vor seiner Leistung oder auch nur vor seiner Aufgabe
haben sie nicht. Sie sehen in ihm nur den Mann, der
eine, vom modernen Schulgeist nun einmal gefor-
derte Quälerei überwacht, der die Kinder lehrt, „etwas
nachzumachen", — einen Aufseher bei leidlich an-
nehmbaren, im Grunde aber doch überflüssigen Hand-
arbeiten. Alle diese gestrengen Scholarchen haben
als begeisterte Goethefreunde irgendeinmal die Worte
gelesen, mit denen ich diesen Aufsatz eingeleitet —
aber wie viele von ihnen haben sich wohl aus jenen
Sätzen des Altmeisters einen Vers auf die ihnen an-
vertraute Menschenerziehung gemacht? Wie viele von
ihnen vermögen die große Bedeutung eines verstän-
digen Zeichenunterrichts für das ganze Leben, ja auch
für das ideale und wissenschaftliche Streben aller
Art zu erkennen? Der Arzt, der Naturforscher, der
Archäologe usw. sollten flotte Zeichner sein; es ist
jammervoll, so manchen „studierten" Mann in Ver-
legenheit zu sehen, wenn er irgendein Ding aus dem
Bereiche seiner Wissenschaft bildlich darstellen soll.
Schon der Wille, die Anerkennung des richtigeren
Weges wird dem intelligenten Lehrer die Herzen und
Gaben seiner Schüler erschließen. Es ist eine herr-
liche, eine menschenfreundliche und nationale Auf-
gabe.
Aus „Ausdrucksbewegung und Gestal-
tungskraft, Grundlegung der Wissenschaft
VOm Ausdruck“. Von Dr. Ludwig Klages
(Verlag Johann Ambrosius Barth, Leipzig)
Dieses Buch sollte jeder Kunsterzieher mit Leidenschatt
studieren. Um es unseren Lesern näher zu bringen, wird
Nachstehendes daraus berichtet« G. K.
Für Klages besteht das Wesen der Begabung u. a.
in der Fähigkeit, nach Maßgabe der überhaupt ver-
fügbaren Seelenfülle irgendein Tun bis an
den Rand mit Ausdruck zu füllen. Er vertritt
den Satz, es bestehe darin allein. Darum erblickt er
in jeder Begabung eine Art der Gestaltungskraft.
Die Begabung schlechthin als Gestal-
tungskraft. So lautet die Überschrift eines der
aufschlußreichsten Kapitel des Buches, dem ich fol-
gende Stellen wörtlich entnehme.
Die gestaltete Bewegung unterscheidet sich einer-
seits von der mechanisierten des bloßen Verstandes-
trägers, dessen Geist den Zusammenhang mit dem
Leben verlor; andererseits durch die bewältigte Gei-
stigkeit von der mühelos rhythmischen des ursprüng-
lichen Menschen. Wenn nämlich auf der Urstufe das
Leben den Willen gefangen hielt, so bekennt sich
auf geistiger Stufe freiwillig der „Kopf" zur
Gefolgschaft des „Herzens", soweit sich sein Wirken
an dessen Pulsschlag entzündet...
Vermöge desjenigen Zuges in ihm, wodurch er am
Bildner teilhat, wird ein Charakter ausschließlich noch
vom leidenschaftlichen Drange nach lebendigstem
Ausdruck bestimmt, so zwar, daß bereits das Ge-
dächtnis den Erfahrungsstoff durchsiebt auf Darstell-
barkeit und der Wille scheinfrei dergleichen Ziele
bevorzugt, mit deren Verwirklichung die größere
Sättigung eines Gestaltungstriebes einhergeht. Wie
wenig wir darnach noch zur Wertüberschätzung der
„Genialität" geneigt sein werden, so mag uns nicht
minder jedoch vor dem anderen Ende, will sagen,
der gerade gegensätzlichen Wertung, warnen und die
Einzeichnung alles Bildnertums in die Tafel geistiger
Möglichkeiten erleichtern dieses Wortes eines My-
stikers: Was nicht Wunder sein konnte, will Werk
werden; was nicht Werk sein konnte, wird Tat...
Trüge der Bildner fertig im Geiste, was erst durch
den Gestaltungsvorgang „in die Erscheinung zu treten"
bestimmt ist, so würde ihm bei noch so großer Be-
gabung der Antrieb zum Bilden fehlen. Das sog.
