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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft VI (Juni 1910)
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Löffler, Gottlieb: "Ausstellungsfähig"
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0090

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,, Ausstellungsfähig.“
Loeffler-Heilbronn.
Seit Kuhlmann seinen Vortrag über neue Wege auf dem Gebiete des Zeichen-
unterrichts in Stuttgart hielt, sind 8 Jahre hingegangen. Die Deform, so sehr sie
zuerst angefeindet wurde, hat sich zu halten gewusst und ist bei uns in Württem-
berg durch einen neuen Lehrplan an den Volksschulen eingeführt worden. Die
Schulbehörden für die Volksschulen Württembergs haben durch Zeichenkurse den
Lehrern Gelegenheit geboten, sich einigermassen in den neuen Betrieb einzuarbeiten.
Uns Zeichenlehrern kann es nicht gleichgültig sein, wie sich der Zeichenunterricht
entwickelt, ob er Fortschritte macht, und ob der „Geist der Reform“ erfasst ist
oder nicht. Wie hat sich nun bei uns der Zeichen-Unterricht gestaltet? Sind
schon Früchte zu sehen und welche? Was ich von diesen Früchten bis jetzt von
so manchen Schulen gesehen habe, ist durchaus nicht erfreulich. Sie lassen er-
kennen, dass die Reform dem Geiste nach keine Fortschritte macht. Um der Sache
zu dienen, und sonst aus keinem anderen Grunde, will ich untersuchen, welche
Gründe schuld sind an der leidigen Tatsache. Ich muss da etwas weiter ausholen.
In der Schulzeit bis zu meinem 14. Lebensjahr genoss ich Zeichenunterricht in der
Art, dass uns Schülern Vorlagen vorgelegt wurden, die wir dann so gut oder
schlecht nachzeichneten, als wirs fertig brachten. Zu diesem Zweck hatten wir
Lineale, Zirkel, Pauspapier. Der geistige Gewinn lässt sich darnach berechnen.
Vom 14.—16. Lebensjahr begann das Zeichnen wieder von vorne. Ein grosses
Quadrat auf einem grossen Bogen Papier in 61 Quadrate einzuteilen, war die erste
Aufgabe. Unser Lehrer sass auf einem Stuhl mit übereinandergeschlagenen Knien
vor der Klasse und studierte in einem Buche. Wenn er darin gestört wurde durch
einen Schüler, der glaubte fertig zu sein oder Korrektur brauchte, wurde die Zeich-
nung durchstrichen, sie sei falsch, und der Schüler wieder fortgeschickt. Ab und
zu machte der Lehrer auch Gänge durch den Zeichensaal. Wie lernten saubere
Zeichnungen machen mit Aufwand von viel Radiergummi. Eine Anregung bekamen
wir nie, ein Interesse wurde nicht geweckt, im Gegenteil, dies wurde abgetötet.
Aber peinlich sauber radierte Zeichnungen wurden angefertigt, die man zu jeder
Zeit ausstellen konnte. Wer wusste da etwas vom Studienmachen, von einer Skizze,
von einem Entwurf, einer Anwendung für irgend einen Zweck? Später lösten
Gipsmodelle die Vorlagen ab. Sie wurden ebenso sauber heruntergepimpelt, dass
sie jederzeit ausgestellt werden konnten und Bewunderung wegen ihrer grossen
Sauberkeit erregen mussten. Noch später hatte ich einen Lehrer, der sämtliche
Schülerarbeiten überarbeitete, bis von der Schülerarbeit nichts mehr zu sehen war,
und zuletzt wurde noch der Name des Schülers vom Lehrer darunter gesetzt. Ich kann
nicht sagen, dass ich diese Arbeiten mit Wohlgefallen ansehe, wenn sie mir ab
und zu wieder einmal unter die Hände kommen. Als ich dann umsattelte und Zeichen-
lehrer wurde, hörte ich einen Vortrag im Verein Württ. Zeichenlehrer von einem
Kollegen, der damals als Stern erster Grösse in Württemberg geachtet wurde. Da
ist mir heute noch ganz lebhaft in Erinnerung, wie der Weg, eine ausstellungs-
fähige Zeichnung zu erhalten, beschrieben wurde, und dass dies die höchste Stufe
sei. Also „ausstellungsfähig“ sollte die Zeichnung sein. Was darunter zu verstehen
sei, konnte man ja bei allen Schulzeichendarstellungen sehen. Wie erstaunte ich,
als ich bei einer Landeszeichenausstellung Arbeiten aus der städt. Gewerbeschule
sah — den Unterricht erteilte eine Zeichenlehrerin —, auf denen Korrekturen von
der Hand der Lehrerin zu sehen waren, und die nicht wegradiert waren. Das war
ja unerhört! Das hatte ich noch nie gesehen. Etwas Falsches musste damals doch
unbedingt mit dem Gummi entfernt werden. Da war das Prinzip „ausstellungs-
fähig“ durchbrochen, da stand ich etwas Neuem gegenüber. Mit der Lehrerin hatte
ich dazumal Bedauernis. Inzwischen sind andere Zeiten gekommen, welche der
Lehrerin recht geben. — Wie viele Zeichnungen aus Volksschulen habe ich dann
gesehen, eine so sauber, wie die andere, gar kein I nterschied in der Ausführung und
Sauberkeit, alles tadellos. Das musste doch so sein. Dann alle die Erzählungen der
Lehrer von ihren Erfahrungen bei den sogenannten Visitationen, wie mans machen
 
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