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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Fritz, Ernst: Dem "Westfalenheft" zum Geleit!
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Budde, Gertrud: Nacht im Industriegebiet
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0059

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Fabrik. Linolschnitt nach der Natur. O II


GERTRUD BUDDE, U I:
NACHT IM INDUSTRIEGEBIET

Wenn draußen das Land müde und ruhig liegt in
Erwartung der Nacht, dann blitzt im Industrie-
gebiet, im Lande rastloser Arbeit, ein Meer von Lich-
tern auf. Hier gibt es keine stille, friedvolle Ruhe;
die Arbeit des Tags hastet weiter, der Lärm, die Un-
ruhe klingen fort und fort, als solle es in Ewigkeit
keine Ruhe geben. Wo sich Fabrik an Fabrik reiht,
stechen unzählige, grelle Lichter ins Dunkel. Finster
und drohend ragen die Schornsteine empor, funken-
sprühenden Rauch ausstoßend. Feurige Lohe schlägt
aus den Hochöfen und bedeckt den Himmel mit bren-
nender Röte. Glutroter Schein dringt aus den Stahl-
werken, zischend steigt dicker, gespenstisch wei-
ßer Rauch an den Koksbatterien in die Höhe. Unauf-
hörlich drehen sich die Räder an den Fördertürmen
der Zechen und fördern ständig schwarze Kohlen zu-
tage aus dem Schoß der Erde, der keinen Wechsel
kennt zwischen Licht und Finsternis. Mit Kohlen und
Erz beladene Züge fahren hin und her in die Nacht,
Lokomotiven rangieren, Kräne fahren rasselnd und
befördern schwere Lasten. Und zu dieser rastlosen
Tätigkeit dröhnt ein Höllenlärm: dröhnender Schlag
-^wuchtiger Hämmer, dumpfes Sirenengeheul, Lokomo-

tivpfiffe, die grell die Nacht zerreißen, Kettengerassel,
Eisenklang, Zischen der Dampfventile, schweres Stöh-
nen der Dampfmaschinen, leises, scharfes Surren der
elektrischen Dynamos. All diese schrillen Dissonanzen,
in denen das Stöhnen der schwer arbeitenden Men-
schen untergeht, klingen zusammen zur machtvollen,
grausamen Melodie, zum maßlos wilden Triumph-
gesang rastloser Arbeit, die niemals Ruhe kennt und
Ruhe sucht, die bei Nacht gespensterhafter und dro-
hender durch das Dunkel schreit, bei Nacht sich be-
merkbarer macht als bei Tage, weil sie mit wilder
Gewalt die Schranken heiliger Ruhe durchbricht. Hier
im nächtlichen Industriegebiet hören wir das Lied der
ungeheuren Arbeitskraft des nimmermüden Arbeits-
willens der Naturkraft, die die Maschine treibt, und
die den Menschen zur gleichen rastlosen Arbeit zwingt.
Hier gibt es niemals Ruhe. Nur unheimliche Toten-
stille kennt die Industrie, wenn die Menschheit sich
gegen Ihre Gewaltherrschaft empört hat und nicht
mehr arbeiten willl Doch immer wieder zwingt die
Industrie den Menschen zurück zu ihrer nimmermüden
Arbeit, durch Tag und Nachtl —

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