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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft IX (September 1910)
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Brünger, L.: Warum finden wir die alten Bauernmöbel schön?
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0144

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gebraucht werden. Der Schmuck ist nur aufgeklebt. Er wird meistens zu Hunderten von
anderwärts bezogen und kann nachher getrost abgenommen werden, ohne dass das Gesamt-
stück dadurch verliert. Der Menschengeist und das Gemüt ist bei der Arbeit vollständig
ausgeschaltet, die Arbeit wird rein mechanisch gemacht. Solch ein Hausgerät lässt uns
gleichgültig, es ist seelenlos, wenn man so sagen darf.
Aber wir haben nun mal die Möbelfabriken und sie arbeiten so billig. Ja leider!
Allerdings auch die Fabrikmöbel können besser sein und es wird auch, so hoffen wir fest,
Wandel geschaffen werden, aber davon ein andermal. Heute sollen an diese Ausführungen
folgende Mahnungen geschlossen werden:
Achtet die altererbten Sachen. Verkauft sie nicht! Die jetzt wieder erwachende
Freude an den alten Möbeln ist keine vorübergehende Mode, sondern sie ist hervorgegangen
aus der Erkenntnis, dass die alten Hausgeräte gut und darum wertvoll sind. Sie müssen
aber bleiben, wo sie immer gewesen sind, in den Bauernhäusern und den Bauernstuben.
Jede Landschaft hat ihre eigene Schönheit und diese Schönheit findet sich auch nicht allein
in den Kirchen und Höfen und Häusern, sie ist auch in den Hausgeräten zum Ausdruck
gekommen. Bei aller Mannigfaltigkeit ist es doch stets ein einheitlicher Ton, auf den das
Ganze gestimmt ist. Die vielgerühmte Neuzeit aber zerstört diese Einheit durch ihre häss-
lichen, schablonenmässigen Gebäude und Geräte. Viel ist darin schon verdorben worden
und geht es so weiter, so zeigen in absehbarer Zeit alle Dörfer des lieben deutschen Vater-
landes dasselbe öde, trostlose Bild gemütloser Maschinenarbeit. Sollen wir uns das gefallen
lassen ? Sollen wir die alten, lieben Erbstücke, die Zeugnis davon ablegen, was für ein
tüchtiges, gesundes und sinniges Volk unsere Vorfahren waren, an sammelwütige Städter
und gewinnsüchtige Händler verkaufen? Nimmermehr! L. B r ü n g e r.

Ausschnitte sehen. Unter dieser Ueber-
schrift bringt Avenarius im „Kunstwart“ fol-
gende Ausführungen, die deshalb von uns zu
begriissen sind, weil sie eine Sache, die uns und
unseren Schülern wohlvertraut ist, weiteren
Kreisen zugänglich macht. Der Grossstadt-
mensch von heute ist, wie er weiss, siebenmal
gescheit und neunmal weise, und zwar, wie
insgemein, so insbesondere in Sachen der
Kunst. Er kommt zwar höchstens in den
Ferien für nennenswerte Zeit dahin, wo man
Feld, Wald, Wiese oder gar Berg und Meer
sieht, aber er ist doch höchster Sachkenner
von all dem, und weiss zum Beispiel gelegent-
lich der Kunstausstellungen durch seinen
Wortführer, den Rezensenten (dem’s ebenso
geht) oder auch eigenen Mundes vor des
Malers Gebild mit zusammengekniffenen
Augen und toternst überzeugter Miene über
die Naturwahrheit, die Beleuchtungswahr-
scheinlichkeit und sonstige Echtheit der dar-
gestellten Siebensachen für seine Person
autoritativ zu sprechen. Ach, wer mit der
Natur wirklich auf Du und Du verkehrt,
empfindet Jahr für Jahr mehr das Affen-
komödienhafte des Themas: Snob in der
Ausstellung. Und das Tragikomödienhafte
der weitern Tatsache, dass leider es nicht
nur Snob ist, was durch das Getu der unsrer
Rezensenten, als wäre jeder Leser, versteht
sich, Kunstkenner, für seine Lebenszeit von
lebendigem Kunstgenüsse ferngehalten wird.
So gewiss Kunst Auseinandersetzung eines
schaffenden Menschen-Ichs mit der Natur ist,
so gewiss verlangt sie auch vom geniessenden
Menschen-Ich Auseinandersetzung mit der
Natur, ehe sie sich ihm erschliesst. Was
sollen die Leser mit all den Urteilen, wenn
sie ihr Sehen nicht an der Natur üben?
Der Maler gibt Bilder, und jedes Bild ist
ein Ausschnitt. Der Ausschnitt muss „richtig-
sein. Überlegter gesagt: er muss einer von
den „richtigen“ sein, er muss im besondern
Falle das „heben“ , was wir sehn. Was tut
denn jeder Ausschnitt? Er entfernt von

einem Naturbilde alles an den Seiten, alles
das, was wir nur verschwommen sehn, was wir
nicht gleichzeitig mit einem einzigen Blicke
umfassen können. Er sammelt also unsre
Aufmerksamkeit. Dadurch aber lässt er das
so Belassene als etwas Zusammengehöriges,
als etwas Selbständiges sehn, als eine Ein-
heit für sich: eben als ein Bild. Was in der
Wirklichkeit mit Linien wie mit Farben in
die Umgebung verläuft, das ist hier auf-
einander angewiesen und wirkt deshalb auf-
einander ein. In der Natur mag sich eine
Linie, Form, Farbe auf Gott weis was in
der Ferne beziehn, im Bilde bezieht sich
jegliches auf seine Nachbarschaft im Bild.
Tut es das nicht, so „zerfällt“ das Bild eben —
und ist im künstlerischen Sinne dann über-
haupt kein Bild. Tut es das wohl, so ist
das Bild „geschlossen, so scheint es „kom-
poniert“. Dies kann von den Linien, den
Massen (das heisst zumeist: der Licht-Schat-
tenwirkung) und von den Farben gelten. Das
ist ja der Grund, weshalb für den künstle-
risch Sehenden nicht das Panorama, sondern
der „umrahmte“ Ausblick die Reize bietet,
die ihn am meisten entzücken.
Nun frag ich: wieviele Menschen üben
sich im Ausschnittsehn ? Alle Maler, versteht
sich. Dass die Photographen gezwungen
werden, sich darin zu üben, darin beruht
vielleicht der grösste „kunsterzieherische“
Wert der Liebhaberphotographie, nur müssen
sie sich dann auch im wirklichen „Ausschneiden“
üben, nach allen Möglichkeiten von hoch und
breit, schmal im Rechteck oder quadratisch,
kreisförmig usw. — sie dürfen nicht etwa nur
Diener des einen Formats ihrer Platten sein.
Leider sind das die meisten. Lind wer hat
sonst schon Leute gesehen, die sich mit einer
kleinen verstellbaren Vorrichtung aus Papier,
oder nur mit der Hand im Ausschnittsehn
übten? Dass ich eine schreckliche Ketzerei
sage — ich verspreche von solcherlei Übung
mehr für die Augen-Schulung und damit: für
das erste Element aller ästhetischen Erziehung
 
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