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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft XII (Dezember 1910)
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0193

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177

Gegen den Phantasiemord durch Spiel-
zeug nur zwei Worte, denn wir können ja
nicht immer aufs neue schon Gesagtes wieder-
holen —, aber Worte der herzlichsten Bitte
um unsre Jugend, und Worte, deren Richtig-
keit jeder bestätigt, der sich mit diesen
Dingen nui’ einmal denkend, erfahrend be-
schäftigt hat. Jedes natürliche Spiel ist
Übung von Kräften, die sich üben wollen,
je mehr es fertig gibt, je weniger regt es
sie an, je weniger also taugt
es. Aber freilich: je mehr es
fertig gibt, je schneller befrie-
digt es auch, weil die Be¬
friedigung dann so leicht ist
— und hierbei liegt die
Gefahr. Die Kinder jubeln vor
Vergnügen über die lebens-
grosse Puppe mit beweglichen
Augen, „echtem Haar“ und
womöglich noch einem Sprech-
apparat im Leibe — jubeln
darüber am ersten Tag, auch
wenn am zweiten die nun satt
gefütterte und dadurch faul
gemachte Phantasie mit dem
Ding nichts mehr anzufangen
weiss. Eltern, Onkel, Tanten
undgute Nachbarn wollen abei'
beim Schenken selber als Lohn
ihres Schenkens einen mög-
lichst grossen „Effekt“, also
kaufen sie, was am meisten
sofort gefällt. Unsre Industrie
nützt das natürlich aus ; alle
Spielwarenschaufenster sind
überladen mit dem immer „na-
türlicheren“, immer „pracht-
volleren“ Kram, der der eigent-
lichen Bedeutung des Spiels,
des Uebens der Kräfte gerade-
zu spottet, die Untugenden
des Protzenbewusstseins („ich
habe das Feinste“) schon in
Kindern weckt und die Phan¬
tasie verkümmern lässt.
(Aus „Kunstwart“.)
Kunst, Kunstgewerbe und
Publikum. Einem lesens-
werten Aufsatz von Arthur
Rössler entnehmen wir nach-
stehendes *:
Wir besitzen Dinge, die
keine Zeit vor uns besass,
Bauwerke und Maschinen, die
nur uns eigentümlich sind, unser öffentliches
Leben vollzieht sich in völlig neuen, unser
privates Leben in teilweise neuen Formen,
und das führte schliesslich zu dem Verlangen,
diesem neuen Leben den entsprechenden
neuen künstlerischen Rahmen zu geben. Wir
* Erschienen im Oktoberheft 1910 der Darm-
städter Kunstzeitschrift „Deutsche Kunst und Deko-
ration“, herausgegeben von Hofrat Alexander Koch.
Das Heft kann nur bestens empfohlen werden. Es
enthält neben wertvollen Textbeiträgen über 200
Abbildungen hervorragender Werke der modernen
Kunst und des Kunstgewerbes. Einzelpreis M. 2.50.
Erhältlich in allen Buchhandlungen.

dürfen uos des Erwachens der künstlerischen
Schaffenslust und Genussfähigkeit mit Recht
erfreuen, da die kulturelle Wertschätzung
der Völker, im friedlichen Wettstreit der
Ausstellungen beispielsweise, fast nur nach
Massgabe des künstlerischen Vermögens, mit
dem sie aufzutreten wissen, bestimmt wird.
Wir können uns allerdings weder mit den
Griechen des sogenannten goldenen Zeitalters,
noch mit den Italienern der Renaissance
Abbildung 4.

vergleichen, stellen uns aber in kühner Ruhe
gelassen und der Bedeutung unserer Zeit und
ihrer künstlerisch-technischen Hervorbrin-
gungen sicher, an ihre Seite. Immerhin, der
Typus des modernen Deutschen hat noch
seine schwachen Seiten. Es fehlt ihm, wie
Prof. Lichtwark sagte, an äusserer Kultur
und Festigkeit der Form, wie an einem
innerlichen Verhältnis zur bildenden Kunst.
Sein Bedürfnis nach künstlerischen Genüssen,
die eine Erziehung des Auges und des Her-
zens voraussetzen, ist verhältnismässig gering.
Man mag das den Werken der Malerei und
Skulptur gegenüber, die zwar geistig für das
ganze Volk geschaffen sind, deren Erwerb

1

Nach einer Studie in Oel von Zeichenlehrer Bender-Karlsruhe.
 
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