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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft VI (Juni 1910)
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Kolb, Gustav: Der neue Lehrplan für das Freihandzeichnen an den höheren Knabenschulen in Württemberg
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Henrici, Karl: Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen Bauwesen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0088

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lassen, den Behörden unsern Dank auszusprechen; denn gewiss war es kein leichtes
Stück Arbeit, die verschiedenen Anschauungen und Wünsche miteinander zu
vereinigen.
Wir waren bemüht, unsere Kritik auf die Grundlage praktischer Erfahrung
zu stellen und positiv zu gestalten. Wenn sie unsere Leser veranlasst hat, den
Lehrplan mit uns durchzudenken, so wird sie immerhin nicht zwecklos gewesen sein.
G. Kolb.

Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen
Bauwesen.
II.
Wie anders sieht’s aus mit den baulichen Erzeugnissen des vorigen Jahr-
hunderts, von den dreissiger Jahren an gerechnet! Ueberall und fast ausnahms-
los sind durch sie schreiende Missklänge in die Harmonie des früheren Bestandes
hineingetragen und ist das meist mit erfreuender Bildwirkung gepaarte, individuelle
Gepräge der alten Orte beeinträchtigt, wo nicht gänzlich verwischt oder vernichtet.
Man brauche darüber nicht traurig zu sein, wenn an die Stelle des Alten
oder neben dasselbe etwas getreten wäre, das, wenn auch andersartig gestaltet,
doch wiederum mit ihm eignen Beizen behaftet wäre, und wenn man dem neu
Geschaffenen anmerkte, dass es für die bestimmte Stelle geschaffen sei, wo es sich
befindet, und von jemandem erfunden, der zu dem Orte irgend welche heimatliche
Beziehungen hatte. Man würde dann hoffen können, dass unter der Patina des
Alters die gute friedliche Stimmung wieder hergestellt werden würde.
Aber dem ist leider nicht so: hier ein Haus, welches vielleicht die Holz-
mindener, dort eines, welches die Hildburghausener Baugewerbeschule verrät,
hier eine bessere Villa von einem Vertreter des gotischen Stiles, dort eine von
einem Vertreter der italienischen Benaissance usw. Mit der Gegend, mit der Ge-
schichte und dem Empfinden der Bevölkerung haben sie nichts zu tun, und auch
in der Farbe passen sie nicht dahin, denn die Baumaterialien sind von weit her
importiert.
Aber halt! Dort erhebt sich ja ein Turm, der ganz dem alten Kirchturm
ähnelt, dem geliebten Wahrzeichen der Stadt, der schon seit Jahrhunderten dem
Scheidenden den Abschiedsgruss, dem Heinikehrenden den Willkommgruss spen-
dete! Bichtig! Es ist das Beichspostgebäude, welches ihn trägt, und welches
ganz im Stil der lieben alten Kirche gebaut ist, oder auch das neue Bathaus.
Und dort am Eck des neuen Strassendurchbruches, da wo früher an erweiterter
Stelle der Strasse die alte Linde stand, mit dem Brunnen drunter, ein neues Kaufhaus
mit Spiegelscheiben und reizenden Erkertürmchen, in genau denselben Formen,
nur in kleinerem Massstab wie der Kirchturm! Ist es nicht eine Freude, zu sehen,
wie der alte hagestolze Kirchturm sich bekehrt hat, Familienvater geworden ist,
und eine ganze Schar von Kindern um sich versammelt hat, die ihm alle aus dem
Gesicht geschnitten sind? Ist das nicht erfreuende Heimatskunst? Zwar sind
und werden die Kleinen niemals Kirchtürme, aber die Nachkommenschaft ist doch
gesichert!
Und dort, wro die Strasse sich mehrfach krümmte, um bequemer den Berg
hinanzukommen, wo sie an der steilen Stelle sich engte, um das Gefühl einer breiten
Butschbahn, der seitlich aller Halt fehlt, nicht aufkommen zu lassen, und wo sie
sich an flacher Stelle ausweitete, um behäbigen Platz zu langsamerer Bewegung
und zum Halten darzubieten, mit wie einfachen Mitteln hat man diese vermeintlich
kunstlosen Unregelmässigkeiten beseitigt, indem man den Weg oben etwas abtrug,
unten etwas aufhöhte und die Baufluchten nach der Schnur „regulierte“! Zwar
steht nun das eine Haus zu tief und sieht aus, als ob es in die Erde versunken
wäre, und das andre zu hoch, sodass die Kellermauern frei geworden sind, auf
denen es nun aufgestelzt erscheint. Der Neubau auf der einen Seite springt vor,
 
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