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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 1 (Januar 1931)
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Weismantel, Leo: Eine Rede vor der Festversammlung auf der Jahrestagung des Reichsverbandes deutscher Kunsterzieher in Breslau/ Pfingsten 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0004

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DR. LEO WEIS MANTEL
Leiter der Schule der Volkschah für Volkskunde und Erziehungswesen, Marktbreit a. Main :
EINE REDE VOR DER FESTVERSAMMLUNG AUF DER JAHRESTAGUNG DES
REICHS VERBANDES DEUTSCHER KUNSTERZIEHER IN BRESLAU / PFINGSTEN 1930

Meine sehr verehrten Damen und Herrn!
Diese Tage Ihrer Jahresversammlung in Breslau wid-
men Sie der Klärung Ihrer Berufsfragen. Es ist nicht
ohne weiteres ersichtlich, warum gerade ich, der ich
weder Zeichenlehrer noch Musiklehrer bin, in Ihrer
Mitte über Zeitfragen der Kunsterziehung sprechen
soll. Oder soll gerade der Umstand, daß ich nicht von
Ihrem Fache bin, das Uberfachliche, das allgemein
Gültige dessen, was hier zur Beratung steht, betonen.
Zunächst bin ich Ihrer eigenen Lebensarbeit ver-
bunden als Vater von Kindern. Ich habe in meinem
Garten ein kleines Häuschen mit ehedem blütenwei-
ßen Wänden. Heute steht es mit Kohle überschmiert,
— ist das der richtige Ausdruck? — die Wände zeigen
Bilder aus der Hand meines Söhnchens und ich stehe
als Vater vor der Frage, ob ich hier wettern oder
ehrfürchtig vor den Erzeugnissen des „Genius im
Kinde" stellen soll. Zuweilen auch, wenn diese Kin-
der im Garten sich eine Jazzbandkapelle zusammen-
bauen, stehe ich als Vater wieder vor der zuweilen
ganz schwierigen Frage, in dem, was da im Hofe oder
Garten vor sich geht, einen Höllenlärm zu hören und
dagegen loszupoltern oder in ihm „die Grundregun-
gen musikalischer Schöpfung" zu entdecken und in
diesem Getriebe nach irgendwelchen Wundern aus-
zuhorchen, — ein moderner Vater, glauben Sie mir —
hat es schwer!
Hier ist in der Tat scherzhaft die Frage nach den
Uranfängen der künstlerischen Erziehung schon ge-
stellt und es wird meine Aufgabe sein, in diesen
meinen Ausführungen auf das Ernsthafte dieser Uran-
fänge zurückzukommen. Zunächst aber bin ich Ihrem
Berufe als Kunsterzieher unmittelbar verbunden als
Erzieher in einer anderen Kunst, die heute unter Ihnen
’ noch nicht vertreten ist, als Erzieher auf dem Gebiet
der Sprache, der Sprachkunst und wenn das, was Sie
hier in Ihren Beratungen erstreben, weiter eindringt
in das Volk, so wird die Stunde kommen, in der auch
die Kunsterzieher der Sprache zu den Erziehern auf
dem Gebiet der bildenden Kunst und der Musik wer-
den stoßen müssen, denn wir glauben an eine „ars
una", an eine einzige Kunst. Es sind nicht nur Sprach-
bilder, wenn ein Gelehrter auf dem Gebiet der Musik-
erziehung: Heinrichs Jakobs in einer seiner Schriften
von „Klangdomen" und „Klanghütten" spricht. Es geht
ein Ewiges durch die Formen und dieses Ewig-Eine,
Eine-Ewige erscheint einmal im Reich der Sprache,
dann ist es Dichtung, erscheint einmal als Bild — dann
steht es vor uns als Werk der bildenden Kunst, er-
scheint einmal als Musik, einmal als Baukunst und wo
wir dieses Einen ansichtig werden, wo wir dieses
Eine, Ewige erhaschen, dort erschließt es sich uns in
seinem ganzen Wesen, so daß wir ihm fortan vertraut
sein werden auch in allen anderen Künsten, in deren
Reichen es sich offenbart. Die Gesetze seines Lebens
sind gleich, ob wir sie in der Dichtung erfahren, in
der Baukunst erschauen, in der Musik erlauschen oder
in Räumen in sie eingehen. So lassen Sie mich denn
von diesem Einen-Ewigen sprechen, das unabhängig
ist von den Erscheinungsformen der bildenden Kunst
oder der Musik, der Dichtung und der Baukunst, von
jenem, das unabhängig ist von diesen Erscheinungs-
formen.
Es sind zunächst vier Fragen, vier Zeitfragen der
künstlerischen ^Erziehung, die ich vor Ihnen erörtern
jnöchter

