NACHSCHRIFT zu dem Aufsatz von W. Frantzen in Heft 7:
„Ein Beitrag zu den Fragen der preußischen Richtlinien
für den Zeichen- und Kunstunterricht und der Gestal-
tung des Lehrplans."
In der ersten Spalte unten bei diesem Artikel heißt
es, daß der mitgeteilte Lehrplan u. a. zeige, wie
wir heute bereits über die Gedanken der preußischen
Richtlinien hinausgewachsen sind und zu wesentlichen
Änderungen, Erweiterungen und Vertiefungen gekom-
men sind.
Das klingt sehr übermütig. Allein bei näherer Prü-
fung des Planes bemerkt man aber schon, daß doch
noch eine ganze Anzahl von z. T. noch offenen
Fragen vorliegen. Ich nenne nur einige, um zu
ihrer notwendigen Bearbeitung und Lösung anzuregen.
Ich gruppiere sie ihrem inneren Zusammenhänge nach
unter folgenden Überschriften: I. Das Konzentrations-
(für Nichtpreußen: Das Querverbindungs)-Problem;
II. Darstellen und Gestalten; III. Kunstbetrachtung.
I. Das Konzentrationsproblem.
1. „Die Bedeutung des Stoffes in der wissenschaft-
lichen und künstlerischen Arbeit."
2. Welchen Fächern hat die kunstunterrichtliche Jahres-
arbeit der O II (oder irgend einer anderen Klassel)
ihre stofflichen Anregungen im Sinne der Konzen-
tration entnommen? (Der Bericht müßte zeigen, wie
die Querverbindungen sich im Laufe der eigen-
gesetzlichen Kunstunterrichtsarbeit unvorhergesehen
von Fall zu Fall ergeben haben. Aufzählung in Stich-
worten, u. U. eingehender Behandlung besonders
aufschlußreicher Beispiele. Ich verweise auf die
anregende Arbeit von Volkmann in Kunst und Ju-
gend, 1931, Heft 2.)
3. Wie sich bildhaftes Gestalten, Darstellen und Kunst-
betrachtung um einen Stoff konzentrieren können.
(Unterrichtsbeispiel! Siehe Einleitung, Punkts unten.)
Der Zwiespalt unseres Weltbildes. Von Prof. Dr. J.
von U e x k ü 11. Wenn wir die Geschlechterfolge der
Menschheit unseres abendländischen Kulturkreises in
den letzten 500 Jahren vor unserem geistigen Auge
vorüberziehen lassen, dann werden wir unschwer be-
merken können, daß drei große Weltanschauungs-
wellen über sie dagingegangen sind. Jede dieser Wel-
len ist erfüllt von Varianten eines Themas, das von
Welle zu Welle wechselt.
Die Scholastische Welle, die noch zu Ausgang des
Mittelalters herrschend war, hatte zum Thema — die
Kirche. Auf sie folgte die Humanistische Welle, die
das Interesse vieler Generationen auf das Thema —
Mensch einstellte, und schließlich folgte die das vo-
rige Jahrhundert überflutende und bis in unsere Tage
herrschende Mechanistische Welle, deren Thema —
die Maschine war.
Das zentrale Interesse für den Menschen erlosch, er
sank zur beseelten Maschine herab. Das ganze Uni-
versum verwandelte sich in eine riesige Maschine,
die sich im größten — in den Sternenbahnen wie im
kleinsten — den Bahnen der Elektronen völlig gleich-
blieb. Sie schien endlich die langgesuchte Lösung der
Welträtsel zu bringen, denn sie entsprang der uner-
schütterlichen Erfahrung der Objektiven Dinge. Mit der
unzerbrechlichen Kette von Ursache und Wirkung fes-
selte sie jeden Widerspruch.
Aber wie alle Weltanschauungswellen schließlich
ihr Ende finden, wenn ein neues Thema in den Mittel-
punkt des Interesses rückt, so beginnt auch die me-
chanische Weltanschauung abzuebben, schon hat sich
eine neue Welle erhoben, deren Thema das Leben ist.
