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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Heft 1
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Fechheimer, Hedwig: Das ägyptische Tierbild, [1]: Religiöses - Figuren
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0035

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HMHIHH1H

FALKE. BASALT. PARIS

SEITENANSICHT

du hast die Erde weit gemacht.

Dir jubelt der Himmel,

da deine Seele so gross ist.

Vor dir fürchtet sich die Erde,

da deine Gestalt so prächtig ist.

Ehrwürdiger Falke schimmernden Gefieders,

Kranich, vielfarbiger.

Grosser Löwe, der sich selbst schirmt,

der der Abendsonnenbarke den Weg bahnt.

Dein Gebrüll, es wirft deine Feinde nieder . . .

Dir jauchzen die Menschen,

vor dir fürchten sich die Götter,

nachdem du die Frevler aufihrGesicht gefüllt hast.

Der du den Himmel umkreist unerreicht,

um die Erde zu erhellen für deine Kinder.

Du bist höher als die Götter und Menschen,

du bist uns aufgegangen,
ohne dass wir deine Gestalt kennen.
Du stellst dich vor uns,
ohne dass wir deinen Leib kennen.
So überdauern Göttersymbole
die Vorstellungen, die in ihnen in-
karniert sind. Auf den neuen Gott
unverändert übertragen, wie das
schöne Gleichnis im Gebet an
Amon: „Amon, du Hirt, der die
Kühe früh austreibt, der die elende
zur Weide treibt!"- Oder in neuer
Bedeutung, wie das Sphinxbild, das
die Griechen umdeuteten, oder wie
die Maske des satyrhaften ßes, die
sie in das Medusenhaupt verwan-
delten — die tragische Auslegung
einer Groteske.

Man hat den Ägyptern wegen
ihres strengen Traditionalismus
Biegsamkeit des Geistes abge-
sprochen. Auf ihre Tierdarstel-
lungen trifft das nicht zu. Die
Hände, die das hieratische Bild,
den Wohnsitz des Gottes, ver-
fertigten, zeichneten die amüsan-
teste Fantasie drolatique heiliger
und unheiliger Tiere. Tiere, die
menschliche Situationen unüber-
trefflich echt, nur in totalem Ge-
gensatz zu ihren Instinkten mimen;
Tiere in Duell und Schlacht, beim
Brettspiel, bei ländlichen und häus-
lichen Szenen. Nicht Karikaturen,
weder dem Sinn nach — dazu fehlt
das aggressive moralische Moment —,noch der Form
nach; denn die Einfälle sind im üblichen Zeichen-
stil vorgetragen, weder Proportionen noch Bewe-
gungen karikiert. Sondern eine Tierkomödie, ein
befreiender Scherz, das heitere Widerspiel der ver-
gotteten Tierwelt, die auf Ägypten lastete.

Die religiöse Symbolik des Ägypters wurzelt
im Sichtbaren. Der Sonnengott durchfliegt - - ein
Falke mit buntem Gefieder - - den Himmel. Die
Göttin Nechbet ist der schwebende Geier, der mit
ausgebreiteten Flügeln den König schützt. Die
beiden „Wegeöffner", die die Seelen in das Toten-
reich am Wüstenrand leiten, sind Schakale. Isis
Hess sich klagend in Sperbergestalt auf den Leich-
nam des erschlagenen Osiris nieder. Beim Winde
ihrer Flügelschläge beginnt der tote Gott zu atmen.



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