Der qoldene Fisch. Von Paul Klee. Aus clem Werk von Ludwig Justi: „Von Corinth bis Klee".
(Julius Bord'Verlag, Berlin)
TRÄUME VON FORM UND WELT von Ludwig justi
Wir entnehmen diese Ausführungen mit Genehmigung des
Verfassers und des Verlages Jul. Bard in Berlin dem aus-
gezeichneten Buch von Ludwig Justi: „Von Corinfh bis Klee",
das an anderer Stelle dieses Heftes gewürdigt wird. Paul
Klees Werke werden oft in Parallele gestellt zu der sogen.
„Kunst des Kindes". Mit Unrecht. Man bedenke: das naive
kindliche Schaffen fließt zumeist aus dem Unbewußten,
während die Werke Klees Ergebnis einer bewußten Geistig-
keit sind, die wohl die äußeren Merkmale kindlicher Naivität
benüßt, aber einer völlig anderen Welt angehört.
Der Besucher der National-Galerie wandert durch
ein wahres Gebirge geformter Geistigkeit, von
den Nazarenern an zwischen den denkbar verschie-
densten Möglichkeiten einher, Hügeligkeit und
Schroffheit, Enge und Weite, Tannenwald und Mat-
ten — nun führen wir ihn zum Schluß durch ein klei-
nes Pförtchen in einen lieblichen Zaubergarten.
Freilich, das Pförtchen ist etwas sonderbar verriegelt,
nicht jeder wird es gleich öffnen können.
Wer daran denkt, wie die Nazarener in Furcht Got-
tes und Verehrung Raffaels malten, wie Feuerbach auf
hohem Kothurn einherschritt, oder wie Leibi Monate,
Jahre sich abmühte ein Stück Wirklichkeit auf die
Leinwand zu bringen, der wird vielleicht nicht ver-
stehen, was die Seltsamkeiten hier sollen, die wir
jetzt zeigen werden.
Aber wir leben nicht mehr in der ruhig gefesteten
Zeit Leibis. Die europäische Menschheit hat schwerste
Erschütterungen erlitten. Nach langen Jahren lasten-
der Spannung kam der Krieg, schrecklicher als je
einer auf Erden gewütet hat, und mit nie erhörten
Auswirkungen bis in die letzten Winkel des Lebens.
Und dann nicht die Ruhe des Friedens. Dynastien ge-
stürzt, die seit kaum vorstellbaren Zeiten geherrscht
hatten, alte Familien und wohlgegründete Häuser ver-
sunken; Lebensläufe in so wirren Linien wie sie kein
Poet je erfunden hätte; dauernde Unsicherheit, be-
waffneter Aufruhr jeder Art, Wegschwinden des Bo-
dens für das tägliche Dasein; unmöglich Scheinendes
überall, Unrast neben fassungsloser Verzweiflung;
Mißachtung der guten alten Wissenschaft, die man
überwunden glaubt wie eine Zeitmode, Astrologie in
gradlinigen Beton-Häusern; Wanken aller für ewig ge-
haltenen Begriffe in Anschauung und Denken, Recht
und Sitte.
In den Ländern Europas sind Unsicherheit und Er-
schütterung verschieden, sie wirken jedoch fast über-
all, auch wenn nur als Fernbeben oder Ansteckung;
in manchen Zonen sind sie wohl kaum spürbar, aber
die kommen für das geistig-schöpferische Leben nicht
in Betracht. Wirrsal und Gefahr der Weltstädte stei-
gern die Erregtheit. Und sie trifft gerade die empfind-
licheren Menschen härter als die rotbäckigen.
Wie soll sich eine zarte Seele heute retten vor all
den immer neuen schrecklichen Stößen, deren einer
allein ihren Vorfahren den Lebensmut vernichtet hätte?
Sie spinnt sich ein in ihre eigene geistige Welt, ein
doch durchsichtiges und zerbrechliches Schnecken-
haus; oder sie flattert umher, wie ein Schmetterling
überall flüchtig verweilend. Gleich einem gefährde-
ten Körper mag die gefährdete Seele nur zarte Kost
nehmen.
