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als Denkmäler des Geistes vergangener Zeiten
und Völker begriffen, so wäre damit das
notwendige ästhetische Erfassen noch lange
nicht erworben. Wenn man die Architektur-
geschichte chronologisch verfolgt, stehen
unsere Mittelschüler mit 14—16 Jahren vor
der Aufgabe, in die Bedeutung und Schön-
heit des griechischen Tempels einzudringen.
Wird das einem Knaben oder einem Mädchen
möglich sein, die kaum die beim Bau eines
guten Gartenhäuschens auftretenden Kon-
struktionsgedanken verstehen und die Schön-
heit, die aus der Zweckmässigkeit und Anord-
Abbildung 2.
Motto: 0. W. 24.
II. Preis: Zeichenlehramtskandidat Hempfing-Karlsrnhe.
nung des Ganzen und seiner Gliederung
sprechen kann? Der Lehrer dürfte noch so
Gutes über den griechischen Tempel vor-
tragen, dem Schüler müsste doch die Schön-
heit der Massenbehandlung bis herab zur
Bildung des Kapitells oder der Bedeutung
der Säulenkannelierungen unverständlich blei-
ben. Was soll denn der Unterricht?
Der junge Schüler hat zunächst noch ein
schwaches Gefühl für das Abhängigkeitsver-
hältnis der Formbehandlung von Material
und Materialcharakter im Bauen, Formen
und Malen. Es ist wichtiger, dass ihm ein
gesundes Empfinden für das Charakteristische
eines guten Holz-, Putz- oder Hausteinbaus,
einer Holz-, Bronze- oder Steinskulptur, eines
materialgerecht behandelten Möbelstücks,
eines Wand-, Tafel- und Illustrationsbildes
vermittelt werde, als dass er die geschicht-
liche Entwicklung dieser Kunstzweige ver-
stehe. Darum sei ja auch ein gebildeter
Künstler zum Erzieher in Sachen der Kunst
gewählt, weil ein solcher am ehesten die
notwendigen Voraussetzungen zur Erteilung
dieses Unterrichts an so jugendliche Menschen
erfüllt. Denn wir müssen der Jugend von
der Kunst als Künstler reden, wenn wir sie
dafür erwärmen und gewinnen wollen, nicht
als Wissenschaftler.
Was bedeuten für den Schüler die „zu-
sammenfassen“-wollenden kleinen Kapitel elfen
über grosse Künstler und lange Epochen in
unseren Kunstgeschichtsbüchern, wenn die
Vorstellungen, die da „zusammengefasst“
werden sollen, nicht in ihm leben ? Wenn sie
höchstens ein trübes Nebelbild vor dem
inneren Auge des jungen Menschen vor-
überziehen lassen, wo ein freudiges Auf-
leuchten, Klarwerden und Reicherwerden
allein dem Zwecke entsprechen könnte ?
Unsre Schüler lernen aus diesen kurz-
gefassten Kunst-Konversationslexiken nichts
Gutes. Wenn sie später einmal bei Gelegen-
heit wieder von grossen Meistern hören oder
gar Bilder von ihnen sehen, erinnern sie sich
vielleicht: ah, von dem hab ich auch schon
einmal etwas gelernt, also muss es wohl ein
bedeutender sein. „Mitreden“ lernen sie für
später, für die „Gesellschaft“, wo man so
etwas gut „brauchen“ kann und wo es eine
„Schande“ wäre, berühmte Namen nicht zu
kennen und nicht zu wissen, dass sich der
gotische Stil vom romanischen dadurch unter-
scheidet, „dass dieser durch den Rund-
bogen, jener durch den Spitzbogen ausge-
zeichnet ist“.
Wenn ein Abcscliiitze lesen lernt, legt
man ihm die Fibel und keine Literatur-
geschichte vor. Für unsre Mittelschüler ist
auch das Lesen i n einem Tüchtigen frucht-
barer als das Lesen über ihn. So, meinen
wir, wäre auch in der künstlerischen Erzie-
hung mit dem Genüsse einfacher, dann minder
einfacher Kunstwerke anzufangen. Zuletzt,
in den reiferen Studienjahren erst, hat auch
Geschichte der Kunst als Lehrgegenstand
einen Sinn. Denn es gilt, Kunstliebende zu
erziehen, mit der Kunst verwachsene Men-
schen, denen sie im Leben mehr bedeutet als
Namen, Ereignisse und Jahreszahlen.
Mit solchen Worten ungefähr wandte ich
mich kürzlich angesichts der Gefahr, die der
künstlerischen Erziehung unsrer Jugend mit
dem Betreten eines Irrwegs droht, an einige
Männer, deren Rat und Urteil mir in dieser
Sache massgebend erschien. Zu meiner
Freude traf ich auf warme Teilnahme, und
so mögen von den mir zugegangenen Briefen
zwei hier folgen.
Universitätsprofessor Dr. Hans Cornelius
schreibt: „ . . . Kunstgeschichte gibt, wie
man an täglichen Beispielen sehen kann,
durchaus nicht Kunstverständnis. Im Gegen-
teil : durch das Beachten des Historischen,
also des Wechselnden an der künstlerischen
Produktion wird notwendig der Blick vom
Künstlerischen, das ist von dem (ewig in
gleicher Weise, von aller Historie unabhängig)
als Denkmäler des Geistes vergangener Zeiten
und Völker begriffen, so wäre damit das
notwendige ästhetische Erfassen noch lange
nicht erworben. Wenn man die Architektur-
geschichte chronologisch verfolgt, stehen
unsere Mittelschüler mit 14—16 Jahren vor
der Aufgabe, in die Bedeutung und Schön-
heit des griechischen Tempels einzudringen.
