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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft VII (Juli 1910)
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Elßner, Karl: Praktische Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0099

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Heft VII

IV, Jahrgang

Juli 1910

Schriftleiter: Gustav Kolb, Oberreallehrer in Göppingen.
Inhalt:
Praktische Erziehung. — Mosaik-Malerei und Monumentalkunst. — Der Verband württembergischer
Gewerbeschulmänner. - Zu unseren Abbildungen. — Verein württemb. Zeichenlehrer. — Verband
süddeutscher Zeichenlehrervereine. — Verein für Zeichen- und Kunstunterricht in Elsass-Lothringen.
— Umschau. — Wie man Zeichnen lernt. — Kinder und Blumen. — Besprechung.

Praktische Erziehung.
Die Forderung, dass die Schule auch den Bewegungs- und Tätigkeitstrieb des
Kindes berücksichtigen und durch Spiel und werktätige Beschäftigung pflegen müsse,
ist nicht neu. Namhafte Pädagogen aller Zeiten haben nicht nur betont, dass die
Befriedigung dieser Triebe das Kind glücklich macht und ein heilsames Gegen-
gewicht sei für die in den Schulen vorherrschende rein geistige Betätigung, sie
haben ausserdem bewiesen, dass auch körperliche Arbeit den Geist bildet und zur
Verwendung seiner Sinne und Organe fähig macht. Obgleich niemand die Dich-
tigkeit dieser Behauptungen anzweifelt, kann von einer Durchführung der Idee noch
nicht gesprochen werden. Man verharrt in Deutschland besonders noch in einer
ab wartenden Haltung und verlässt sich auf die Tätigkeit von gemeinnützigen Ver-
einen und Privatpersonen, während das Ausland dieser wichtigen Erziehungsfrage
die weitgehendste Fürsorge widmet.
Dass die Verhältnisse heute noch so liegen, ist zwar beklagenswert, aber
durchaus verständlich. Der Gedanke, die Werktätigkeit, mit Einschluss des Zeich-
nens, in den Dienst des Gesamterziehungsplanes zu stellen, ist noch zu neu, die
Ueberzeugung, dass damit dem Schüler ein ebenso wichtiger Dienst geleistet werde
wie dem Staate, noch zu wenig verbreitet, als dass die Einführung des Arbeits-
unterrichts von der Gesamtheit als Bedürfnis empfunden und zur Forderung er-
hoben werden könnte. Die Handarbeit ist bisher ja auch — wenige Versuche ab-
gerechnet — ohne organischen Zusammenhang mit der übrigen Unterrichtsarbeit
von Lehrern im Nebenamte gelehrt worden, die durch Neigung und Uebung dafür
geeignet erschienen. Die Zahl der Schulmänner, die eine entsprechende Ausbildung
erhalten haben, um den Segen derselben aus eigener Erfahrung heraus beurteilen
zu können, ist noch zu gering und verschwindet gegen die Uebermacht derer, die
in der Handarbeit eine zwar unterhaltende und nützliche, im Grunde genommen
aber doch recht untergeordnete, minderwertige Beschäftigung erblicken, die lieber
nur als sogenannte wissenschaftliche Lehrer gelten wollen, was dem in vorwiegend
humanistischer Weise erzogenen „Volke der Dichter und Denker“ immer noch als
etwas Besonderes gilt und als eine höhere Leistung gewertet und bezahlt wird.
Eine Wandlung dieser Anschauung ist sobald nicht, sicher aber nicht früher zu
erwarten, als bis die Gesamtheit der Lehrer so erzogen worden ist, dass sie auf
Grund eigener Erkenntnis zu der Ueberzeugung gelangt, dass unsere ganze Schul-
arbeit eitel Stückwerk ist und bleibt, so lange wir nicht die Entfaltung aller dem
Menschen innewohnenden Geisteskräfte möglichst gleichmässig zu fördern suchen.
Jeder Lehrer sollte deshalb bereits auf dem Seminar bei aller Gründlichkeit
seiner wissenschaftlichen auch dasjenige Mass künstlerisch-technischer Bildung er-
werben, das ihn befähigt, an der kulturellen Weiterentwicklung unseres Volkes
mitzuarbeiten. Deutschland ist in den industriellen und kommerziellen Wettkampf
der Völker eingetreten. Mühsam hat es sich eine Stellung erkämpft, und, was ihm
von seiner wissenschaftlichen Vorherrschaft verloren gegangen, auf dem Gebiete
der Kunst, des Handels und der Technik wiedererworben. Die Zukunft verlangt
ein Geschlecht, das dieses Erbe zu wahren und zu mehren versteht, das mit ge-
schärftem Blick und einem selbständigen Urteil an seine Aufgaben herantritt und
in gerechter Weise die Arbeitsleistung anderer achten und werten kann, ein Ge-
schlecht, das zu der Ueberzeugung gelangt ist, dass „das Denken nicht ausschliesslich
den Studierten vorbehalten ist und dass etwas Hohes und Heiliges in jeder wahren,
ernsten Arbeit liegt.“
Es ist eine eigenartige Erscheinung, dass man es seit Jahrzehnten bereits für
selbstverständlich gehalten hat, wenn die Mädchen unseres Volkes sich in den Hand-
arbeiten üben müssen, während für die Knaben eine entsprechende Beschäftigung
 
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