Noch befinden wir uns in einem Wellental. In die-
sem streiten die alten und die neuen Strömungen mit-
einander. Wir leben in einer Übergangszeit des Zwie-
spaltes. Noch hat das neue Thema nicht voll einge-
ll. D a r s t e I I e n und Gestalten:
1. „Die Stellung der Materialfrage, des Schreibens und
der Photographie zum Darstellen und zum Gestal-
ten." In Verbindung damit eine in mancher Hinsicht
wertvolle Behandlung des Schemas „Strukturzeich-
nen, seine Bedeutung und seine Gefahren".
2. „Grenzen des Darstellens auf der Unterstufe."
3. „Wie sollte das biologische Zeichnen betrieben
werden?" (gewisse Schwierigkeiten der Lösung,
weil hier projektive und perspektivische Konstruk-
tionen, die beim Zeichnen von Gegenständen des
Handwerks und der Architektur möglich und gege-
ben sind, wegfallen. Lösungen und Sichzufrieden-
geben mit dem vom Gestalten aus Möglichen).
4. „Schrift, von Sexta—Prima" (ein Thema, zu dem heute
viel Sicheres und Gutes gesagt werden kann, und
über das wir in Kunst und Jugend wenig Planmäßi-
ges gehört haben). In Verbindung mit A1.
III. Kunstbetrachtung:
1. „Schüler sprechen über bildende Kunst" (möglichst
wortgetreue Berichte).
2. „Erfahrungen in der Reifeprüfung" (Möglichkeiten und
Grenzen des gedanklich und sprachlich Faßbaren.
Gefahr der Intellektualisierung m. E. und meiner Er-
fahrung nach groß. Siehe Schluß des Lehrplanesl).
Die Lösung der vorliegenden Fragen würde am be-
sten in der Weise erfolgen, daß man an Hand von
praktischen U n t e r r i c h t s b e i s p i e I e n das
Grundsätzliche entwickelt. Eine ganze Anzahl
von Veröffentlichungen (letzten Jahrgänge von Kunst
und Jugend) schneiden die oben genannten Themen
schon an. Sie sind zur Anregung und als Unterlagen
empfehlenswert.
Daß neben diesen Fragen die bekannten Probleme
des Gestaltens und der Pubertät bestehen bleiben, ,
versteht sich am Rande.
setzt, um die Menschen von seiner Alleinberechtigung
zu überzeugen. Daher klafft überall ein Zwiespalt, der
durch die gegensätzlichen Anziehungskräfte der bei-
den im Wettstreit liegenden Themen — Maschine und
Leben — wohl erklärlich ist.
Der Ausgangspunkt ist für beide Lehren die gleiche,
nämlich die einen jeden Menschen umgebende An-
schauungswelt, erfüllt von duftenden, tönenden, far-
bigen Dingen, eingerahmt vom Horizont und abge-
schlossen durch das Himmelsgewölbe, die einen jeden
von uns als ihren Mittelpunkt umschließt.
Die mechanistische Lehre übersieht von Anfang an
die Tatsache, daß einem jeden Menschen eine ihm
allein zugehörige Anschauungswelt gegeben ist. Statt
der vielen Spezialweltbühnen, in denen sich das Le-
ben der einzelnen Menschen abspielt, erkennen die
Mechanisten nur eine, allen gemeinsame Weltbühne
an. Auf dieser allumfassenden Weltbühne befinden
sich die einzelnen Subjekte in sehr verschiedenen Um-
gebungen, wenn die Mechanisten aber von verschie-
denen Umwelten reden, so ist das nur eine Phrase,
geeignet, den wahren Sachverhalt zu verdunkeln.
Wenn hingegen der Biologe von Umwelten redet,
so drückt er damit die Tatsache aus, daß jeder Mensch
von seiner Anschauungswelt umgeben ist. Das Wort
Umgebung erhält für den Biologen, der die Existenz
einer allgemeinen Weltbühne leugnet, einen ganz an-
deren Sinn. Für die Menschen, die er in seiner Um-
welt wahrnimmt, ist seine Umwelt ihre Umgebung.
Seine eigene Umgebung kennt kein Mensch, denn
diese ist immer in der fremden Umwelt eines anderen
Subjektes gelegen.*
* Die wichtigsten Ergebnisse der Umwelfforschung hat Verfasser
niedergelegt in dem Werk „Das Lebensproblem im Lichte der moder-
nen Forschung". 472 Seifen. In Leinenband M. 20.— (Verlag Quelle &
Meyer, Leipzig.)