Wird das einem Knaben oder einem Mädchen
möglich sein, die kaum die beim Bau eines
guten Gartenhäuschens auftretenden Kon-
struktionsgedanken verstehen und die Schön-
heit, die aus der Zweckmässigkeit und Anord-
Abbildung 2.
Motto: 0. W. 24.
II. Preis: Zeichenlehramtskandidat Hempfing-Karlsrnhe.
nung des Ganzen und seiner Gliederung
sprechen kann? Der Lehrer dürfte noch so
Gutes über den griechischen Tempel vor-
tragen, dem Schüler müsste doch die Schön-
heit der Massenbehandlung bis herab zur
Bildung des Kapitells oder der Bedeutung
der Säulenkannelierungen unverständlich blei-
ben. Was soll denn der Unterricht?
Der junge Schüler hat zunächst noch ein
schwaches Gefühl für das Abhängigkeitsver-
hältnis der Formbehandlung von Material
und Materialcharakter im Bauen, Formen
und Malen. Es ist wichtiger, dass ihm ein
gesundes Empfinden für das Charakteristische
eines guten Holz-, Putz- oder Hausteinbaus,
einer Holz-, Bronze- oder Steinskulptur, eines
materialgerecht behandelten Möbelstücks,
eines Wand-, Tafel- und Illustrationsbildes
vermittelt werde, als dass er die geschicht-
liche Entwicklung dieser Kunstzweige ver-
stehe. Darum sei ja auch ein gebildeter
Künstler zum Erzieher in Sachen der Kunst
gewählt, weil ein solcher am ehesten die
notwendigen Voraussetzungen zur Erteilung
dieses Unterrichts an so jugendliche Menschen
erfüllt. Denn wir müssen der Jugend von
der Kunst als Künstler reden, wenn wir sie
dafür erwärmen und gewinnen wollen, nicht
als Wissenschaftler.
Was bedeuten für den Schüler die „zu-
sammenfassen“-wollenden kleinen Kapitel elfen
über grosse Künstler und lange Epochen in
unseren Kunstgeschichtsbüchern, wenn die
Vorstellungen, die da „zusammengefasst“
werden sollen, nicht in ihm leben ? Wenn sie
höchstens ein trübes Nebelbild vor dem
inneren Auge des jungen Menschen vor-
überziehen lassen, wo ein freudiges Auf-
leuchten, Klarwerden und Reicherwerden
allein dem Zwecke entsprechen könnte ?
Unsre Schüler lernen aus diesen kurz-
gefassten Kunst-Konversationslexiken nichts
Gutes. Wenn sie später einmal bei Gelegen-
heit wieder von grossen Meistern hören oder
gar Bilder von ihnen sehen, erinnern sie sich
vielleicht: ah, von dem hab ich auch schon
einmal etwas gelernt, also muss es wohl ein
bedeutender sein. „Mitreden“ lernen sie für
später, für die „Gesellschaft“, wo man so
etwas gut „brauchen“ kann und wo es eine
„Schande“ wäre, berühmte Namen nicht zu
kennen und nicht zu wissen, dass sich der
gotische Stil vom romanischen dadurch unter-
scheidet, „dass dieser durch den Rund-
bogen, jener durch den Spitzbogen ausge-
zeichnet ist“.
Wenn ein Abcscliiitze lesen lernt, legt
man ihm die Fibel und keine Literatur-
geschichte vor. Für unsre Mittelschüler ist
auch das Lesen i n einem Tüchtigen frucht-
barer als das Lesen über ihn. So, meinen
wir, wäre auch in der künstlerischen Erzie-
hung mit dem Genüsse einfacher, dann minder
einfacher Kunstwerke anzufangen. Zuletzt,
in den reiferen Studienjahren erst, hat auch
Geschichte der Kunst als Lehrgegenstand
einen Sinn. Denn es gilt, Kunstliebende zu
erziehen, mit der Kunst verwachsene Men-
schen, denen sie im Leben mehr bedeutet als
Namen, Ereignisse und Jahreszahlen.
Mit solchen Worten ungefähr wandte ich
mich kürzlich angesichts der Gefahr, die der
künstlerischen Erziehung unsrer Jugend mit
dem Betreten eines Irrwegs droht, an einige
Männer, deren Rat und Urteil mir in dieser
Sache massgebend erschien. Zu meiner
Freude traf ich auf warme Teilnahme, und
so mögen von den mir zugegangenen Briefen
zwei hier folgen.
Universitätsprofessor Dr. Hans Cornelius
schreibt: „ . . . Kunstgeschichte gibt, wie
man an täglichen Beispielen sehen kann,
durchaus nicht Kunstverständnis. Im Gegen-
teil : durch das Beachten des Historischen,
also des Wechselnden an der künstlerischen
Produktion wird notwendig der Blick vom
Künstlerischen, das ist von dem (ewig in
gleicher Weise, von aller Historie unabhängig)