Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

DOI Heft:
Heft III (März 1910)
DOI Artikel:
Bender, E.: Kunstunterricht, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0039

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft III

IV, Jahrgang

März 1910

Schriftleiter: Gustav Kolb, Oberreallehrer in Göppingen.

Inhalt:

Kunstunterricht. — Bilderschrift und Fibelbilder (Schluss). — Nochmals der „schöne Strich“. (Für
einfache Schulverhältnisse.) — Es geht eine Sehnsucht durch die Welt. — Zu unseren Abbildungen.
— Verein badischer Zeichenlehrer. — Besprechung.

Kunstunterricht.
(E. Bender.)
Der Kunstunterricht kann mit den meisten Unterrichtsfächern unser Mittel-
und Volksschulen verbunden werden. Wir Zeichenlehrer pflegen nur einen Zweig
desselben, die Förderung des Verständnisses für Werke der bildenden Kunst.
Diese ist in erster Linie nicht eine Sache der Geschicklichkeit, sie ist wie Hermann
Grimm sagt: „ein Ausfluss tiefen nnd wahren menschlichen Empfindens“. Das
Empfinden benützt als Sprache das künstlerische Können. Ist dieses Können
Geschicklichkeit? Die Stärke des Könnens liegt nicht in der Hand, sondern im
Geist, in der Kraft des Ausdruckes. Wenn wir im Zeichenunterrichte unsere
Schüler dazu erziehen, in allen Formen das Bedeutende, Charakteristische zu sehen,
wenn wir erstreben, dass sie die Dinge nicht nur mit dem äusseren Auge schauen,
sondern dass sie das Gesehene auch verstehen, dann treiben wir Kunstunterricht.
Ohne Denken kein gutes Zeichnen. „Wir können den Bleistift nicht auf das
Papier setzen, ohne dass wir gleichsam einen Vertrag mit den Bedingungen
schliessen“. Das Gelingen ist stets bedingt durch ein bewusstes Vorgehen sowohl
beim Aufzeichnen wie beim Schattieren und Malen. Arnold Böcklin wurde einst
von einer Dame gefragt, worin sich ihr Sohn, der Maler werden wollte, am meisten
zu üben habe. ,,fm Denken“, antwortete der Künstler. Alle Bemühungen des
Zeichenlehrers, seine Schüler an ein denkendes Zeichnen zu gewöhnen, sind Kunst-
unterricht unter der Bedingung, dass die Anforderungen an das Denken nicht in
Pedanterie ausarten. Wenn wir in stiller Stunde unsere eigenen Zeichnungen aus
früherer Zeit wieder durchsehen, dann stossen wir öfters auf fehlerhafte Darstellungen;
wir begreifen nicht, dass uns dies damals, als wir die Zeichnungen fertigten, nicht
auffiel. Wir sollten daraus die Lehre ziehen, dass die verstandesmässige Auffassung
je nach dem Alter des Schülers ihre Grenzen hat. Durch Pedanterie macht man
den Zeichenunterricht den Schülern zur Qual, vielleicht gerade denen am meisten,
die künstlerisch veranlagt sind. Die Kunst ist „ein Ausfluss tiefen und wahren
menschlichen Empfindens.“ Ueberder verstandesmässigen Auffassung steht
die empfundene. Welchem Zeichenlehrer ist es nicht schon aufgefallen, dass
gerade die Schüler, die einer gefühlsmässigen Auffassung fähig sind, in der Darstellung
der Dinge häufig kleine Verstandesfehler machen (siehe Abb. 1 und 2). Es geht
hier wie bei der Sprache. Wem das Herz auf der Zunge liegt, der wägt seine
Worte nicht in dem Masse wie der scharf denkende Grammatiker. Sollten wir
ihn deshalb schelten? Ein Herumkorrigieren von Seiten des Lehrers an der
Zeichnung Abb. 2 müsste ich als ein Ver-Korrigieren ansehen. Diese Arbeit ist
künstlerischer als die korrekte Verstandesarbeit Abb. 1. Hier gilt auch das bekannte
Wort aus den Meistersingern: „Es entspricht nicht der Kegel und ist doch kein Fehler
darin“. Die Inanspruchnahme des Gefühls beim Zeichnen und Malen, beim Aufstellen
von Stilleben, beim Abwägen der Gegensätze usw. — das ist Kunstunterricht.
Gibt es aber nicht genug Menschen, die vom künstlerischen Ausüben nichts
verstehen und dennoch im stände sind, ein Kunstwerk zu geniessen? Gewiss ist
es zum Verstehen der Kunstwerke gut, wenn man eine gewisse technische Aus-
bildung besitzt. Der Kunsthistoriker Professor Konrad Lange schreibt hierüber:*)
„Der Laie, der Kunstwerke verstehen und geniessen will, muss wenigstens soweit
technisch gebildet sein, dass er das eigentliche Wesen des künstlerischen Schaffens
zu verstehen und zu würdigen weiss; es soll ihm das geheimnisvolle Zusammen-
wirken von Empfindung und technischer Ausführung aus eigener Erfahrung wenig-
stens soweit bekannt sein, dass er sich mit Leichtigkeit in die Intentionen eines
Künstlers hineinzuversetzen mag.“ Kann aber diese Kenntnis des künstlerischen
Ausübens nicht ebensogut blos zu einem gelehrt klingenden Schwätzen über Kunstwerke
*) ..Die künstlerische Erziehung der deutschen .Tugend“. Professor K. Lange.
 
Annotationen