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Es ist so weit gekommen, dass man „die
Stile kennen“ für gleichbedeutend nimmt mit
„Kunst kennen“. Aber nicht was die ver-
schiedenen Stile unterscheidet, ist künstlerisch
das Bedeutsame, sondern was die guten
Sachen aller Zeiten unter sich gemein haben.
Es ist nicht so wichtig, die besondere Art
zu kennen, wie die Hände des Botticelli
sind und wie sie sich von denen eines Felippino
unterscheiden: was überhaupt eine gut-
gezeichnete Hand ist, das ist wichtig. Es
ist wichtig, dass man zwischen verschiedenen
Wirkungen unterscheiden lerne und es als
etwas Beglückendes schätze, wenn in der
vollkommenen
Darstellung die
Form nach ihren
entscheidenden
Eigenschaften
sich sofort und
schlagend und
vollständig zu
erkennen gibt.
Und nicht nur
zum starken
klaren Sehen,
sondern ebenso
zum grossen
Sehen, zum Zu-
sammennehmen
der vielen Dinge
zu einer ein-
zigen ruhigen
Anschauung
muss das Auge
erzogen werden.
Je seltener in
der Kunst die
Undeutlichkeit
derart ist, dass
der Eindruck
entsteht, man
brauchte nur
näherzutreten,
um alles genau
zu sehen, — um
so grösser ist die
Freude dessen,
der gelernt hat,
sie zu erkennen.
Und als drittes
gibt es die
Freude, den
Charakter der
Notwendigkeit
des im Kunst-
werk aus dem
Strom des Ver-
änderlichen zur
festen geschlos-
senen Form Her-
ausgestalteten
zu erkennen. „In
dieser durchund
durch bedingten
Welt, wo eines
sich ans andre
anlehnt, etwas
Unbedingtes 1“
Eine ganze
Aesthetik dieser
Art könnte auf-
gerollt werden.
„Hier liegen die
wichtigsten Ziele für die Erziehung des
Kunstsinns. Man kann den Weg über die
Historie nehmen, aber er ist gefährlich, denn
für die blossen Dilettanten ist er eine Ver-
suchung, von der Hauptsache sich abbringen
zu lassen und im Nebensächlichen stecken-
Zur Besprechung: Meisterzeichnungen deutscher Künstler.
Es ist so weit gekommen, dass man „die
Stile kennen“ für gleichbedeutend nimmt mit
„Kunst kennen“. Aber nicht was die ver-
schiedenen Stile unterscheidet, ist künstlerisch
das Bedeutsame, sondern was die guten
Sachen aller Zeiten unter sich gemein haben.
Es ist nicht so wichtig, die besondere Art
zu kennen, wie die Hände des Botticelli
sind und wie sie sich von denen eines Felippino
unterscheiden: was überhaupt eine gut-
gezeichnete Hand ist, das ist wichtig. Es
ist wichtig, dass man zwischen verschiedenen
Wirkungen unterscheiden lerne und es als
etwas Beglückendes schätze, wenn in der
vollkommenen
Darstellung die
Form nach ihren
entscheidenden
Eigenschaften
sich sofort und
schlagend und
vollständig zu
erkennen gibt.
Und nicht nur
zum starken
klaren Sehen,
sondern ebenso
zum grossen
Sehen, zum Zu-
sammennehmen
der vielen Dinge
zu einer ein-
zigen ruhigen
Anschauung
muss das Auge
erzogen werden.
Je seltener in
der Kunst die
Undeutlichkeit
derart ist, dass
der Eindruck
entsteht, man
brauchte nur
näherzutreten,
um alles genau
zu sehen, — um
so grösser ist die
Freude dessen,
der gelernt hat,
sie zu erkennen.
Und als drittes
gibt es die
Freude, den
Charakter der
Notwendigkeit
des im Kunst-
werk aus dem
Strom des Ver-
änderlichen zur
festen geschlos-
senen Form Her-
ausgestalteten
zu erkennen. „In
dieser durchund
durch bedingten
Welt, wo eines
sich ans andre
anlehnt, etwas
Unbedingtes 1“
Eine ganze
Aesthetik dieser
Art könnte auf-
gerollt werden.
„Hier liegen die
wichtigsten Ziele für die Erziehung des
Kunstsinns. Man kann den Weg über die
Historie nehmen, aber er ist gefährlich, denn
für die blossen Dilettanten ist er eine Ver-
suchung, von der Hauptsache sich abbringen
zu lassen und im Nebensächlichen stecken-
Zur Besprechung: Meisterzeichnungen deutscher Künstler.