Fetzen
sich über mich ergießt, die ich als sparsame Hausfrau sammelte!
Natürlich das Werkzeug-Schublädchen steht auch offen und ent-
sendet eine Schar von Leimtuben, Messern, Pinseln, Taschen-
lampen, Siegellack, Reißnägeln und anderen praktischen Dingen.
Mein Schlüsselbund macht die erforderliche Musik. Die Nelke
in dem roten Väschen kann nur duften und tut das auch gehörig,
um ihre Gaben beizusteuern. Uber dem Ganzen tanzt mein rosa
Schraubbleistift, denn er ist an einem langen gelben Band be-
festigt, damit er nicht das Los aller Bleistifte teile und wandere.

Nur das kleine Türchen in der Mitte bleibt geschlossen, treu
und sorglich hütet es meine Schätze und läßt sich selbst in diesem
tollen Wirbel nicht verführen aufzuspringen, — ohne mein:
»Sesam öffne Dich!« Ich blicke es dankbar an und will gerade
ein liebes Wort ihm sagen, als ich vom Stuhl fiel, sofort bestürzt
erwachte und mich vergeblich nach dem Spuck umblickte. Ihr
hättet nur die braven Gesichter meiner Schreibtischbewohner
sehen sollen, als hätten sie sich nie allein von ihrem Platz bewegt!

In diesem Traum führte ich alle Dinge vor, die in einen
»ordentlichen« Schreibtisch gehören. Ich habe aus Ehrfurcht die
Konto- und Haushaltsbücher weggelassen, die natürlich ihren
Platz haben, ebenso ist der Ort des Wäschebuches und die

ARCHITEKT OTTO BAUER-WIEN. SEKRETÄR

liebenswürdigem Zauber, durch den sie bestrickt und
fesselt. Ja, was so ein Schreibtisch nicht alles vermag I I
Dabei komme ich noch gar nicht zum wichtigsten,
zum Schreiben selbst, das so sehr von dem
Schreibtisch beeinflußt wird. Aber ich kann dies Ii
nicht in die Allgemeinheit übertragen, es bleibt immer
individuell und jedermann überlassen, ob er sein
Gefühl schriftlich niederlegen will und kann. Der L
Schreibtisch ist deshalb doch unentbehrlich, denn er
enthält soviel andere Geister, die nur in ihm den L
richtigen Platz finden .. Neulich bin ich beim Schrei-
ben eingeschlafen, mein Kopf lag auf den Armen.
Plötzlich kitzelt es mich am Ohr, ich fahre empört
auf und siehe da, die ganzen Bewohner des Schreib- I
tisches sind erwacht und klettern aus ihren Fächern.
Vor mir beginnt ein wilder Tanz. Allen voraus der
lange Gänsekiel mit der feierlichen roten Troddel,
er kommt sich besonders wichtig vor, denn er hat
schon beim Wiener Kongreß mitgeschrieben und
schaut verächtlich auf die dicken Füllfederhalter
herab, die wiederum ihrer Technik sich bewußt, I
stolz einher wackeln. Mein Kalender blättert rast-
los hin und her, und alle Notizen, die ihn füllen,
suchen sich zu überschreien. Der Deckel des alten

Rokokotintenfasses beginnt zu leben, die Tintenfüller ■B***«J|
machen lustige Sprünge, das ärgert besonders das , ^

vornehme, messingne Döschen, es klappt sofort seinen ^-^jrtäBBI^—KtfttHi

Deckel wieder zu, obwohl alle zehner und fünf er Architekt otto bauer -wien. notenschrank. birnbaum
 
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