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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft X (Oktober 1910)
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Kolb, Gustav: Die Kastanie: (für einfache Schulverhältnisse)
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0159

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145


HI).
Das Blatt der Kastanie mit den grossen klaren Formen gehört ebenfalls zu

das Arbeiten im Freien unmöglich macht, so lassen wir ab und zu Kastanien-
Bei kleinen Klassen genügt ein grosses Blatt, das man nach

den dankbarsten Zeichenobjekten. Wenn den Sommer über ein Regentag eintritt,
der
blätter zeichnen. Bei kleinen Klassen genügt ein grosses Blatt,
sorgfältiger Auswahl auf einem hellen Hintergrund an der Wandtafel befestigt.
Und erst im Herbst, wenn die Kastanie im rotgelben Kleide in der Oktober-
sonne glüht, wie ladet sie da ein zur farbigen Wiedergabe ihrer Gesamterscheinung!
Hiezu eignen sich unsere Oelkreidestifte ....,
° Abbildung 7.
ganz vortreülich. und wenn die Blätter
fallen und den Rasen und die Wege
mit einem warmen, buntfleckigen Mantel
bedecken, dann wandeln wir nochmals ab¬
schiednehmend durch die Alleen und ver¬
nehmen mit Wehmut den melancholisch
rauschenden Ton der welken Blätter, wenn
der Fuss über sie schreitet. Und wir sammeln Zu dem Artlkel ”Die Kastame •
rasch als letzte und schönste Gabe des Herbstes diese prächtiggefärbten Blätter und
schwelgen noch einige Unterrichtsstunden mit unseren Schülern im Rausch der Farbe.
Aber noch eine kostbare Gabe spendet uns die Kastanie im Herbst: ihre
Frucht. Dieser wollen wir uns heute besonders zuwenden. Wenn sie vom Baume
fällt und aus der stachelbewehrten frischgrünen Hülle springt, so ist es, als ob
ein Kindlein eben sein weisses weiches Bettlein verlassen hätte. Wie blütenweiss
duftig ist die Narbe (die Anwuchsstelle an der Schale), wie leuchtend frisch sind
die Farben, die im Sonnenlicht vom hellen Orange nach einem tiefen Purpurbraun
spielen, in Farbe und Tonwert noch gesteigert durch die glänzenden kaltblauen
Luftreflexe. Dieser köstliche Duft des Unberührtseins vergeht aber nur zu bald
unter den Einflüssen der Luft und der Witterung. Die Schale wird aussen und
innen dunkler und mit rostbraunen Flecken bedeckt, die Farben der Frucht werden
matter und die Narbe dunkler.
Aber trotzalledem bleibt die Kastanienfrucht samt ihren Schalen ein herr-
liches Zeichenobjekt, das für die verschiedensten Altersstufen und besonders auch
für einfache Schulverhältnisse in Betracht kommt. Ich legte einmal einem kleinen
fünfjährigen Knaben, der ab und zu ahi-i i
„malte“, eine Kastanie auf den Tisch
und war erstaunt, wie richtig und einfach
er den Gesamteindruck wiedergab, indem
er einen dunkelbraunen Ton um die Narbe
legte, die im Papierton stehenblieb. Das
gab mir die Anregung, in einer I. Zeichen¬
klasse Kastanien auf diese Weise zeichnen Zu dem Artikel >Die Kastanie«.
zu lassen. Der Versuch glückte, und
seitdem wird bei uns jedes Jahr und zwar durch alle Klassen hindurch einige
Stunden nach diesen Objekten gezeichnet und gemalt.
Man betrachte unsere Abbildungen (7 —10). Sie enthalten in Schwarz-
Weiss-Technik Lösungen verschiedener Aufgaben. Selbstverständlich kann nicht
nur schwarze Tusche, sondern auch Wasserfarbe, Farbstift, Bleistift und Feder
benützt werden- aber die Aufgaben sind immer so gedacht, dass die Darstellung
einfach, dabei aber doch wirkungsvoll ist und eine charakteristische Wiedergabe
ermöglicht. Mit diesem Grundsatz, den wir überall, auch für die höheren Schulen,
vertreten, befinden wir uns mit der künstlerischen Auffassung in einer erfreulichen
Ueher ein Stimmung. Damit erreichen wir also zweierlei: Wir verlangen vom Schüler
nichts Unmögliches und erhalten trotzdem künstlerisch einwandfreie Lösungen. Das
kann nicht genug betont werden angesichts des krassen Dilettantismus, der in vielen
Schulen gepflegt wird. Da will man alles, was man am Zeichenobjekt sieht, in

langen öden Winter an diesen Erstlingen des Frühlings (vergleiche „Beiträge“
Nr.
 
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