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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft III (März 1910)
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Es geht eine Sehnsucht durch die Welt
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0049

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diese hellen Fensterlein all’ die Schönheit der Natur in die Seele hereinspazieren
zu lassen.
Es ist wie Frühlingssehnsucht, die von den Künstlern ausging und die
Menschheit ergriffen hat. Die einen haben das Neue bewusst in sich aufgenommen
und kämpfen dafür, vor allem unserer lieben Jugend die kostbaren Schätze zu ver-
mitteln. Daraus erstand jene Bewegung, die wir, etwas ungeschickt, als Kunst-
erziehungsbewegung bezeichnen. Die andern ahnen es wenigstens und sie ver-
nehmen von ferne den Klang einer Glocke, die eine neue Zeit verkündet.
Ja, es geht eine Sehnsucht durch die Welt, und auch unsere Behörden sind davon
ergriffen! Man denke doch nur an die Massnahmen neuester Zeit, die nur den Zweck
verfolgen, den Zeichen- und Kunstunterricht und seine Träger zu fördern und zu heben.
Man hat nun auch oben den grossen, durch nichts anderes zu ersetzenden erziehe-
rischen Wert der künstlerischen Arbeit schätzen gelernt. Das kommt allenthalben
zum Ausdruck:

Die Unterrichts-

Abbildung 12.

stunden für
Zeichnen wer-
den durch alle
Schulgattungen
hindurch bis zur
Gewerbeschule
stetig vermehrt,
die Pflichtstun-
den der Zeichen-
lehr er dagegen
erheblich ver-
mindert, im Hin-
blick auf die
gesteigerten An-
sprüche, die an
den Zeichen-
lehrer gestellt
sind sowohl hin-
sichtlich seiner
Weiterbildung,
als auch durch
den Unterricht
selbst. Ueberall,


selbst in den Gymnasien, bildet künftig das Zeichnen einen integrierenden Bestandteil
der Ausbildung, da man einsehen gelernt hat, dass jeder Mensch, der seine Augen nicht
gebrauchen lernt und dessen vornehmster Sinn unentwickelt bleibt, keinen Anspruch
auf allgemeine Bildung und harmonische Entwicklung seiner Geisteskräfte erheben
kann. Deshalb ist die Zeit nicht mehr ferne, wo in allen höheren Schulen, selbst
in den Gymnasien, der Kunst- und Zeichenunterricht mit 4 Wochenstunden in
allen Klassen obligatorisch eingeführ.t wird und Zeichnen bei allen Versetzungen
gewertet wird. Alle Schüler sollen aber den zeichnerischen Ausdruck selbständig
wie ihre Muttersprache gebrauchen lernen, weil das von so ungemeinem praktischen
und ideellen Wert ist.

Die nächste Folge davon wird sein, dass eine grössere Anzahl neuer Zeichen-
lehrerstellen geschaffen wird, denn auch in den Gymnasien wird der Zeichenunter-
richt in Anbetracht der oben erwähnten Erkenntnis nur solchen Lehrern anvertraut,
die ihn wirklich erteilen können. Dann werden mit einem Schlag alle Kandidaten,
die sehnsüchtig einer Anstellung entgegensehen und teilweise bereits ergraut sind,
Verwendung finden.
Ueberall wird aber die höhere Wertschätzung der künstlerischen Arbeit zum
Ausdruck kommen, nicht zum wenigsten in der Anerkennung der Ausbildung der
 
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