3 Linolschnitte
Sexta einer norddeutschen höheren Knabenschule
von „Richtungen" werden, vor allem nicht der mo-
dernen und modernsten, sondern wir haben „d e r"
Kunst zu dienen, der Kunst aller Zeiten, also auch
der uns persönlich fern liegenden. Wir haben nicht
an unsre Lieblinge, sondern an unsre gesamte Heimat
und ihre Großen' zu denken. Glaubt man nicht in
einem Irrenhause zu leben, wenn z. B. Le Corbusier
im Esprit Nouveau schreibt: „Wir bereiten uns vor,
den Kreuzzug mit Kalkmilch zu beginnen." Man hielt
eine Umfrage, ob es richtig sei, den Louvre mit seinen
Kunstschätzen zu verbrennen. „Schmeißt sie in
die Seine" rief einer der „großen Neuerer" rüpelhaft
— „die Reste häßlicher Träumer: Raphaels, haupt-
sächlich Michel Angelos, dieser großen Verbrecher
an der Kunst." Riecht das nicht nach Pech und Schwe-
fel? Sieht man hier Fortschritt oder den Teufelsfuß,
der die Vernichtung aller Kultur planmäßig betreibt?
Man denke auch an die Artikel im „Achtuhrabend-
blatt", die ein Herr Westheim gegen Schulze-Naum-
burg losließ und einen Gropius verherrlichte. Hier
heißt es „Augen auf" und Hüter und Wächter heiliger
Güter werden, und mit Stolz „unmodern" sein. Selbst
das Schlagwort „Nur das Absolute im Kunstwerk ist
Kunst" müssen wir nüchterner betrachten. Wir unter-
schreiben den Satz voll und ganz. Wir wenden ihn
aber nicht nur auf die Mittel-Zickzacklinie, Kurve usw.
an, sondern verstehen unter abstrakt noch etwas
andres. „Naturhaftes Duften" gemalter Blumen ist das
Abstrakte, desgl. „das Brätlein" der Küche, „Trauer"
ist abstrakt,, nicht Trauernde, „Tanz", nicht Tanzende,
„das Erwachen", nicht Aufwachende. Andrerseits sehen
wir keinen Grund, weshalb Aufwachende, seien es
Menschen, Blumen und dgl. unkünstlerisch wirken, da
sie doch leichter und besser den Willen des Künst-
lers vermitteln (s. Hodler), als Zickzack und Kurve.
Aber auch hier gehen wir fortschreitend, weiter
bauend über 1902 weit hinaus. Im Fach „schmücken-
des Zeichnen" üben wir die letzten Auswirkungen
von abstraker Linie. Fläche und Farbe bis zu Ver-
suchen im Ideenzeichnen auf der Oberstufe. Aber
Schmuck, Plakat, Tapete, Teppich haben andere An-
forderungen als Wandgemälde, trotzdem wir auch
hier Stilisiertes, Ornamentales gelten lassen. Natur-
formen aber dann nur so, daß sie nicht grundlos ver-
zerrt, als solche sich aufdrängend den Genuß stören,
indem sie die Hauptaufmerksamkeit auf sich lenken
durch blaue Nasen, falsch angewandte Perspektive,
ekelhafte Fratzen und dgl.
Es geht nicht ohne Kunstfächer, aber es geht
ohne „bildende Kunst"l Religionsunterricht ist noch
lange keine Theologie. Unsere Leistungen kön-
nen weder expressionistische, noch impressioni-
stische, noch irgend welche andern Kunstwerke sein.
Wir bereiten den Boden zum Verlangen, zum Ge-
nießen und zum Verstehen großer, echter Kunst.
Und sinnige Naturbetrachtung ist da die beste
Grundlage, um dieses Verlangen nach Kunst zu wek-
ken; denn hier findet sie den Ausdruck seelischer
Erlebnisse, wie in einem Gedicht, wie in der Musik.
Auch religiöse Menschen sind bestes Material,
Kunsthungrige zu schaffen. Pflegen wir daher in der
Schule (in allen Fächern, wo es möglich ist) dieses
seelische Vertiefen, dann ist die Führung zur Kunst
leicht.
Wir stellen höchste Anforderungen an die Kunst
und verstehen es nicht, wie man viele Neugroße hat
hochkommen lassen, die mit ein paar Strichen und
Klexen und widerlich verzerrten Figuren, göttliche
Offenbarungen zu geben glauben. Bestechende Feuer-
werkerei hat nichts mit Kunst zu tun. Je größer der
Gehalt in einem Kunstwerk, desto mehr tritt das Jong-
lieren und Auffallenwollen zurück. (Zeitgeist!)
Eins gibt uns Kraft, in dieser trostlosen Zeit den
Mut nicht sinken zu lassen: Uber jede Sindflut wird
eine Arche Noah Gutes hinüberretten in eine neue
Zeit.
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