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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

DOI Heft:
Heft VIII (August 1910)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen: Einiges über den Zeichenunterricht an der Gewerbeschule in Schwäb. Gmünd
DOI Artikel:
Wolfer, Emil: Der Baum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0119

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109

Der farbigen Behandlung des Ornaments geht eine kurzgefasste Farbenlehre
voraus. Der Begriff der kalten und warmen Farben und Töne wird auf folgende
Weise erklärt. Ich frage die Schüler: Was für Farben sehen wir, wenn wir im
Winter zum Fenster hinaus auf eine Landschaft sehen? Die Schüler schildern nun
die Farben des Schnees, der fernen Berge, des bedeckten und wolkenlosen Himmels usf.
Ich frage nun weiter: Woraus schliessen wir, wenn wir im warmen Zimmer sitzen
und zum Fenster hinaus auf eine Winterlandschaft schauen, dass es draussen
kalt ist? Die Schüler werden erkennen, dass wir unter anderem auch durch die
Farben, die wir sehen, auf die Kälte draussen schliessen. Zum Vergleich werden
die Farben, die wir im Sommer draussen sehen , herangezogen. Nachdem so der
Begriff der kalten und warmen Farben festgelegt worden ist, wird auf die Farben
des Regenbogens hingewiesen. Wir versuchen nun die Farben des Regenbogens
mit unseren Farben auf dem Papier darzustellen. Unser Farbkasten hat aber nur
3 Farben, nämlich gelb, rot und blau. (Die Malerlehrlinge halten sich einen
Temperafarbkasten zu 1 Mk., in dem äusser Deckweiss und Neutraltinte nur noch
Chromgelb, Zinnober und Ultramarin enthalten ist.) Vom Regenbogen sind uns
aber 7 Farben bekannt. Was nun tun? Die Schüler werden bald entdecken, dass
blau und gelb grün, rot und gelb orange gibt usf. Auf diese Weise werden den
Schülern die Kenntnisse der Primär- und Sekundärfarben übermittelt. Auch auf
die Komplementärfarben werden sie dabei aufmerksam gemacht. Hierauf werden
Farbtreffübungen vorgenommen. Es wird ein farbiger Gegenstand gezeigt. Die
Schüler sollen nun mittelst der drei Grundfarben die Farbe desselben mischen. Die
nächste Aufgabe besteht darin, dass man einen Vogel oder Schmetterling nimmt
und die Farben desselben im Verhältnis, wie sie daselbst vorkommen, darstellen
lässt. Hierauf folgt die Anwendung dieser Studien. (Abb. 6.) Geeignete Aufgaben
hierfür sind: Es soll eine Zimmerwand in Farbe gesetzt werden; mehrere ineinander-
gehende Zimmer sollen in ihren Farben harmonieren. Die Farbe eines Buch-
einbandes soll bestimmt werden usf. Mit diesen Aufgaben komme ich jedoch schon
zu den Aufgaben des 2. und 3. Kurses, die ich ein andermal besprechen werde.
Bei Abb. 2 ist aus Versehen eine weniger gut gelungene Arbeit gewählt worden. Auch
bei Abb. 1 ist die Gedächtniszeichnung in der Reproduktion nicht zur Geltung gekommen.
Der Baum.
In einem ehrwürdigen Städtchen an der Enz führt über den Fluss eine alte
Brücke. Fast mitten auf der Brücke, da steht das Häuschen des früheren Zoll-
einnehmers und direkt dahinter auf einer schmalen Landzunge ein mächtiger Kastanien-
baum, ein lebendiger Turm. Wie wuchtig steht dieser Baum gegen den leuchten
den Himmel, riesengross; er nimmt das Brückenhäuschen mit einer grossartige
Geste in seinen Schutz und der ganzen Brücke gibt er Bedeutung. Und noc
mehr, er ist der Vermittler zwischen diesem alten Bauwerk und den daliinte
liegenden Häusern, den Wohnstätten der Menschen.
Ganz dem Bach entlang standen seither altehrwürdige, malerische Scheunen
usw. „Aber,“ fragt da der Bürgersmann, „was kann man auch an solch alten
Häusern Schönes finden? —■ Ein Glück, dass sie dieses Frühjahr abgebrannt sind!
Nun gab’s doch Platz!“ Ja fürwahr, ein feiner Bauplatz, diese Uferfläche, dem
Bach entlang. Was könnte man da alles machen! — Der Platz wurde denn auch
schleunigst wieder bebaut, und zwar mit schön gleichmässig geformten Backstein-
häusern. Doch unsern Baum, den grossen Kastanienbaum bei der Brücke, den hatte
das Feuer ja verschont, den behielten wir ja, und er legt seine grüngoldenen Schatten
und seine dunkeln Arme bis hinüber zu den andern Häusern, wirkt so versöhnend,
vermittelnd, denn er steht ja über diesen Gegensätzen, ein unmittelbares Stück
Natur.
Es gibt Leute, welche diesen Baum als etwas Grosses empfinden, als einen
Ruhepunkt in der Landschaft. Aber es gibt auch Leute, die sehen nur noch,
dass der Baum auch Holz abgeben könnte. — Der Landstreifen unter der Brücke
wurde kürzlich von einem Schreinermeister teilweise erworben und flugs richtete
 
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