Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

DOI Heft:
Heft IX (September 1910)
DOI Artikel:
Löffler, Gottlieb: Von unseren Grundsätzen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0137

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 123 —

weiter zu kommen. Es muss aber dann sofort noch eine weitere Forderung ge-
stellt werden, nämlich die, die eigene Arbeit stets nur mit besseren Arbeiten zu
vergleichen, damit der Sporn nicht fehlt. Andernfalls tritt bald eine gewisse Zu-
friedenheit mit den eigenen Leistungen ein und dann ist’s um den Fortschritt ge-
schehen. „Leget an eure eigenen Leistungen stets den höchsten Massstab an, das
ist der Weg zum Erfolg,“ ist ein Satz, den jeder zu beherzigen hat, aber auch den
andern: „Gegen die Leistungen anderer seid milde im Urteil.“ Ferner: „Solange
ihr noch Werdende seid — und wann seid ihr’s nicht mehr'? — seid bescheiden
und vorsichtig im Urteilen! Das verrät einen denkenden und sich in der Zucht
habenden Menschen. Man hört so viele falsche, dumme, ungerechte, überschwängliche,
spöttische Urteile über Kunst abgeben von Leuten, die gar kein Recht dazu haben. Aber
das sind solche, bei denen die „Bildung“ längst
zur blossen Einbildung geworden ist. Das grösste
Recht, in Kunstdingen zu urteilen, haben die
Künstler, weil bei ihnen auch das grösste Ver¬
ständnis zu finden ist. Je grösser aber der Künstler,
desto bescheidener wird er, weil er, je weiter er
kommt, desto mehr neue Probleme entdeckt er, die
er lösen möchte, und das macht ihn vorsichtig und
bescheiden im Urteil. Unser Wissen ist Stück¬
werk und auch unser Können. Ein kluger Geist
sucht sich in die Arbeit eines andern Geistes ein¬
zuleben, ehe er urteilt, und ein gescheiter Mensch
achtet die Geistesarbeit eines anderen. Es ist
bald etwas heruntergerissen, aber der entstandene
Schaden nicht so bald, vielleicht nie mehr, gut¬
zumachen.“ Unsere Schüler sollen Achtung vor
der guten Kunst bekommen. Dazu führt der
Weg über die Natur. Aber nicht durch das
blosse Abschreiben derselben. Das Gesetzmässige,
Organische usw. interessiert uns, der Charakter.
Daraus erschliesst sich uns ihre Schönheit. Wir
werden dann erst genussfähig und kunstverständig.
Naturgenuss ist Kunstgenuss. Nur die denkende
Beschäftigung mit der Natur verhilft zum Kunst¬
verständnis. Lernen unsere Schüler die Natur
lieben und verstehen, und ist ihnen der Zusammen¬
hang zwischen Natur und Kunst aufgegangen, so
haben wir dem Heimatschutz, und was alles in
dieses Schlagwort hineingedrängt werden kann,
wohl treffliche Dienste geleistet.
Aus diesen Ausführungen ist wohl zur Genüge
ersichtlich, dass Zeichen- und Kunstunterricht und Ch ar akterb il dun g unzertrenn-
lich sind. Freilich ist und bleibt es die erste Bedingung, dass der diesen Unterricht
erteilende Lehrer seinen Schülern etwas Sicheres zu bieten hat. Mit der blossen Liebe
für die Kunst und ihre Erzeugnisse ist es nicht getan. Angeborene künstlerische Be-
gabung und tüchtige Ausbildung sollten von jedem Lehrer verlangt werden. Die Schüler
müssen an ihrem Lehrer hinaufsehen können. Dann lassen sie sich auch willig führen.


Bei dem gegenwärtigen Sparsystem ist allerdings in vielen Fällen an einen
Erfolg nicht zu denken. Kommt es doch vor, dass Zeichenunterricht von Lehrern
einfach erteilt werden muss, weil sie ihre Pflichtstundenzahl nicht „voll“ zu geben
haben an ihrer Klasse. Ob sie zeichnen können, ist ziemlich Nebensache.
Doch will die Hoffnung, dass auch in Württemberg einmal die Zeit kommen
wird, wo der Zeichenunterricht in seiner grossen Bedeutung ganz erkannt und
geschätzt wird, in uns nicht erlöschen, selbst nach so manchen trüben Erfahrungen.
 
Annotationen