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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft X (Oktober 1910)
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Hahn: Vierte Jahresversammlung des Verbandes Süddeutscher Zeichenlehrervereine
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0152

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man sich nur an die Talentvollen, und das Zeichnen hat nicht allgemein bilden-
den Wert.
Der Vorgang beim Zeichnen ist eben nicht einfach mechanisch wie beim
Photographieren. Zunächst freilich ist der Hergang derselbe. Das Auge ist die
Kamera, und die Linse des Auges vereinigt ähnlich der Linse im photographischen
Apparat die Strahlen zu einem Bildchen auf der Netzhaut. Doch jetzt kommt das
Neue: Der Sehnerv leitet den Eindruck zum Gehirn, hier steht die Seele mit ihren
eigenen Wellenzirkeln. Es ist, als mündete ein Fluss ins Meer; seine Wellen mischen
sich mit den Wogen des Meers. Die Seele ist bei
dem Vorgang nicht untätig. Sie lässt nicht ein, was
ihr nicht sympathisch, und belebt das übrige mit ihren
eigenen Farben. Jedes Ding wird sogleich ein Gegen-
stand der Ab- oder Zuneigung. Dieses Bild in unserer
Seele mit all’ seinen Willkürlichkeiten, seinen subjek-
tiven Entstellungen ist’s, das im Zeichnen zur Dar-
stellung gelangt. So ist das Zeichnen ein Akt der
Seele; in deren Tiefe löst sich was los und macht sich
nach aussen in einem Bilde vernehmlich. Der Unter-
schied von hoher Kunst und Schulzeichnen ist nur
der von gross und klein; auch das Kind sucht zu
gestalten.
Das Bild eines geschauten Gegenstandes ver-
schwindet zwar aus unserem Bewusstsein, es geht aber
nicht verloren, wir können es vielmehr wieder hervor-
rufen — vielleicht nicht immer, aber irgend ein Anlass
vermag es blitzartig in voller Klarheit vor uns wieder
erscheinen zu lassen. So wird es aufs neue Erlebnis.
Unbewusste Vorstellungen dieser Art bilden die Grund-
lage unseres ganzen Seelenlebens.
Wir suchen nun nach Ausdrucksmitteln über
unser inneres Erlebnis. Ein Mittel ist die Sprache,
ein anderes die bildende Kunst, Modellieren, Zeichnen,
Malen. Die Sprache! Kaum ist es dem Kinde
gelungen, aus dem bunten Gewirr der Welt einen
einzelnen Gegenstand herauszuheben, so gibt man ihm
ein Zeichen, einen Namen, und es gilt diesen Namen
auszusprechen. Auf diese Weise bildet sich in dem
kindlichen Geist bald ein kleines Lexikon von Wörtern.
Kommt das Kind dann zur Schule, so tritt hiezu
Lesen und Schreiben. Buchstaben sind neue Zeichen,
Symbole für Symbole, und das Kind lernt diese Sym-
bole selbst zeichnen. Dies das Schreiben. Damit
hat es einen Stoff zu manueller Betätigung gewonnen,
den Stoff, der heute für viele Berufe die einzige Be-
schäftigung bildet. Alles andere tritt hinter Lesen und Schreiben zurück. Später
kommt dazu noch Orthographie, die Grammatik der Muttersprache, vielleicht auch
fremde Sprachen. Dann ist erreicht, was viele von uns beklagen und was Schultze-
Naumburg in beissendem Spott folgendermassen ausdrückt : „Das Auge ist für unsere
Durchschnittsgebildeten nur noch ein Organ zur geistigen Vermittlung von Ge-
drucktem und zur Verhütung des Anstossens an Laternenpfähle auf der Strasse.“
Es wäre verkehrt, die Bedeutung verbaler Bildung gering zu achten; denn die
Sprache ist ein Bildungsmittel, das durch kein anderes ersetzt werden kann, nur ist
es einseitig. Vergleiche das Wort Baum und das Bild Baum! Das ÄVort hat eine
Zaubermacht, die das Bild uns vorzaubert auf kürzestem Weg. „Der Anfang der
Sprache ist der Anfang des Gedankens.“ Die Sprache ist auch für die Gemüts-
bildung von grosser Bedeutung. Andererseits sind eben Worte nur Symbole. Wort

Abbildung 2.

Ausn„Zeichenexkursionen am Berthold-
gymnasium zu Freiburg i. B.“
 
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