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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft V (Mai 1910)
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Bender, E.: Kunstunterricht, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0067

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Heft V

IV. Jahrgang

Mai 1910

Schriftleiter: Gustav Kolb, Oberreallehrer in Göppingen.

Inhalt:

Kunstunterricht (Schluss^. — Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen
Bauwesen. — Der neue württemb. Lehrplan für den Zeichenunterricht der höheren Knabenschulen. —
Für einfache Schulverhältnisse. — Dauer der Kunstwerke. — Umschau. — Besprechungen.

Kunstunterricht. (Schluss.)
(E. Bender.)
Es kann mir der Vorwurf gemacht werden, dass ich nicht nur Gutes, sondern
auch weniger Beachtenswertes zur Anschauung bringe. AVer das rügt, der möge
bedenken, dass das weniger Beachtenswerte unsern Schülern früher oder später in
alter und neuer Kunst entgegentreten wird. Die schwache Stimme ihres auf natür-
lichem Empfinden beruhenden Urteils wird übertönt durch die Meinung anderer (vgl. die
schon erwähnte Urteilsbeeinflussung bei dem Bilde: „Die heilige Nacht“ von Uhde).
Soll die Stärkung des eigenen Urteils erreicht werden, dann muss auch eine Be-
einflussung von seifen des Lehrers ausgeschlossen sein. Vor allem ist vor Phrasen
und Ueberschwenglichkeiten zu warnen. „Beobachtung und immer wieder die ele-
mentare Beobachtung muss den Inhalt aller Kunstbetrachtung bilden,“ sagt Liclit-
wark in der erwähnten Schrift; ferner: „Meinungen und Ansichten über Kunst
mitzuteilen, ist geradezu Sünde.“
Eine gefährliche Klippe ist bei solchen Gegenüberstellungen mit feinem Takt
zu umgehen: Die Schüler dürfen nicht an das Kritisieren von Kunstwerken ge-
wöhnt werden. Wenn einmal ein verurteilendes Wort gesprochen werden muss
(die Notwendigkeit besteht einer gewissen Kunst gegenüber), dann muss es mit
ernsten Worten geschehen und nicht mit witzelndem Spott. Unter Kritisieren ver-
stehe ich eine Angewohnheit, die an jedem Bilde irgend eine Kleinigkeit auszu-
setzen sucht. Der „Genuss“ einer solchen Betrachtung besteht im Kritisieren.
Wenn unsere Schüler empfinden, dieses Bild spricht zu mir und dieses nicht, so
ist das kein Kritisieren, denn ihr Genuss besteht im Mitempfinden.
Ist das erste Ziel erreicht, nämlich die Festigung des in seiner Ursprüng-
lichkeit richtigen Gefühlsurteils unserer Schüler, dann kann man weiterschreiten
zur 2. Aufgabe, zur Vertiefung in die einzelne Künstlerpersönlichkeit.
Ich stelle nebeneinander aus z. B. Bilder von Bethel und solche von Schwind,
von Dürer und Raffael usw. Dazu sage ich etwa: Der Künstler offenbart in
seinen Werken sich selber. In Italien war ein Maler durch Spiel und ausschwei-
fendes Leben in grosse Schuldennot gekommen. Um zu verdienen, malte er Bilder
religiösen Inhaltes. Rührende Frömmigkeit, Ergebung in Gottes Willen wollte er
darstellen —- wie urteilten aber die Beschauer: „Seht die gelungenen Heuchler“.
Aus den Werken spricht die Persönlichkeit des Künstlers. Letzthin hatte ich zwei
Bildnisse von Dürer (Imhoff, Holzschuher) und zwei von Holbein (Erasmus von
Rotterdam, Georg Giesse) ausgehängt. Bei der Besprechung sagte ein Schüler:
„Wenn ich die zwei Bildnisse von Dürer ansehe, dann habe ich das Gefühl, ich
müsse mich gewaltig zusammennehmen/'' Was willst du damit sagen? — Nun
du hast doch vor diesen Männern grosse Achtung empfunden, als ob sie gegen-
wärtig wären? ,,Ja, so meinte ich es.“ Was war wohl die Meinung Dürers über
diese zwei Männer? „Er hat sie auch furchtbar geachtet.“ Glaubst du, dass
Holbein den berühmten Gelehrten Erasmus von Rotterdam nicht auch geachtet
habe?“ „Doch auch, aber es ist doch ein Unterschied.“ „Nun, welcher Unter-
schied?“ — Ein anderer Schüler kommt zu Hilfe: „Bei den Bildnissen von Holbein
hat man den Eindruck, als ob er uns von den Personen etwas erzählen wollte.“
Manchem mag diese Charakterisierung von Dürer und Holbein ungenügend er-
scheinen. Man bedenke aber, dass ein 15 — löjähriger Schüler eine klare Gegen-
überstellung der Eigenart der beiden Künstler mit Worten überhaupt nicht geben
kann. Eine solche war aber auch nicht verlangt; ich habe mich ausschliesslich
an das Empfinden gewendet und in dieser Hinsicht mussten mich die obigen Ant-
worten zufrieden stellen. Eine weitere Belehrung hätte das Wissen bereichert,
nicht das Empfinden vertieft.
 
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