Gewiß leben noch alte Mächte, die Kirche, auch
Vertrauen auf das Bestehen und Wieder-Erstarken gei-
stiger Werte; heiliger Eifer glüht in vielen Köpfen der
208
(Julius Bord'Verlag, Berlin)
TRÄUME VON FORM UND WELT von Ludwig justi
Wir entnehmen diese Ausführungen mit Genehmigung des
Verfassers und des Verlages Jul. Bard in Berlin dem aus-
gezeichneten Buch von Ludwig Justi: „Von Corinfh bis Klee",
das an anderer Stelle dieses Heftes gewürdigt wird. Paul
Klees Werke werden oft in Parallele gestellt zu der sogen.
„Kunst des Kindes". Mit Unrecht. Man bedenke: das naive
kindliche Schaffen fließt zumeist aus dem Unbewußten,
während die Werke Klees Ergebnis einer bewußten Geistig-
keit sind, die wohl die äußeren Merkmale kindlicher Naivität
benüßt, aber einer völlig anderen Welt angehört.
Der Besucher der National-Galerie wandert durch
ein wahres Gebirge geformter Geistigkeit, von
den Nazarenern an zwischen den denkbar verschie-
densten Möglichkeiten einher, Hügeligkeit und
Schroffheit, Enge und Weite, Tannenwald und Mat-
ten — nun führen wir ihn zum Schluß durch ein klei-
nes Pförtchen in einen lieblichen Zaubergarten.
Freilich, das Pförtchen ist etwas sonderbar verriegelt,
nicht jeder wird es gleich öffnen können.
Wer daran denkt, wie die Nazarener in Furcht Got-
tes und Verehrung Raffaels malten, wie Feuerbach auf
hohem Kothurn einherschritt, oder wie Leibi Monate,
Jahre sich abmühte ein Stück Wirklichkeit auf die
Leinwand zu bringen, der wird vielleicht nicht ver-
stehen, was die Seltsamkeiten hier sollen, die wir
jetzt zeigen werden.
Aber wir leben nicht mehr in der ruhig gefesteten
Zeit Leibis. Die europäische Menschheit hat schwerste
Erschütterungen erlitten. Nach langen Jahren lasten-
der Spannung kam der Krieg, schrecklicher als je
einer auf Erden gewütet hat, und mit nie erhörten
Auswirkungen bis in die letzten Winkel des Lebens.
Und dann nicht die Ruhe des Friedens. Dynastien ge-
stürzt, die seit kaum vorstellbaren Zeiten geherrscht
hatten, alte Familien und wohlgegründete Häuser ver-
sunken; Lebensläufe in so wirren Linien wie sie kein
Poet je erfunden hätte; dauernde Unsicherheit, be-
waffneter Aufruhr jeder Art, Wegschwinden des Bo-
dens für das tägliche Dasein; unmöglich Scheinendes
überall, Unrast neben fassungsloser Verzweiflung;
Mißachtung der guten alten Wissenschaft, die man
überwunden glaubt wie eine Zeitmode, Astrologie in
gradlinigen Beton-Häusern; Wanken aller für ewig ge-
haltenen Begriffe in Anschauung und Denken, Recht
und Sitte.
In den Ländern Europas sind Unsicherheit und Er-
schütterung verschieden, sie wirken jedoch fast über-
all, auch wenn nur als Fernbeben oder Ansteckung;
in manchen Zonen sind sie wohl kaum spürbar, aber
die kommen für das geistig-schöpferische Leben nicht
in Betracht. Wirrsal und Gefahr der Weltstädte stei-
gern die Erregtheit. Und sie trifft gerade die empfind-
licheren Menschen härter als die rotbäckigen.
Wie soll sich eine zarte Seele heute retten vor all
den immer neuen schrecklichen Stößen, deren einer
allein ihren Vorfahren den Lebensmut vernichtet hätte?
Sie spinnt sich ein in ihre eigene geistige Welt, ein
doch durchsichtiges und zerbrechliches Schnecken-
haus; oder sie flattert umher, wie ein Schmetterling
überall flüchtig verweilend. Gleich einem gefährde-
ten Körper mag die gefährdete Seele nur zarte Kost
nehmen.
Gewiß leben noch alte Mächte, die Kirche, auch
Vertrauen auf das Bestehen und Wieder-Erstarken gei-
stiger Werte; heiliger Eifer glüht in vielen Köpfen der
208