192
Motiv ist nicht ein Bild, sondern ein durch Eindrücke
oder Phantasmen erregter Drang ... Nicht das macht
den Tondichter, daß er Töne und ihre Verbindungen
behalte, nicht das den Bildhauer, daß er an zahllose
Raumformen denke, nicht das den Maler, daß er sich
den Kopf mit Linien und Farben fülle; sondern darin
besteht ihre unterscheidende Fähigkeit, ihr Inneres
leichter und besser als Unbegabte, in Formen, Farben,
Tönen auszusprechen; wohingegen die Empfäng-
lichkeit für den Anschauungsstoff samt den aus ihr
wieder zu begründenden Auffassungsanlagen abhän-
gig wäre vom bildnerisch schon Gestalteten, an ihm
sich erschulte und sich entwickeln würde, indem sie
Schritt für Schritt der Spur des Gestaltungsvermögens
nachginge ...
Handle es sich um die Auffassung von Häusern, Bil-
dern, Gemälden, Tonwerken oder von Dichtung, Wis-
senschaft, Mathematik oder von handwerklichen Er-
zeugnissen jeglicher Gattung oder von Maschinen
oder von Sitten und Gebräuchen, oder von Kleidern
und Schmuckgegenständen, oder von Sprache und
Schriftsystemen, oder von sportlichen Taten: immer
wird derjenige an den fraglichen Leistungen und
Leistungsniederschlägen unvergleichlich mehr auffas-
sen, der sie selber hervorzubringen die
Fähigkeit hat, als ein ausschließlich auf ihre Be-
trachtung Gewiesener... '
Vielleicht wendet man ein, es gebe doch neben
dem Könnertum ein davon klar unterschiedenes Ken-
nertum; der große Gemäldekenner z. B. müsse keines-
wegs auch ein bedeutender Maler sein. Das träfe zu;
allein zum ersten folgt das Kennertum dem Könnertum
nach; zum andern kommt es dadurch zustande, daß
der Kenner sich in die Leistung des Könners „hinein-
versetzt". Das Hineinversetzen ist aber gar nichts an-
deres als ein W i e d e r h e r v o r b r i n g e n in der
Phantasie und demgemäß eine abgekürzte Er-
neuerung des Gestaltungsvorganges selbst, die als
überhoben jeder Einlassung mit der ablenkenden
Technik die „Intention" des Könners sogar reiner
nachzubilden, als sie im Werke verwirklicht wurde.
Unsere Auffassung der Welt hängt Zug um Zug von
der Spannweite unseres Vermögens ab, den ge-
gebenen Eindruck umzusetzen in schöp-
ferische Impulse; da dann freilich im vorzugs-
weise nur Auffassungsfähigen die Antriebe weder die
Stärke haben noch erst recht nicht aus jenen Tiefen
des Schauens schöpfen, die den gestaltungskräftigen
Könner befeuern, den Ringkampf mit dem Gegen-
stände zu wagen; wovon der siegreiche Ausgang
sichtbar wird in der Vollkommenheit des gegenständ-
lichen Werkes...
Auch der Botaniker, der Zoologe usw. begreift auf
seine Weise die Pflanze, das Tier, indem er sie
gleichsam aufbaut aus den Bestandstücken, die er an
ihnen zu unterscheiden vermag. Wenn Nietzsche
mit seiner Äußerung „wir können nur eine
Welt begreifen, die wir selber gemacht
habe n", vornehmlich in Zweifel zu ziehen gedachte
die Tauglichkeit des Verstandes zur Wahrheitsfindung,
so hat er tatsächlich damit doch ausgesprochen die
Abhängigkeit des geistigen Erfassens vom geistigen
Bewirken. Nahezu wörtlich dasselbe, jedoch völlig in
unserem Sinne behauptet Novalis mit dem kern-
treffenden Satze: „Wir wissen etwas nur, insofern wir
es ausdrücken, d. h. machen können"; welches Frag-
ment indessen, in anderer als der Absicht Nietzsches
geäußert, diesem wahrscheinlich gar nicht zur Kennt-
nis kam: ein schöner Beweis für die zeitunabhängige
Einstimmigkeit der „Wissenden"... Die Größe des
Auffassungsaktes geht somit letzthin zurück auf den
Umfang des Vermögens zur Äußerung... Urteile
können gar nicht ergehen, ohne Verlautbarung ihrer,
oder mindestens Äußerung in Gebärden. Wie sollten
wir Begriffe festhalten können, die uns zum Meinen
haben sie nicht. Sie sehen in ihm nur den Mann, der
eine, vom modernen Schulgeist nun einmal gefor-
derte Quälerei überwacht, der die Kinder lehrt, „etwas
nachzumachen", — einen Aufseher bei leidlich an-
nehmbaren, im Grunde aber doch überflüssigen Hand-
arbeiten. Alle diese gestrengen Scholarchen haben
als begeisterte Goethefreunde irgendeinmal die Worte
gelesen, mit denen ich diesen Aufsatz eingeleitet —
aber wie viele von ihnen haben sich wohl aus jenen
Sätzen des Altmeisters einen Vers auf die ihnen an-
vertraute Menschenerziehung gemacht? Wie viele von
ihnen vermögen die große Bedeutung eines verstän-
digen Zeichenunterrichts für das ganze Leben, ja auch
für das ideale und wissenschaftliche Streben aller
Art zu erkennen? Der Arzt, der Naturforscher, der
Archäologe usw. sollten flotte Zeichner sein; es ist
jammervoll, so manchen „studierten" Mann in Ver-
legenheit zu sehen, wenn er irgendein Ding aus dem
Bereiche seiner Wissenschaft bildlich darstellen soll.