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„Ein Beitrag zu den Fragen der preußischen Richtlinien
für den Zeichen- und Kunstunterricht und der Gestal-
tung des Lehrplans."
In der ersten Spalte unten bei diesem Artikel heißt
es, daß der mitgeteilte Lehrplan u. a. zeige, wie
wir heute bereits über die Gedanken der preußischen
Richtlinien hinausgewachsen sind und zu wesentlichen
Änderungen, Erweiterungen und Vertiefungen gekom-
men sind.
Das klingt sehr übermütig. Allein bei näherer Prü-
fung des Planes bemerkt man aber schon, daß doch
noch eine ganze Anzahl von z. T. noch offenen
Fragen vorliegen. Ich nenne nur einige, um zu
ihrer notwendigen Bearbeitung und Lösung anzuregen.
Ich gruppiere sie ihrem inneren Zusammenhänge nach
unter folgenden Überschriften: I. Das Konzentrations-
(für Nichtpreußen: Das Querverbindungs)-Problem;
II. Darstellen und Gestalten; III. Kunstbetrachtung.
I. Das Konzentrationsproblem.
1. „Die Bedeutung des Stoffes in der wissenschaft-
lichen und künstlerischen Arbeit."
2. Welchen Fächern hat die kunstunterrichtliche Jahres-
arbeit der O II (oder irgend einer anderen Klassel)
ihre stofflichen Anregungen im Sinne der Konzen-
tration entnommen? (Der Bericht müßte zeigen, wie
die Querverbindungen sich im Laufe der eigen-
gesetzlichen Kunstunterrichtsarbeit unvorhergesehen
von Fall zu Fall ergeben haben. Aufzählung in Stich-
worten, u. U. eingehender Behandlung besonders
aufschlußreicher Beispiele. Ich verweise auf die
anregende Arbeit von Volkmann in Kunst und Ju-
gend, 1931, Heft 2.)
3. Wie sich bildhaftes Gestalten, Darstellen und Kunst-
betrachtung um einen Stoff konzentrieren können.
(Unterrichtsbeispiel! Siehe Einleitung, Punkts unten.)
Der Zwiespalt unseres Weltbildes. Von Prof. Dr. J.
von U e x k ü 11. Wenn wir die Geschlechterfolge der
Menschheit unseres abendländischen Kulturkreises in
den letzten 500 Jahren vor unserem geistigen Auge
vorüberziehen lassen, dann werden wir unschwer be-
merken können, daß drei große Weltanschauungs-
wellen über sie dagingegangen sind. Jede dieser Wel-
len ist erfüllt von Varianten eines Themas, das von
Welle zu Welle wechselt.
Die Scholastische Welle, die noch zu Ausgang des
Mittelalters herrschend war, hatte zum Thema — die
Kirche. Auf sie folgte die Humanistische Welle, die
das Interesse vieler Generationen auf das Thema —
Mensch einstellte, und schließlich folgte die das vo-
rige Jahrhundert überflutende und bis in unsere Tage
herrschende Mechanistische Welle, deren Thema —
die Maschine war.
Das zentrale Interesse für den Menschen erlosch, er
sank zur beseelten Maschine herab. Das ganze Uni-
versum verwandelte sich in eine riesige Maschine,
die sich im größten — in den Sternenbahnen wie im
kleinsten — den Bahnen der Elektronen völlig gleich-
blieb. Sie schien endlich die langgesuchte Lösung der
Welträtsel zu bringen, denn sie entsprang der uner-
schütterlichen Erfahrung der Objektiven Dinge. Mit der
unzerbrechlichen Kette von Ursache und Wirkung fes-
selte sie jeden Widerspruch.
Aber wie alle Weltanschauungswellen schließlich
ihr Ende finden, wenn ein neues Thema in den Mittel-
punkt des Interesses rückt, so beginnt auch die me-
chanische Weltanschauung abzuebben, schon hat sich
eine neue Welle erhoben, deren Thema das Leben ist.
