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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft X (Oktober 1910)
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Hahn: Vierte Jahresversammlung des Verbandes Süddeutscher Zeichenlehrervereine
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0153

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139


Abbildung 3.

Aus „Zeichenexkursionen am Bertholdgymnasium
zu F'reiburg i. B.“

und Sache müssen in der Vorstellung verwachsen sein. Dies bleibt leider häufig
eine unerfüllte Forderung, und nur zu oft heisst es: Denn eben wo Begriffe fehlen,
da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. So in der Schule, im Leben wie in
den Wissenschaften. Das Wort ist zur Grossmacht geworden, die gelegentlich geradezu
als Feind der Wahrheit wirksam ist. Das Wort hat etwas Mattes, Fadenscheiniges
gegenüber der Wirklichkeit. Darum haben wir der sprachlichen Bildung die reali-
stische zugesellt, darum dringen wir überall auf Anschauung, wobei indes gleich
hervorgehoben werden muss, dass es mit der Lehrmittelsammlung allein nicht erreicht
ist. Stadtkindern wird hierin im all¬
gemeinen mehr geboten, als sie ver¬
dauen können. Der Betrieb ist eben
verbalistisch; anstatt im Beobachten,
im Sehen zu üben, schreitet man
von der Beobachtung allzu schnell
zum Begriff. In den Realien wird
entschieden noch zu wrenig Wert
gelegt auf Bereicherung der Seele
mit klaren Bildern, die unser Denken,
Fühlen und Wollen beeinflussen.
Diese Lücke auszufüllen, scheint
das Zeichnen vornehmlich berufen zu
sein. Zeichnen sollte man aber nicht
nur im Zeichenunterricht selbst, son¬
dern auch in allen andern Fächern,
vor allem in den Realien. Zeichnen
als Ausdrucksmittel hat freilich nicht
die Leichtigkeit und Glätte des
Worts. Dies ist aber gerade der
Vorzug des Zeichnens; denn es nötigt
zum scharfen Beobachten. Dadurch
wird das unbewusst Gesehene zum
bewusst Gesehenen, seelisch Ver¬
arbeiteten. Das Zeichnen stellt so
die beste Gegenwirkung dar gegen
jene Oberflächlichkeit, mit der das
Auge über die Gegenstände nur hin¬
wegschweift. Darin liegt ein Berech¬
tigungstitel des Zeichnens als all¬
gemeines Bildungsmittel.
Das Zeichnen hat aber auch
als Verständigungsmittel Wert. Man
versuche z. B. mit Worten zu be¬
schreiben die Hand, das Ohr. Wir
stehen vor Unmöglichkeiten. Ein
paar Striche dagegen kommen der Sache ungleich näher. Darum ist Zeichnen die
Sprache der Techniker, Ingenieure, Architekten, Naturforscher. Um sie zu ver-
stehen, müssen wir ihre Sprache lernen.
Wer eine Sprache sprechen will, muss über einen Wort- und Vokabelnvorrat
verfügen. Zeichnen als Sprache erfordert auch einen Vorrat an gedächtnismässig
beherrschten Stoffen. Daran fehlt es der seitherigen Bildung noch. Die Anlage
dazu ist schon im vorschulpflichtigen Alter vorhanden. Was geschieht aber zur
Entwicklung derselben? Leider findet beim Schuleintritt eine jähe Unterbrechung
in dei’ Ausbildung des gegenständlichen Gedächtnisses statt. Das Wortbild ver-
drängt das Gegenstandsbild. Darum hat man schon versucht, Zeichnen gleich
vom 1. Schuljahr ab zu pflegen. Dies hat auch seine Schwierigkeiten, namentlich
in psychologischer Hinsicht. Die Plastik ist als körperliche Kunst zu allen Zeiten
 
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