Schon der Wille, die Anerkennung des richtigeren
Weges wird dem intelligenten Lehrer die Herzen und
Gaben seiner Schüler erschließen. Es ist eine herr-
liche, eine menschenfreundliche und nationale Auf-
gabe.
Aus „Ausdrucksbewegung und Gestal-
tungskraft, Grundlegung der Wissenschaft
VOm Ausdruck“. Von Dr. Ludwig Klages
(Verlag Johann Ambrosius Barth, Leipzig)
Dieses Buch sollte jeder Kunsterzieher mit Leidenschatt
studieren. Um es unseren Lesern näher zu bringen, wird
Nachstehendes daraus berichtet« G. K.
Für Klages besteht das Wesen der Begabung u. a.
in der Fähigkeit, nach Maßgabe der überhaupt ver-
fügbaren Seelenfülle irgendein Tun bis an
den Rand mit Ausdruck zu füllen. Er vertritt
den Satz, es bestehe darin allein. Darum erblickt er
in jeder Begabung eine Art der Gestaltungskraft.
Die Begabung schlechthin als Gestal-
tungskraft. So lautet die Überschrift eines der
aufschlußreichsten Kapitel des Buches, dem ich fol-
gende Stellen wörtlich entnehme.
Die gestaltete Bewegung unterscheidet sich einer-
seits von der mechanisierten des bloßen Verstandes-
trägers, dessen Geist den Zusammenhang mit dem
Leben verlor; andererseits durch die bewältigte Gei-
stigkeit von der mühelos rhythmischen des ursprüng-
lichen Menschen. Wenn nämlich auf der Urstufe das
Leben den Willen gefangen hielt, so bekennt sich
auf geistiger Stufe freiwillig der „Kopf" zur
Gefolgschaft des „Herzens", soweit sich sein Wirken
an dessen Pulsschlag entzündet...
Vermöge desjenigen Zuges in ihm, wodurch er am
Bildner teilhat, wird ein Charakter ausschließlich noch
vom leidenschaftlichen Drange nach lebendigstem
Ausdruck bestimmt, so zwar, daß bereits das Ge-
dächtnis den Erfahrungsstoff durchsiebt auf Darstell-
barkeit und der Wille scheinfrei dergleichen Ziele
bevorzugt, mit deren Verwirklichung die größere
Sättigung eines Gestaltungstriebes einhergeht. Wie
wenig wir darnach noch zur Wertüberschätzung der
„Genialität" geneigt sein werden, so mag uns nicht
minder jedoch vor dem anderen Ende, will sagen,
der gerade gegensätzlichen Wertung, warnen und die
Einzeichnung alles Bildnertums in die Tafel geistiger
Möglichkeiten erleichtern dieses Wortes eines My-
stikers: Was nicht Wunder sein konnte, will Werk
werden; was nicht Werk sein konnte, wird Tat...
Trüge der Bildner fertig im Geiste, was erst durch
den Gestaltungsvorgang „in die Erscheinung zu treten"
bestimmt ist, so würde ihm bei noch so großer Be-
gabung der Antrieb zum Bilden fehlen. Das sog.