Noch befinden wir uns in einem Wellental. In die-
sem streiten die alten und die neuen Strömungen mit-
einander. Wir leben in einer Übergangszeit des Zwie-
spaltes. Noch hat das neue Thema nicht voll einge-
ll. D a r s t e I I e n und Gestalten:
1. „Die Stellung der Materialfrage, des Schreibens und
der Photographie zum Darstellen und zum Gestal-
ten." In Verbindung damit eine in mancher Hinsicht
wertvolle Behandlung des Schemas „Strukturzeich-
nen, seine Bedeutung und seine Gefahren".
2. „Grenzen des Darstellens auf der Unterstufe."
3. „Wie sollte das biologische Zeichnen betrieben
werden?" (gewisse Schwierigkeiten der Lösung,
weil hier projektive und perspektivische Konstruk-
tionen, die beim Zeichnen von Gegenständen des
Handwerks und der Architektur möglich und gege-
ben sind, wegfallen. Lösungen und Sichzufrieden-
geben mit dem vom Gestalten aus Möglichen).
4. „Schrift, von Sexta—Prima" (ein Thema, zu dem heute
viel Sicheres und Gutes gesagt werden kann, und
über das wir in Kunst und Jugend wenig Planmäßi-
ges gehört haben). In Verbindung mit A1.
III. Kunstbetrachtung:
1. „Schüler sprechen über bildende Kunst" (möglichst
wortgetreue Berichte).
2. „Erfahrungen in der Reifeprüfung" (Möglichkeiten und
Grenzen des gedanklich und sprachlich Faßbaren.
Gefahr der Intellektualisierung m. E. und meiner Er-
fahrung nach groß. Siehe Schluß des Lehrplanesl).
Die Lösung der vorliegenden Fragen würde am be-
sten in der Weise erfolgen, daß man an Hand von
praktischen U n t e r r i c h t s b e i s p i e I e n das
Grundsätzliche entwickelt. Eine ganze Anzahl
von Veröffentlichungen (letzten Jahrgänge von Kunst
und Jugend) schneiden die oben genannten Themen
schon an. Sie sind zur Anregung und als Unterlagen
empfehlenswert.
Daß neben diesen Fragen die bekannten Probleme
des Gestaltens und der Pubertät bestehen bleiben, ,
versteht sich am Rande.
setzt, um die Menschen von seiner Alleinberechtigung
zu überzeugen. Daher klafft überall ein Zwiespalt, der
durch die gegensätzlichen Anziehungskräfte der bei-
den im Wettstreit liegenden Themen — Maschine und
Leben — wohl erklärlich ist.
Der Ausgangspunkt ist für beide Lehren die gleiche,
nämlich die einen jeden Menschen umgebende An-
schauungswelt, erfüllt von duftenden, tönenden, far-
bigen Dingen, eingerahmt vom Horizont und abge-
schlossen durch das Himmelsgewölbe, die einen jeden
von uns als ihren Mittelpunkt umschließt.
Die mechanistische Lehre übersieht von Anfang an
die Tatsache, daß einem jeden Menschen eine ihm
allein zugehörige Anschauungswelt gegeben ist. Statt
der vielen Spezialweltbühnen, in denen sich das Le-
ben der einzelnen Menschen abspielt, erkennen die
Mechanisten nur eine, allen gemeinsame Weltbühne
an. Auf dieser allumfassenden Weltbühne befinden
sich die einzelnen Subjekte in sehr verschiedenen Um-
gebungen, wenn die Mechanisten aber von verschie-
denen Umwelten reden, so ist das nur eine Phrase,
geeignet, den wahren Sachverhalt zu verdunkeln.
Wenn hingegen der Biologe von Umwelten redet,
so drückt er damit die Tatsache aus, daß jeder Mensch
von seiner Anschauungswelt umgeben ist. Das Wort
Umgebung erhält für den Biologen, der die Existenz
einer allgemeinen Weltbühne leugnet, einen ganz an-
deren Sinn. Für die Menschen, die er in seiner Um-
welt wahrnimmt, ist seine Umwelt ihre Umgebung.
Seine eigene Umgebung kennt kein Mensch, denn
diese ist immer in der fremden Umwelt eines anderen
Subjektes gelegen.*
* Die wichtigsten Ergebnisse der Umwelfforschung hat Verfasser
niedergelegt in dem Werk „Das Lebensproblem im Lichte der moder-
nen Forschung". 472 Seifen. In Leinenband M. 20.— (Verlag Quelle &
Meyer, Leipzig.)
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