1. die Frage nach der Bedeutung der Form im schöp-
ferischen Akt; Was ist Form? Wie wird sie? Ist sie
von außenher erfaßbar oder nur von innenher
erschließbar?
2. die Frage nach der gestaltenden Kraft, welche
Kunstwerke gebiert, das ist die Frage nach dem
„Genius im Menschen,"
3. die Frage nach dem Gesetzmäßigen in all dem,
4. die Frage nach der Bedeutung der Technik in der
Kunst, die Frage: was heißt es, in einem Zeitalter
der Technik zu leben, was bedeutet Kunst in die-
sem Zeitalter der Technik oder Technik in der
Welt der Künste.
Da ich eingangs erwähnte, daß dieses Einzige, allen
Künsten allgemeine von uns aufgespürt werden kann
ebensogut in der bildenden Kunst wie in der Musik,
so gestatten Sie, daß ich vor Ihnen als vor Lehrern auf
diesen beiden Gebieten jenes andere Gebiet zum
Ausgangspunkte nehme, auf dem Sie selbst nicht tätig
sind, das Gebiet der Sprache, und es wird keinen
Augenblick sein, als spräche ich nicht von Ihren
Fächern.
+ + +
1. Zunächst steht vor uns die Frage nach der Be-
deutung der Form im schöpferischen
Akt. Als ich selbst vor jetzt dreißig, fünfundzwanzig
Jahren die Schule besuchte, damals in jener Zeil
meines Lebens ein humanistisches Gymnasium und als
ich die ersten Werke unserer Klassiker las, da regte
sich in mir das Begehren, ich wollte selbst solche Büh-
nenwerke schreiben. Aber es wäre ein Irrtum zu glau-
ben, die Begegnung mit den Dramen unserer Klas-
siker hätte dieses Begehren in mir auslösen können,
wenn ich nicht als Kind: „Ringel, Ringel, Reihe" ge-
spielt hätte und „Mariechen saß auf einem Stein",
die balladeske Tragödie der Kindheit. Dort in diesen
kleinsten Reigenspielen, in diesen Chordichtungen
der Kindheit, nicht in der Begegnung mit den Dramen
der Klassiker, sitzt die Wurzel der Kraft, die nun so
viele Jahre später selbst zur Gestaltung von Bühnen-
werken drängte. In jener Zeit las ich gelehrte Bücher
über „die Form des Dramas", nicht weil es mich nach
diesen gelehrten Büchern von mir aus verlangte, son-
dern weil „man", weil meine Lehrer sie mir gaben.
Wäre diese Begegnung mit den Klassikern und ihren
Bühnenwerken mit mir nicht auf einem humanistischen
Gymnasium erfolgt, so hätte ich vermutlich ohne wei-
teres angefangen, aus eigenem Trieb heraus Bühnen-
werke zu schreiben. So aber, als Schüler eines huma-
nistischen Gymnasiums, erfuhr ich zunächst durch das,
was meine Lehrer pflichtgemäß mit mir dort trieben,
wenn diese Dramen in der Schulstunde angesetzt wa-
ren, daß es so etwas wie „Formenlehre der Dichtung"
gibt und daß, wer dichten will, sich die weitesten
Kenntnisse über diese Formen verschaffen müsse. So
habe ich denn jahrelang dieser Wissenschaft nach-
gejagt mit dem Ergebnis, daß die Kräfte der Schöp-
fung in mir immermehr erloschen, je mehr ich mich
der Kenntnis dieser Formen mit Hilfe der Wissenschaft
befleißigt habe. Denn diese Wissenschaft, die von
außen die Form mißt, die mir zu sagen vermochte, wie
ein „regelrechtes Drama" zu bauen sei, gab mir nur
das von der Kunst Wißbare, aber all dieses Wißbare
ist unwesentlich, weil das Wesen der Kunst etwas
nicht Wißbares, ein Geheimnis ist, so daß diese Wis-
senschaft von der Kunst, wie sie vornehmlich die letz-

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