192
Motiv ist nicht ein Bild, sondern ein durch Eindrücke
oder Phantasmen erregter Drang ... Nicht das macht
den Tondichter, daß er Töne und ihre Verbindungen
behalte, nicht das den Bildhauer, daß er an zahllose
Raumformen denke, nicht das den Maler, daß er sich
den Kopf mit Linien und Farben fülle; sondern darin
besteht ihre unterscheidende Fähigkeit, ihr Inneres
leichter und besser als Unbegabte, in Formen, Farben,
Tönen auszusprechen; wohingegen die Empfäng-
lichkeit für den Anschauungsstoff samt den aus ihr
wieder zu begründenden Auffassungsanlagen abhän-
gig wäre vom bildnerisch schon Gestalteten, an ihm
sich erschulte und sich entwickeln würde, indem sie
Schritt für Schritt der Spur des Gestaltungsvermögens
nachginge ...
Handle es sich um die Auffassung von Häusern, Bil-
dern, Gemälden, Tonwerken oder von Dichtung, Wis-
senschaft, Mathematik oder von handwerklichen Er-
zeugnissen jeglicher Gattung oder von Maschinen
oder von Sitten und Gebräuchen, oder von Kleidern
und Schmuckgegenständen, oder von Sprache und
Schriftsystemen, oder von sportlichen Taten: immer
wird derjenige an den fraglichen Leistungen und
Leistungsniederschlägen unvergleichlich mehr auffas-
sen, der sie selber hervorzubringen die
Fähigkeit hat, als ein ausschließlich auf ihre Be-
trachtung Gewiesener... '
Vielleicht wendet man ein, es gebe doch neben
dem Könnertum ein davon klar unterschiedenes Ken-
nertum; der große Gemäldekenner z. B. müsse keines-
wegs auch ein bedeutender Maler sein. Das träfe zu;
allein zum ersten folgt das Kennertum dem Könnertum
nach; zum andern kommt es dadurch zustande, daß
der Kenner sich in die Leistung des Könners „hinein-
versetzt". Das Hineinversetzen ist aber gar nichts an-
deres als ein W i e d e r h e r v o r b r i n g e n in der
Phantasie und demgemäß eine abgekürzte Er-
neuerung des Gestaltungsvorganges selbst, die als
überhoben jeder Einlassung mit der ablenkenden
Technik die „Intention" des Könners sogar reiner
nachzubilden, als sie im Werke verwirklicht wurde.
Unsere Auffassung der Welt hängt Zug um Zug von
der Spannweite unseres Vermögens ab, den ge-
gebenen Eindruck umzusetzen in schöp-
ferische Impulse; da dann freilich im vorzugs-
weise nur Auffassungsfähigen die Antriebe weder die
Stärke haben noch erst recht nicht aus jenen Tiefen
des Schauens schöpfen, die den gestaltungskräftigen
Könner befeuern, den Ringkampf mit dem Gegen-
stände zu wagen; wovon der siegreiche Ausgang
sichtbar wird in der Vollkommenheit des gegenständ-
lichen Werkes...
Auch der Botaniker, der Zoologe usw. begreift auf
seine Weise die Pflanze, das Tier, indem er sie
gleichsam aufbaut aus den Bestandstücken, die er an
ihnen zu unterscheiden vermag. Wenn Nietzsche
mit seiner Äußerung „wir können nur eine
Welt begreifen, die wir selber gemacht
habe n", vornehmlich in Zweifel zu ziehen gedachte
die Tauglichkeit des Verstandes zur Wahrheitsfindung,
so hat er tatsächlich damit doch ausgesprochen die
Abhängigkeit des geistigen Erfassens vom geistigen
Bewirken. Nahezu wörtlich dasselbe, jedoch völlig in
unserem Sinne behauptet Novalis mit dem kern-
treffenden Satze: „Wir wissen etwas nur, insofern wir
es ausdrücken, d. h. machen können"; welches Frag-
ment indessen, in anderer als der Absicht Nietzsches
geäußert, diesem wahrscheinlich gar nicht zur Kennt-
nis kam: ein schöner Beweis für die zeitunabhängige
Einstimmigkeit der „Wissenden"... Die Größe des
Auffassungsaktes geht somit letzthin zurück auf den
Umfang des Vermögens zur Äußerung... Urteile
können gar nicht ergehen, ohne Verlautbarung ihrer,
oder mindestens Äußerung in Gebärden. Wie sollten
wir Begriffe festhalten können, die uns zum Meinen