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denn jene Erzieher? Aber ich glaube, jeder
ist froh, wenn er Akademieprofessor gewor-
den ist, und lässt für das übrige den lieben
Gott sorgen. Durch die Erziehungsmethode,
die jetzt herrscht , wird der junge Künstler
ganz vom Getriebe der Welt abgesondert und
verliert mit den übrigen Menschen den Zu-
sammenhang, weil für seine Leistungen kein
Bedürfnis vorhanden ist. Es ist endlich Zeit,
dass auch alle bildenden Künstler mitleben
und mitwirken. In den fünf Jahren Studium,
die durchschnittlich jeder durchmacht, wäre
es wahrlich nicht schwer, sich auch nach der
praktischen Seite auszubilden, als Möbel-
zeichner, Industriezeichner usw. Die wirk-
lich führenden Geister in diesen Zweigen
sind in der Hauptsache immer Maler, die wohl
meistens aus materiellen Gründen solche
Fächer nachher lernten. Es genügt doch voll-
kommen, wenn der junge Schüler vormittags
vier Stunden Akt oder Kopf malt. Der Nach-
mittag könnte sehr wohl den praktischen
Studien gewidmet sein. Aber welcher junge
Mensch tut dies von sich aus? Ich habe
schon manchen Kollegen über diese verbum-
melte Zeit fluchen hören So könnte auch
sehr gut die Photographie gelehrt werden.
Dann werden heute schon für geschmackvolle
Fensterdekorationen in Berlin Künstler als
Ratgeber zugezogen. Bei den Schaufenster-
wettbewerben in Berlin haben sehr viele
Künstler mitgewirkt. Meistens aber nur als
Ratgeber. Warum könnte nicht „Dekoration“
auch als Nebenfach eingefügt werden, wenn
man denkt, dass in Berlin Dekorateure damit
durchschnittlich 5—10000 Mark jährlich ver-
dienen? Teppichfabriken brauchen Ratgeber
für Farbenzusammenstellung. Aber dieseLeute
müssen die Webarten beherrschen. Es wäre
für einen Maler ein leichtes, einen Webe-
kursus durchzumachen, um eine solche sehr
gut bezahlte Stellung zu bekleiden. Heute
ist der Maler mit dem Nimbus des Verbum-
melten gezeichnet, kein Beruf nimmt ihn
ernst. Das haben wir unseren Kollegen, die
als Stammgäste die Cafes zieren oder ver-
unzieren, zu verdanken. Denn der Aussen-
stehende hält zumeist diese Karikaturen für
die Vertreter unseres Berufes. Die meisten
Fabrikbetriebe haben englische Tischzeit, d.h.
bis um 3 Uhr nachmittags Dienst. Der junge
Mann hat dann den ganzen Nachmittag für
sich. Für jemand, der Geld verdienen muss,
kann es doch nichts Besseres geben. Auch
die Angestellten, z. B. Buchhalter, benutzen
noch die freie Zeit zum Geldverdienen, ge-
wöhnlich , wenn sie verheiratet sind. Wir sehen
also, dass auch der junge Künstler bei zweck-
mässiger Erziehung sehr gut im Leben stehen
und doch weitermalen könnte. Es würden
dadurch weniger, aber bessere Bilder entstehen.
II. hätte der Verein darauf zu dringen,
dass die Malerei mit dem Lehrerberuf ver-
bunden sein müsste. Warum sollte ein Maler
nicht im Zeichnen unterrichten, genau so wie
ein Altphilologe im Lateinisch oder Griechisch?
III. müsste der Verein auch in das ge-
schäftliche Leben eingreifen und vor allem
einen energischen Kampf gegen Geschmack-
losigkeiten führen, gegen diePfuscherannoncen
und gegen die sog. „Hofmaler“, die sich auf
irgend eine Weise von einem kleinen Hofe
diesen Titel verschaffen und damit dem Pu-
blikum Sand in die Augen streuen! — Dass
es nicht so wie bisher weitergehen kann,
dürfte wohl jedem Künstler klar sein. Wir
müssen uns selbst helfen, wie andere Berufe,
und mit Forderungen an Regierung und
Reichstag gehen.
