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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 6 (Juni 1931)
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Delius, Rudolf von: Kungfutse als Menschen- und Charakterbildner
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0177

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; Kungfilise. .
als jVieuscnen- unäCharakterbildner
tfnter dieser Überschrift scheibt Rudolf v. D e I i u s im
„Pädagogischen ZenlrSlblatJ“.* einen Aufsalj, der auch für
■uns werlvoll is'f. Wir entnehmen'ihm nachfolgende Stellen,
um unsere Leser zum Studium des Aufsatzes anzuregen.
Von allen Pädagogen der- Erde ist vielleicht Kung-
iutse der größte. Denn so sicher und fein fügte er
den Bau seiner Lehre, daß seine Wirkung über Jahr-
tausende unverändert erhalten blieb: Die beiden
Haupt- und Hochkulturen der Welt, die Mittelmeer-
kultur (Führerland Griechenland) und die ostasiatische
(Führerland China), messen sich (heute) aneinander.
Dies ist wohl das gewaltigste Schauspiel unserer
Zeit . . . Heute muß eine Verständigung, eine Wech-
■ selwirkuhg, wenn möglich eine Synthese stattfinden.
Der Gegensatz beider, ^aufleine kurze Formel ge-
bracht, ist-: Der Grieche ,strebt,-von einem Urtrieb her,
nach Erkenntnis der Umwelt,, er will die Außendinge
verstehen, sie beherrschen, selber Spitze und Ziel
des Kosmos sein. Der Chinese wirft seine ganze Kraft
auf die Innenwelt, er ist Psychologe von Anfang an,
die Umwelt bettet ihn ein, er verehrt sie, aber läßt
sie in Frieden. Der Grieche zerreißt die Nabelschnur
zur Allmutler, er braucht die Distanz, um die objek-
tive Ferne zu sehen. Der Chinese bleibt im Natur-
schoße liegen, aber trinkt unendliche Feinheit und
Innigkeit aus dieser Harmonie.
So weiß der Europäer, der Griechenschüler, heute
genau Bescheid über das gesamte Inventar des Kos-
mos, alles ist mit scharfen Augen gesondert, regi-
striert, eingeordnet. Der Chinese zergliedert nicht
die Dinge, aber er liebt sie mit brüderlicher Zärtlich-
keit. Und sein Stolz und seine Macht ist die Formung
und Bändigung der eigenen Seele. Dort ist er Herr-
scher, der Natur gegenüber ist er nur mitschwingen-
der Teil.
Es ist somit klar, was der eine vom andern zu ler-
nen hat. Der Chinese lernt von uns die exakten Me-
thoden des Untersuchens und Findens, Wissenschaft
und Technik. Der Europäer sollte vom Chinesen lernen,
welche unendlichen Möglichkeiten die Kultur der
Seele birgt . . .
r + ‘ +
Die Erziehungsgrundsätze Kungfutses sind uns ohne
weiteres verständlich. Ais Richtsatz jeder geistigen
Bildung gilt: „Durch gründliches Handeln nährt der
Edle seinen Charakter." Nur gründliches Erleben ist
nahrhaft, läßt wachsen, nur Gründlichkeit schafft Cha-
liikter. Der organische Fortschritt kann nicht abgekürzt
werden, den ganzen Weg der Seele muß man gehen.
Das ist allgemeingültige Erkenntnis.
Sein Lehrgang ist einfach. Der Meister sprach:
..Wecken duich dio Lieder, festigen durch die Formen,
vollenden durch die Musik!" Nicht auf mannigfache
Kenntnisse kommt es an: vollkommene Durchbildung
des Menschen ist das Wesentliche. Man fragt den
Meister einmal, ob er vielerlei Wissen habe. Stolz
antwortet er: „Nein, doch ich habe eines, um alles
zu durchdringen." Das ist das Geheimnis seiner Er-
ziehung: das einfache Wesentliche gilt es zu erfassen.
Ist dies Wesentliche kraftvoll und'strahlend, so ordnen
sich die Nebendinge von selbst.
Die wichtigsten und zugänglichsten Äußerungen der
chinesischen Welt sind 1. die klassischen Bü-
che r, enthaltend Denken, Religion, Ethik als Einheit.
Vielfach sind es auch Dichtungen, denn der Chinese
löst den Geist nicht los bis zur Abkapselung und Ver-
steinerung (Abstraktion), er bleibt immer dem Sinn-
lichen blühend nahe; 2. die Lyrik, sie ist eine wun-
dervoll zarte Berührung gleichsam zwischen Seelen-
punkten und Naturpunkten, oft nur farbiges, hauch-
leichtes Auffangen einer Stimmung; dann aber wieder
' Pädagogisches Zenlralblatf, herausgegeben vom Zentralinsfitut für
Linehung und Unterricht 1931, 4 (Verlag J, Beltj-Langensalza).

