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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft II (Februar 1910)
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Hahn: Vom "papiernen" Ornament in der Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0023

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Heft II

IV, Jahrgang

Februar 1910

Schriftleiter: Gustav Kolb, Oberreallehrer in Göppingen.
Inhalt:
Vom „papiernen" Ornament in der Schule. — Die Pflichtstundenzahl der Zeichenlehrer. — Bilder-
schrift und Fibelbilder (Fortsetzung). — „Der schöne Strich“. (Für einfache Schulverhältnisse.) —
Verband süddeutscher Zeichenlehrervereine. —= Preisausschreiben. — Besprechungen.


Vom „papiernen“ Ornament in der Schule.
Dass auch die Phantasie im Schulzeichnen gepflegt werden könne, war bis
vor wenigen Jahren noch ganz unbekannt. Das ist nun freilich nicht weiter ver-
wunderlich bei einer Zeit, die für Pflege der Phantasie überhaupt nichts oder
kaum etwas übrig hatte. Von den vielen Zeugnissen, die dies bestätigen, nur eins!
Albert Dresdner schreibt in seinem „Weg der Kunst“:
„Den Grund der Spannung im modernen Leben suche ich darin, dass
durch die Entwicklung der modernen Kultur einzelne unserer Funktionen über-
entwickelt, andere zurückgedrängt, ja gelähmt wurden. Ueberentwickelt wurde
durch die Wissenschaft die Funktion des Analysierens und Erkennens: wir
sind mit einer ungeheuren Last von Bildung beladen, ohne damit eigentlich
etwas anfangen zu können. Gehemmt und gelähmt wurde die schöpferische
Funktion, die Funktion des Gestaltens — die künstlerische Funktion. Phan-
tasie und Schöpferwille wurden durch Kenntnisse und wissenschaftliche
Objektivität geknebelt. Der Weg zur Gesundung des modernen Leb ens
ist hienach, wie mich dünkt, der der Wi ederb elebung der künstle-
rischen Kraft im Menschen.“
Dieser Wiederbelebung, soweit hiefür der Zeichenunterricht in Betracht kommt,
widmeten sich nun gar manche mit aller Kraft. Zunächst dachte man nur an das
Gebiet der angewandten Kunst. Inzwischen war ja in dieser selbst neues
Leben eingekehrt, ein ungeahnter Aufschwung eingetreten; und so wuchsen neue
Vorlagenwerke bezw. Anleitungen zum Entwerfen in der Schule wie Pilze aus dem
Boden.. Doch war das meiste schlecht. Die Bewegung draussen wollte eben auch
nicht recht vorwärts. Man erkannte allmählich, dass man durch die seitherige
Ueberladung mit Schmuck das Zufällige zur Hauptsache gemacht, das Wesentliche
aber (Zweckmässigkeit des Aufbaus, Echtheit des Stoffs, Güte der Arbeit) häufig
geradezu verwahrlost hatte. Man musste erst einmal auf allen Schmuck verzichten,
um bei den Dingen zunächst die „Form an sich“ zu gewinnen. In diese schmuck-
feindliche Zeit fielen die preussischen Lehrpläne, welche das Ornament überhaupt
kaum berühren. Mit dem allmählich wieder erwachenden Bedürfnis nach Schmuck
zog dann auch das schmückende Zeichnen wieder in die Schule ein, wenn schon
in bescheidener Weise sowie in anderer Gestalt; und wenn es nach dem Willen
der Eiferer ginge, so dürften in der Schule nur noch wirkliche Gegenstände
geschmückt, bezw. Gebrauchs- und Kunstformen selbst erfunden werden.
Alle andern dekorativen Lebungen werden als „papierne“ Ornamente gebrand-
markt und kurzer Hand abgetan. So liess Kerschensteiner an einem Mittag Tausende
von Buchdeckeln, an einem andern ebensoviele Teller (freilich nur aus Papier-
mache) in seinen Münchener Schulen zur Schmückung verteilen.
Dass durch den Gegenstand selbst das Interesse gesteigert und die
Stoffgemässheit des Schmuckes, eine wesentliche Forderung des Orna-
ments, gesichert wird, ist nicht zu bezweifeln. Dieses letzteren Vorteils begibt
man sich aber sofort wieder, wenn man statt des echten Materials dem Schüler
 
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