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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft VIII (August 1910)
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Henrici, Karl: Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen Bauwesen, 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0123

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113 —

Der Herr Verkehr, ein Zwillingsbruder des Kapitalismus und Hauptvertreter
der Firma Materialismus, hat sich zu einer weltbeherrschenden Stellung aufge-
schwungen, hat sich Produktion und Verwaltung dienstbar gemacht, und ist vom
Diener zum Herrn geworden. Sein Name braucht nur genannt zu werden, und
alle Welt erstirbt in tiefster Devotion und macht ihm Platz, damit er ungehindert
den von ihm beliebten kürzesten Weg einschlagen könne.
Und wie es in andern Verhältnissen auch zu gehen pflegt: in seinem protzigen
Auftreten wird dieser Emporkömmling unterstützt durch alle, die sich seiner Gunst
erfreuen möchten, und mit den Willfährigkeiten und Konzessionen, mit denen man
ihm entgegenkommt, verführt man ihn zu immer grösseren Rücksichtslosigkeiten
und Anmassungen.
So ist es auch mit den geradlinigen Strassen und Wegen, die man für ihn
anlegt, und bei denen man ganz vergisst, dass es auch noch andre Herrschaften
gibt, als den Herrn Ver¬

kehr, Herrschaften, die zu
vornehm, vielfach auch zu
arm sind, um sich mit so
lautem Geschrei vorzu-
drängen , wie er es tut,
die aber zu leben und zu
gedeihen ebenso berech-
tigt sind wie er.
Zu diesen Herrschaf-
ten gehören in erster Reihe
das bürgerliche Wohn-
wesen und ferner die
Kunst, welche mit diesem
an einem Tische sitzt odei'
sitzen sollte; dazu gehört
die Poesie des Lebens, die
sich nicht schematisieren
lässt, und der der Ge-
setzeszwang der geraden
Linie ein Greuel ist.
Ausserdem muss man
wissen, dass sehr häufig
die gekrümmte Strassen-
linie ebenso rasch und
dabei viel bequemer zum
Ziele führen kann und

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dem Verkehr viel besser

Für einfache Schulverhältnisse.

zu dienen vermag, als die
gerade. Dies ist der Fall, wenn es sich unter vielem andern z. B. um die Ver-
meidung scharfer Wendungen, oder um die Umgehung des Zusammenstosses vieler
Verkehrsrichtungen, oder um die Ausnutzung und Bewältigung schwieriger Terrain-
verhältnisse handelt.
Eine Berücksichtigung und ein Entgegenkommen den letztgenannten Herr-
schaften gegenüber führt — ohne dass die Vernachlässigung des Herrn Verkehrs
nötig wäre — dazu, dass bei jeder Linie, die mit Strassen- und Wegeanlagen in
die Natur hineingezogen werden muss, dem Gefühl Rechnung getragen werde,
welches nach Harmonie in Formen und Farben verlangt, und dem es wehe tut,
wenn der Wohlklang und Rhythmus natürlicher Tonfolge durch fremde Laute und
gegen den Takt jäh unterbrochen wird.
Man verspricht sich vielleicht, dass die Harmonie wieder hergestellt sein
würde, wenn erst alle von beschleunigter Altersschwäche heimgesuchten Häuser
gefallen, und lauter neue in die Paradefront aufgestellt sein werden. 0 ja! Wer
 
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