ins tiefste Denken hineinragende gluiieiide cilebnicce,
3. die Malerei, eine Kunst, die vielleicht die . hu ■.
sische Urkunst ist: schon das älteste Denken wai ja
bildhaft; aber diese Malerei ist gesättigt bis zum
Rande mit Empfindung und die Technik dient immer
nur dem Sinn. Wenn die Zeit reif ist, halte ich es
deshalb für möglich, daß diese chinesische Malerei
einmal die stärkste pädagogische Bedeutung für uns
gewinnt, denn hier ist das Sinnliche ganz Symbol des
Geistigen geworden.
Hier berühren wir das liefe Problem der P r> i rn.
Sie ist nach chinesischer Meinung keine Zutat, die
auch fehlen könnte: Form ist Offenbarung des Inner
sten. Eine wundervolle Geschichte wird da erzählt.
Zu einem Schüler des Meisleis sagt ein Beamter, dei
sich informieren möchte: „Dem Edlen kommt es doch
nur auf das Wesen an und auf sonst nichts. Was
braucht er sich Um die Foim zu kümmern?" Der Schü-
ler antwortete: „Nicht doch, die Form ist Wesen, das
Wesen ist Form. Das von Haaren entblößte Fell eines
Tigers oder Leoparden ist wie das von Haaren ent
blößte Fell eines Hundes oder Schafes."
Herrlich ist damit die Grundwahrheit jeder klas-
sischen Kultur ausgesprochen. Im brennend bunten
Tigerfell ist der Tiger da, sinnlos ist jede Abstraktion:
Tiger. Die geistige Idee muß verwirklicht leuchten.
Diese Ansicht ist auch der Kern von Goethes natur-
wissenschaftlichem Denken: der Zauber Chinas be-
ruht für uns vor allem auf diesei unlösbaren Einheit
und Durchdringung vom Geistigen Lind Sinnlichen. So
gibt es keinen Riß und keine feindliche lie.nnung.
Das Sinnliche braucht nicht bekämpft zu weiden von
einem hochmütig isolierten Geistigen. Geist und Sinn
leben brüderlich vereint: so wie die Pflanze in der
Erde wurzelt, aber ihre Blüte hinaufhebt in das Licht.
Darum herrscht in gleicher Weise Ehrfurcht vor dem
Geist und Ehrfurcht vor den Sinnen. Eine wundeivolle
Heiterkeit ist die Folge. Der Mensch trennt sich nicht
von der Natur, sondern erhöht und verklärt sie. Hier
liegt der Hauptunterschied vom Europäer, dessen
Entwicklung durch Kampf und Gegensatz ging.
Kungfutses Welt ist noch ungebrochen. Ein helles
Jasagen herrscht. Das Gute braucht nicht unter Kämp-
fen gewaltsam erzwungen zu werden. Der Meister
sagt: „Ist denn die Güte so fern? So bald ich die
Güte will, ist sie da." Und ein andermal: „Wer die
Güte ergreift, in dem ist kein Böses mehr. ‘
Diese offene, freie, wärmende Güte, die ist doch
das Erste und Letzte. Sie ist die notwendige Voraus
Setzung der Form. Und so klingt herrlich für alle Zeit
der Ausruf Kungfutses: „Ein Mensch ohne Güte, was
hilft dem die Form! Ein Mensch ohne Güte, was hilft
dem die Musik!"
Welche Bedeutung hat Kungiulius Kunst dei Men-
schenbildung für unsere Zeit? Ein sofortiger und un-
mittelbarer Einfluß ist kaum möglich, dazu sind die
jahrhundertealten Grundlagen zu verschieden.
K. ist einfach und organisch; wir heutigen Europäer
sind überaus kompliziert. K. führt alles auf die Ele-
mente zurück, daher wird ihm Klarheit leicht, wir
„Modernen" haben ein Gehirn geerbt, das einer
Rumpelkammer ähnlich sieht.
Wir Europäer schleppen unendlich verschiedene
Reste von Gedankenkomplexen mit uns herum, die
eigentlich gar nicht zusammenpassen. Eine gewisse
Verworrenheit im Kopfe des Jünglings ist daher fast
selbstverständlich. Hervorragende Pädagogen Euro-
pas fühlen es: Die große Reinigung ist nicht zum u
gehen. Freilich: zunächst sind die Ansichten über 1
fang und Art dieser Reinigung so verschieden, daß
man die Sache lieber noch aufschiebt. Aber jeder
gibt zu: die großen wesentlichen Grundgefühle müs-
sen in möglichster Reinheit wiederkehren. Neben-
sachen haben uns überwuchert, Surrogate machen
sich breit statt des Echten. Überall seufzt man nach

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