Nun fordere ich Gleichgesinnte auf, sich
zusammenzutun und den jetzigen Zuständen
ein Ende zu bereiten und gesündere Lebens-
bedingungen zu schaffen. Bildender Künstler
allein zu sein, ist für die heutige Zeit ge-
radezu Selbstmord.
Vollständigkeitsraptus und Kennerpose.
Über „kunsthistorische Verbildung“ spricht
Heinrich Wölfflin in der „Neuen Rundschau“.
Er bedauert sie, weil sie das Laienpublikum
„in ein ganz schiefes Verhältnis zur Kunst“
gebracht habe und bringe. In unsrer Zeit
des Sammelns, Inventarisierens und Registrie-
rens kauft man „lieber eine schundige Publi-
kation von allen Gemälden des Rubens als
Abbildung 10.
Zu dem Artikel „Die Kastanie“.
einen echten alten kräftigen Rubensstrich“.
Ergebnis: man sieht zu viel oder eigentlich
gar nichts. Auf Reisen und in heimischen
Museen verfolgt den Laien der Vollständig-
keitsraptus einerseits und die Kennerpose
im Bilderbestimmen und -datieren anderseits.
So unschuldig dies als persönliche Spielerei
des einzelnen ist, so sehr schädigt sich die
grosse Menge durch diese blinde Nachfolge
auf dem Wege des Historikers. Selbst wer
sich ein Gefühl für die Stile aller Zeiten
angeeignet hätte, könnte noch nicht vom Vor-
wurf kunsthistorischer Einseitigkeit freige-
sprochen werden, „solange das höchste
Problem der Kunst nicht aufgenommen ist,
das Problem der Qualität“.
denn jene Erzieher? Aber ich glaube, jeder
ist froh, wenn er Akademieprofessor gewor-
den ist, und lässt für das übrige den lieben
Gott sorgen. Durch die Erziehungsmethode,
die jetzt herrscht , wird der junge Künstler
ganz vom Getriebe der Welt abgesondert und
verliert mit den übrigen Menschen den Zu-
sammenhang, weil für seine Leistungen kein
Bedürfnis vorhanden ist. Es ist endlich Zeit,
dass auch alle bildenden Künstler mitleben
und mitwirken. In den fünf Jahren Studium,
die durchschnittlich jeder durchmacht, wäre
es wahrlich nicht schwer, sich auch nach der
praktischen Seite auszubilden, als Möbel-
zeichner, Industriezeichner usw. Die wirk-
lich führenden Geister in diesen Zweigen
sind in der Hauptsache immer Maler, die wohl
meistens aus materiellen Gründen solche
Fächer nachher lernten. Es genügt doch voll-
kommen, wenn der junge Schüler vormittags
vier Stunden Akt oder Kopf malt. Der Nach-
mittag könnte sehr wohl den praktischen
Studien gewidmet sein. Aber welcher junge
Mensch tut dies von sich aus? Ich habe
schon manchen Kollegen über diese verbum-
melte Zeit fluchen hören So könnte auch
sehr gut die Photographie gelehrt werden.
