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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft V (Mai 1910)
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Bender, E.: Kunstunterricht, [3]
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Henrici, Karl: Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen Bauwesen, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0070

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G2

wachsenden Jünglinge sind noch wenig veranlagt zu einer ernsten Lebensauffassung.
Die angesetzten Früchte werden erst zur Reife kommen, wenn unsere Schüler in
späteren Jahren sich auf sich selber zurückziehen lernen, wenn sie beginnen, die
Heimat in sich selber zu suchen. Die Empfänglichkeit für die wahre Freude an
der Natur und an der Kunst ist bedingt durch ein reges Innenleben.
„Auch in deiner Brust verschlossen
Ruht der Kunst lebend’ger Quell.
Seinem Murmeln musst du lernen lauschen-,
Tust du’s nicht, versiegen wird er schnell.
0 öffne ihm den Lauf!
Und wird er auch nicht zum Strome,
Der viel Tausende erquickt;
Mit Trost, Lebensmut und inner’m Frieden
Ueberreich dich selber er beglückt/-

Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen
Bauwesen.
I.
Die Vorsehung hat es liebevoll so eingerichtet, dass frohe Erinnerungen im
Gedächtnis des Menschen länger haften bleiben, als traurige, und dass die sorgen-
und entsagungsvollen Zeiten, wenn bessere ihnen folgten, mit einem milden Schleier
sich umgeben, der Wunden und dunkle Stellen sanft verhüllt, der aber das
helle Licht glücklicher Stunden und Begebenheiten ungeschwächt, ja sogar verklärt
durchstrahlen lässt.
Darauf ist es zurückzuführen, dass seit jeher von „guter alter Zeit“ die Rede
war, und dass die Sehnsucht nach ihr nicht ausstirbt.
Ein goldenes Zeitalter, in welchem allgemein nur Glück und Zufriedenheit
herrschten, wird es nie gegeben haben-, im Leben der einzelnen Menschengruppen
wird es dagegen immer zu finden sein, solange es eine sorglose hoffnungsfrohe
Jugend gibt.
Es ist auch berechtigt, von guten oder besseren alten Zeiten zu reden, wenn
man einzelne Aeusserungen des Kulturlebens in Betracht zieht. Denn jede Zeit
bringt ihre besonderen Aufgaben mit sich und fordert zu besonderen Interessen
heraus, und es ist ganz natürlich, dass daraus Schwankungen entstehen, und dass
manche wichtige Lebensaufgaben jeweilig in den Hintergrund treten und der Ver-
nachlässigung anheimfallen.
Dies geschieht meist unbewusst und währt so lange, bis man merkt, dass man
auf den neu eingeschlagenen Wegen etwas Wichtiges mitzunehmen vergessen hat,
oder dass man sich gänzlich auf dem Holzwege befindet. Dann fragt es sich: soll
man umkehren und das Zurückgelassene holen, ehe man weiterwandert, oder soll
man sich behelfen und nach Ersatz für das Vergessene suchen ? Und im andern Falle :
soll man zum Ausgangspunkt zurückkehren und einen ganz andern Weg suchen,
oder soll man nur die Richtung ändern, um kühn sich zum Ziele durchzuschlagen?
Der Entschluss zum einen oder andern hängt vom Temperament dessen ab,
der sich zu entscheiden bat. Jede Zeit hat auch ihr eigenes Temperament, und
wenn man die Jetztzeit auf das ihre prüft, so will es scheinen, als ob die
Möglichkeit eines Aufenthaltes oder gar einer Rückkehr, sei es auf welchem Gebiete
es wolle, ausgeschlossen sei.
Hier soll von bautechnischen und baukünstlerischen Dingen die Rede sein, und
der vorstehende Vergleich lässt sich gut auf sie anwenden.
*
Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts muss wohl das Empfinden geherrscht
haben, dass man etwas mitzunehmen vergessen habe, vielleicht auch, dass man
sich auf dem Holzwege befände, und das Temperament der damaligen Zeit liess
 
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