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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft VIII (August 1910)
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Pudor, Heinrich: Festkarten und Zierkarten
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Kolb, Gustav: Das erste Zeichnen im Freien: (für einfache Schulverhältnisse)
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0121

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ein Zuviel gegeben wird, dass das Blatt überfüllt wird mit rein ornamentalen Details oder
mit feuilletonistischen, erzählenden Details: hieran kranken z. B. besonders die Berliner
Künstlerkarten 1860 — 1880, während man im Anfang des Jahrhunderts dafür, dass Einfachheit
an und für sich schon Stil bedeutet, ein feineres Gefühl hatte (vergl. z. B. die famose Karte
,,.Joh. Andr. Boerner wünscht Glück zum Jahre 1807“, darstellend, wie Herr Boerner die
Türe in der Hand hereintritt.) Diesen feuilletonistischen Zug ins Scherzhafte und Ulkmässige
übertrieben zeigen dann besonders die Münchner Karten, die auch aus diesem Grunde, dass
sie zu stark auftragen, unfein wirken.
Wie könnte aber unser Volk ästhetisch und zwar buchdruck-ästhetisch und typographisch-
ästhetisch herangebildet werden, wenn wir die Einladungskarten aller Art, die Glückwunsch-
karten aller Art, die Tischkarten, Tanzkarten, Menukarten bis zu den Besuchskarten wirklich
einfach und geschmackvoll, also auch gediegen und gut in Material und Arbeit herstellen
lassen würden und auf den oberflächlichen, gesinnungslosen Effekt etwas weniger sehen,
dafür aber mehr Eigenes, Charaktervolles, Persönliches hineinarbeiten lassen würden! Wenn
wir das „Feine“ weniger in dem Kostbaren als in dem Charaktervollen und dabei Gedie-
genen sehen und das „Chike“ und „Patente“ aussprechen würden! Die Speisekarten der
kaiserlichen Tafel nach Entwürfen Doeplers d. J„ ausgeführt in der Reichsdruckerei, sind
mit ihrem fingerbreiten Goldrand protzig fein, aber nicht wirklich aristokratisch fein — sie
sind sogar in Satz und Schrift durchaus altmodisch, antiquiert und dazu spiessbürgerlich
nüchtern. Kostbar, fast protzig, und doch wirklich fein und gediegen ist dagegen die von
Poeschel & Trepte ausgeführte Glückwunschkarte der Mitglieder des psychologischen Insti-
tutes in Behrens-Schrift.
Zu den Gedenkblättern gehört auch die bayrische „Bauernkirta“ (z. B. für Jubiläen),
deren man in der genannten Ausstellung eine grosse Reihe sehr vorzüglicher sieht, in erster
Linie von 0. Blümel, der auch in persönlichen Neujahrskarten sehr viel Gutes bietet, dann
von J. Taschner, R. Schiestl, J. Reiter, Paul Junghans. Diese Karten sind volkstümlich
nicht nur in Entwurf und Darstellung, sondern auch in der technischen Wiedergabe, die
sich meist des Farbenholzschnittes bedient. Was Festkarten im übrigen betrifft, so bietet
München Vorzügliches, im Stil volkstümlich, in der Reproduktion auf der Höhe. Ein
prächtiges Blatt z. B. A. Janks Festkarte zur 100. Jahresfeier der Akademie, Kellerfest
12. Mai 1909. Kunstwerke in höherem Sinne sind ferner O. Blümels Festkarten des Aka-
demischen Gesangvereins München, Stiftungsfest, Ausflug nach Landshut 1907 und Frühlings-
Kneipe 1907: auf ersterer sehen wir die Stadt Landshut als Kopfleiste, in der Mitte einen
übermächtig hohen Kirchturm, auf letzterer kneipende Studenten in einer Rosenlaube, über
die Maibäume ihre Wimpel flattern lassen.
Im Gegensatz zu diesem episch-lyrischen Stil zeigt episch-dramatischen Stil die gross-
artige Festkarte Max Klingers zu einer Menzelfeier — in dieser Richtung, also der der
Griffelkunst, gehen die Strahlen des Klingerschen Genies, nicht in der Oelmalerei und
weniger auch in der der Plastik.
Für die so notwendige Reform der Glückwunschkarten bieten gute nachahmenswerte
Beispiele die Karten Ehmckes, Cissarz, O. Blümels und J. Taschners. Ein Kunstwerk ganz
für sich ist die Geburtsanzeige „Iris“ von Frau Heinze, die auch an inniger Empfindung in
der Darstellung — zum Teil zwar etwas schwermütig ihresgleichen sucht.
Das erste Zeichnen im Freien. (Für einfache Schulverhältnisse.)
Es wurden schon oft die Fragen an uns gerichtet: Wann kann mit dem Zeichnen im Freien
begonnen werden und was kann man zuerst zeichnen lassen? Darauf ist zu antworten,
dass beides von den jeweiligen Verhältnissen abhängig ist. Wenn ich z. B. eine ganz kleine
Anfängerklasse (etwa bis zu 15 Schülern) bekäme, würde ich sie schon nach wenigen Stun-
den ins Freie führen. Bei grossen Klassen ist das leider unmöglich. Für alle Verhältnisse
gilt aber der Grundsatz: Sobald wie möglich hinaus aus der- engen staubigen
Schulstube ins Freie, wo die Natur und das Leben selbst dem Schüler vor
Augen steht!
Unsere Anfänger kommen im Herbst ins Zeichnen. Nun haben wir das ganze lange
Wintersemester vor uns , um ihnen in wohlgeordnetem systematischem Unterrichtsgang
(nicht zu verwechseln mit „nach systematischen Gesichtspunkten aufgebautem Stoffplan“)
die Grundlagen der edlen Zeichenkunst beizubringen. Wie wir wissen, handelt es sich dabei
zunächst um die Bestimmung der Richtung von Linien, um das Abschätzen der Grössen-
verhältnisse und die Wiedergabe der charakteristischen Gesamterscheinung einfacher Gegen-
stände. Das wird den ganzen Winter über mit Lust und Fleiss geübt an allen möglichen
Kunst- und Naturformen und es wird vor allem Bedacht darauf genommen, dass der Schüler
selbständig arbeiten lernt.
Neben der Form kommt auch die Farbe zu ihrem Recht. Anfangs arbeiten wir mit
Farbstiften (und zwar mit Oelkreide-, nie mit Pastellstiften) auf Pack- oder Tonpapier,
müssen uns dabei aber häufig auf Andeutung der Farbe beschränken.
Das Christkind bringt unsern Schülern die erste Wasserfarbenschachtel und mit ihr
viel ungekannte Wonnen. Ja, wie leuchten ihre Augen, wenn sie den ersten Regenbogen
 
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