Dann werden heute schon für geschmackvolle
Fensterdekorationen in Berlin Künstler als
Ratgeber zugezogen. Bei den Schaufenster-
wettbewerben in Berlin haben sehr viele
Künstler mitgewirkt. Meistens aber nur als
Ratgeber. Warum könnte nicht „Dekoration“
auch als Nebenfach eingefügt werden, wenn
man denkt, dass in Berlin Dekorateure damit
durchschnittlich 5—10000 Mark jährlich ver-
dienen? Teppichfabriken brauchen Ratgeber
für Farbenzusammenstellung. Aber dieseLeute
müssen die Webarten beherrschen. Es wäre
für einen Maler ein leichtes, einen Webe-
kursus durchzumachen, um eine solche sehr
gut bezahlte Stellung zu bekleiden. Heute
ist der Maler mit dem Nimbus des Verbum-
melten gezeichnet, kein Beruf nimmt ihn
ernst. Das haben wir unseren Kollegen, die
als Stammgäste die Cafes zieren oder ver-
unzieren, zu verdanken. Denn der Aussen-
stehende hält zumeist diese Karikaturen für
die Vertreter unseres Berufes. Die meisten
Fabrikbetriebe haben englische Tischzeit, d.h.
bis um 3 Uhr nachmittags Dienst. Der junge
Mann hat dann den ganzen Nachmittag für
sich. Für jemand, der Geld verdienen muss,
kann es doch nichts Besseres geben. Auch
die Angestellten, z. B. Buchhalter, benutzen
noch die freie Zeit zum Geldverdienen, ge-
wöhnlich , wenn sie verheiratet sind. Wir sehen
also, dass auch der junge Künstler bei zweck-
mässiger Erziehung sehr gut im Leben stehen
und doch weitermalen könnte. Es würden
dadurch weniger, aber bessere Bilder entstehen.
II. hätte der Verein darauf zu dringen,
dass die Malerei mit dem Lehrerberuf ver-
bunden sein müsste. Warum sollte ein Maler
nicht im Zeichnen unterrichten, genau so wie
ein Altphilologe im Lateinisch oder Griechisch?
III. müsste der Verein auch in das ge-
schäftliche Leben eingreifen und vor allem
einen energischen Kampf gegen Geschmack-
losigkeiten führen, gegen diePfuscherannoncen
und gegen die sog. „Hofmaler“, die sich auf
irgend eine Weise von einem kleinen Hofe
diesen Titel verschaffen und damit dem Pu-
blikum Sand in die Augen streuen! — Dass
es nicht so wie bisher weitergehen kann,
dürfte wohl jedem Künstler klar sein. Wir
müssen uns selbst helfen, wie andere Berufe,
und mit Forderungen an Regierung und
Reichstag gehen.
Nun fordere ich Gleichgesinnte auf, sich
zusammenzutun und den jetzigen Zuständen
ein Ende zu bereiten und gesündere Lebens-
bedingungen zu schaffen. Bildender Künstler
allein zu sein, ist für die heutige Zeit ge-
radezu Selbstmord.
Vollständigkeitsraptus und Kennerpose.
Über „kunsthistorische Verbildung“ spricht
Heinrich Wölfflin in der „Neuen Rundschau“.
Er bedauert sie, weil sie das Laienpublikum
„in ein ganz schiefes Verhältnis zur Kunst“
gebracht habe und bringe. In unsrer Zeit
des Sammelns, Inventarisierens und Registrie-
rens kauft man „lieber eine schundige Publi-
kation von allen Gemälden des Rubens als
Abbildung 10.
Zu dem Artikel „Die Kastanie“.
einen echten alten kräftigen Rubensstrich“.
Ergebnis: man sieht zu viel oder eigentlich
gar nichts. Auf Reisen und in heimischen
Museen verfolgt den Laien der Vollständig-
keitsraptus einerseits und die Kennerpose
im Bilderbestimmen und -datieren anderseits.
So unschuldig dies als persönliche Spielerei
des einzelnen ist, so sehr schädigt sich die
grosse Menge durch diese blinde Nachfolge
auf dem Wege des Historikers. Selbst wer
sich ein Gefühl für die Stile aller Zeiten
angeeignet hätte, könnte noch nicht vom Vor-
wurf kunsthistorischer Einseitigkeit freige-
sprochen werden, „solange das höchste
Problem der Kunst nicht aufgenommen ist,
das Problem der Qualität“.